Zur Kooperation von Aldi und Stiftung Lesen

In Wirklichkeit geht's ums Geschäft

14. August 2015
von Börsenblatt
Warum sind Sortimenter so sauer darüber, dass die Stiftung Lesen Buchaktionen des Lebensmitteldiscounter Aldi betreut? Ein Meinungsbeitrag von Doris Müller-Höreth (Buchhandlung Pelzner in Nürnberg) über die nicht unproblematische Verknüpfung von Lese- und Imageförderung.

Es wird funktionieren. Aldi Süd wird ab Herbst in gezielten Verkaufsaktionen viele Kinder- und Jugendbücher verkaufen, unterstützt von der Stiftung Lesen. Aldi wird auch die Chance nutzen, mit all den Argumenten, die wir Buchhändler bereits seit Jahrzehnten vertreten, auf die Wichtigkeit von Leseförderung aufmerksam zu machen: Bis zu 20 Prozent der 15-Jährigen in Deutschland sind funktionale Analphabeten, 42 Prozent aller Eltern lesen ihren Kindern nie oder selten vor, ohne Lesekompetenz keine berufliche Bildung usw. Aldi wird mit Hilfe der Stiftung Lesen einer breiten Masse der Bevölkerung sein Angebot offerieren – die Kundenfrequenz ist mit Abstand höher als in unserer flächendeckenden Buchhandelslandschaft.

Wir engagierten Buchhändler arbeiten ebenfalls unermüdlich daran, um genau diese Ziele zu erreichen: Eltern zum Vorlesen, Kinder zum Lesen verführen. Warum sind wir dann alle so sauer auf diese Kooperation? Der deutschsprachige Buchhandel wird dadurch vorläufig nicht wesentlich ärmer. Wir können die potenziellen Buchkunden bei Aldi sogar verstehen: Welche ambitionierte Mutter nähme ihrem Kind nicht mal eine preisgünstige Lektüre mit, welche engagierte Lehrerin wäre nicht versucht, gleich einen Klassensatz davon für ihre Schüler zu besorgen? Wenn Aldi vor dem bundesweiten Vorlesetag im November öffentlichkeitswirksam auf sein neues Vorlesebuch aufmerksam macht, werden Eltern zwischen Nudeln und Konserven nachdenklich, ob sie nicht doch das Vorlesebuch in den Einkaufswagen stecken sollen. Ob sich allerdings bildungsferne Eltern, die ihrem Kind nie vorgelesen haben, hier wirklich angesprochen fühlen, sei dahingestellt: Warum sollte man, wenn bislang im Leben Bücher keine Rolle gespielt haben, plötzlich Lust auf Bücher verspüren? Leseförderung funktioniert anders.

Was uns Buchhändler – und ich habe in den vergangenen Tagen mit vielen Kollegen gesprochen - aufbringt, ist die Scheinheiligkeit der Aktion, mit der Partner für Leseförderung werben, wo es in Wirklichkeit um Geschäfte geht. Dass Aldi Bücher anbietet, werden wir spüren, aber es ist das Recht eines jeden Marktteilnehmers. Dass aber eine Stiftung ihre Dienste einem Lebensmitteldiscounter andient und ihn bevorzugt, das ist das eigentlich Unerhörte. Wer ein Buch in der Hand hält mit einem Aufdruck „Empfohlen von der Stiftung Lesen", „Unterstützt von der Stiftung Lesen" oder ähnlich, vermutet ein unabhängiges Qualitätssiegel. Das ist es so nicht. Was ist mit den Büchern anderer Verlage?

Buchhandlungen, die ein Gütesiegel für Leseförderung erwerben wollen, müssen Leseförderungsmaßnahmen nachweisen. Es wird geprüft, ob und welche Aktionen sie durchgeführt haben, welche Angebote sie Eltern, Kindern und Erziehern gemacht haben. Aktionen wie die „Lesetüte", der „Lesekoffer", zahlreiche Leseclubs und unzählige Lesefeste, Lesenächte u.v.m. werden seit Jahrzehnten vom Buchhandel getragen, indem sich unzählige Buchhändler und Verlage engagieren, um mit viel Zeit, Liebe, guten Ideen und Geld Schwellenängste abzubauen und Kindern die Liebe zum Lesen nahe zu bringen.

Bei einer Aktion, in der Aldi imagefördernd als Leseförderer auftritt, könnte man fast den Eindruck bekommen, dass der engagierte, gebildete und gut ausgebildete Buchhändler nicht mehr benötigt wird. So ruinieren wir uns langfristig die beste Buchhandelslandschaft weltweit – und das finde ich persönlich sehr schade!