Zuruf von Jochen Jung

Lesen Sie gefälligst Bücher!

3. Juli 2015
von Börsenblatt
Denn das ist "eines der großen Vergnügen, die man in unserer Zeit noch haben kann". Nur fehlt es an klaren Ansagen an die Mitmenschen, sie zur Lektüre zu verpflichten. Seid dabei nicht zimperlich, rät Jochen Jung.

Kürzlich schenkte meine Tochter mir einen groß­artigen Cartoon von Til Mette, auf dem ein mittelaltes Paar einen Raum mit Bücherregalen bis zur Decke bestaunt, und er zu ihr sagt: "So eine Art Wärmedämmung aus dem 20. Jahrhundert." Das Tolle an dem Satz ist natürlich nicht der ­bücherverachtende Unterton, sondern dass es tatsächlich nichts Besseres gegen die allgemeine Zivilisationskälte und Menschenvergesslichkeit gibt als Bücher. Dazu passt wiederum ein Satz, den ich kürzlich von dem noch großartigeren Michael Haneke hörte: "Das ist eines der großen Vergnügen, die man in unserer Zeit noch haben kann: Lesen."

Wer von uns Bücherfreunden wollte da nicht zustimmen: Lesen bringt’s! Aber leider muss man auch ergänzen: am Lesen hapert's. Und zwar am Lesen von Büchern, von dem, was in Leseplänen früher Ganztexte hieß, das heißt, nicht nur Mails, Untertitel und Gebrauchsanweisungen, sondern so altmodische und wunderbar umständliche Dinge wie Erzählungen und Romane.

Schon lange wissen wir ja, dass es nicht reicht, die Eltern und Lehrer lieb zu bitten, die Kleinen doch gefälligst … Oder sich damit zu beruhigen, dass man ja auch im Internet ohne Lesen nicht vorankommt. Es geht um weitere Zusammen­hänge und Imaginationen.

Ich ertappe mich inzwischen gelegentlich dabei, mir zu wünschen, man sollte das Lesen anordnen. In meiner Jugend war man noch selbstverständlicher von Imperativen umgeben in freundlich gemeintem Befehlston, zum Beispiel: "Fasse dich kurz!" oder "Esst mehr Obst, und ihr bleibt gesund." Das las man an Gemüseläden und auf den Papiertüten, in denen man die gekauften Äpfel davontrug. Noch heute kann ich kaum in einen Apfel beißen, ohne daran zu denken (was auch heißt: ohne daran zu glauben).

Vielleicht sollten wir als Lehrer, Eltern, Buchhändlerin und Buchkenner unsere christliche Zimperlichkeit zwischendurch ablegen und ruhig etwas aggressiver andere zu Büchern und ihrer Lektüre verpflichten: Lies dieses Buch und erzähl mir, was drinsteht, dann darfst du auch am Samstagabend bis eins … A propos christlich: Schon Augustin (der heilige, nicht der liebe lustige August) wurde durch einen Imperativ auf seinen richtigen Weg gebracht, auf lateinisch natürlich (was ja noch viel abartiger ist als jedes Buch): "Tolle, lege!" "Nimm und lies!" Nimm ein tolles Buch und leg dich damit aufs Sofa. Aber man kann ja nicht immer darauf warten, dass einen der Engel besucht, dem man nicht widerstehen kann, es genügt, wenn der freundliche Nachbar spricht: "Haben Sie schon Donna Tartt gelesen? Nein? Sollten Sie aber. Dagegen ist jeder Tatort ein Glas Milch!"

Bücher sind in der Tat mehr als der dekorative Background für gepflegte Abendunterhaltungen. Sie sind die Stütze unserer Kultur, und nicht nur die eines wackligen Fernsehapparats. Man kann auch ruhig mal Leuten, die das nicht hören wollen, sagen, was Bücher einem (selbst) bedeuten, was für Wundertüten Bücher sind! Und gesund wie Äpfel sind sie auch!