Zwischen Zeilen: Lesung von Texten verfolgter Autoren

Aus der Gefängniszelle zum Amazonas

13. Oktober 2017
von Börsenblatt
Literatur von Menschen aus der Haft, aus Kriegs- und Krisengebieten – große, berührende Momente in der Frankfurter Katharinenkirche.  

Seit einigen Jahren ist die Frankfurter Katharinenkirche an der Hauptwache der Ort für eine der schönsten und stillsten Veranstaltungen während der Buchmesse. Schriftsteller und Dichter, die nach Frankfurt gekommen sind, lesen an den Messeabenden ab 18 Uhr Auszüge aus Büchern von Autoren, die in ihren Ländern nicht publizieren können oder sogar in Gefängnissen eingesperrt sind.

„Auf der Frankfurter Buchmesse zeigen uns die Verlage mit ihren Büchern jedes Jahr die Bedeutung und Vielfalt der Literatur auf. Uns wird dabei deutlich, welch hohes Privileg wir besitzen, all diese Bücher in Frieden und Freiheit lesen zu können. In vielen anderen Regionen ist das nicht der Fall“, schreiben die Veranstaltungsmacher, Janne Teller, Felicitas von Lovenberg, Stephan Detjen und Martin Schult, zur Idee der  kleinen großartigen Reihe „Zwischen Zeilen“. „Als Ausdruck des gegenseitigen Verstehens und als ein Zeichen der Solidarität mit den in Krisenregionen lebenden Menschen wollen wir mit den Lesungen ihre Literatur ehren.“

Um dies zu tun, waren am Donnerstagabend Michael Kleeberg, Moritz Rinke, Najem Wali und Can Dündar der Einladung gefolgt, Michael Kleeberg trug mit ruhiger, schöner Stimme einen Abschnitt aus dem im Iran verbotenen Roman „Der Colonel“ von Mahmud Doulatabadi vor. Der Colonel, das ist ein ehemaliger Geheimdienstoffizier des Schah, der Oppositionelle verfolgt und gefoltert hat und der nach der islamischen Revolution von 1979 nun selbst zum Verfolgten geworden ist. Doulatabadis Roman erzählt auf beklemmende Weise von den Verwerfungen einer Gesellschaft, die den Iran bis heute prägen. „Es ist ein Buch, das keiner Zensurbehörde gefallen kann“, glaubt Kleeberg, der Doulatabadi,  den wohl bekanntesten zeitgenössischen persischen Autor, persönlich kennt.

Gefallen wird der Zensur auch der Text nicht, den der im Berliner Exil lebende türkische Publizist Can Dündar vortrug: „Das  Paradox des Schriftstellers“. Der türkische Autor Ahmet Aktan, der im September 2016 verhaftet wurde, hat die Zeilen im Gefängnis verfasst, obwohl im der Zugang zu Kommunikationsmitteln untersagt ist. „Ja, ich  befinde mich in  einem Hochsicherheitsgefängnis mitten in der Wildnis“, schreibt er. Aber dann auch: „Du kannst mir an den Flüssen des Amazonas begegnen, an den Küsten Mexikos, in den Savannen Afrikas.“ Es ist ein Text, der im Gefängnis die Freiheit feiert: „Ich schreibe das in einer Gefängniszelle. Aber ich bin nicht im Gefängnis. Ich bin ein Schriftsteller. Ich kann ganz leicht durch Wände gehen.“