Bildungsmesse Didacta 2015 in Hannover

Der Atlas als 3-D-Movie

3. März 2015
von Börsenblatt
Während Integration und Inklusion Schlüsselbegriffe der bildungspolitischen Debatte sind, scheint bei vielen Bildungsverlagen die Weiterentwicklung digitaler Unterrichtsmedien im Fokus zu stehen. Publikumsrenner ist aber nach wie vor das Schulbuch mit seinen multimedialen und interaktiven Erweiterungen. Eindrücke von der Didacta in Hannover.

Ein Stichwort, das vor allem die Bildungsseiten der Medien beschäftigt, fehlte in den Eröffnungsreden der diesjährigen Didacta: Digitalisierung. Stattdessen war bei Bundesbildungsministerin Johanna Wanka und der niedersächsischen Kultusministerin Frauke Heiligenstadt von Migration, Integration und Inklusion die Rede – Themen, die in der bildungspolitischen Debatte inzwischen mehr Gewicht haben als die Frage, ob Klassenzimmer digital umgerüstet werden oder Bundesländer wieder zu G 9 zurückkehren sollen.

Der demographische Wandel, der von den Bildungsmedienverlagen wegen schrumpfender Schülerzahlen gern beklagt wird, erhält unter dem Stichwort "Migration" oder "Zuwanderung" einen neuen, vitaleren Unterton. Denn bis 2030 braucht Deutschland laut einer vom Bundesarbeitsministerium beauftragten Studie mindestens vier Millionen Einwanderer, um den Rückgang der Bevölkerung und den dramatischen Fachkräftemangel (bis zu zwei Millionen fehlende Fachkräfte) aufzufangen. Unter den Zuwanderern sind viele junge Menschen (etwa Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien), die eine Schul- oder Berufsausbildung machen wollen und dafür auch entsprechende Bildungsmedien brauchen. Ähnliches gilt für ältere Migranten mit Berufsqualifikation, die beispielsweise Sprachkurse belegen wollen.

Johanna Wanka sagte in Hannover, die Gesellschaft müsse den Bildungsanstrengungen der Migranten mit mehr Respekt begegnen. Berufliche Bildung sei der "Türöffner" für die Integration in die Gesellschaft. Pisa-Tests aus der jüngsten Zeit zeigten, dass Schüler mit Migrationshintergrund ihre Leistungen deutlich gesteigert hätten.

Gleichwohl war die Digitalisierung des Unterrichts das Thema, das die Bildungsmedienanbieter auf der Bildungsmesse interessierte. Dabei geht es längst nicht mehr um die Frage "Digitalisierung – ja oder nein?", sondern darum, das Verhältnis zwischen analogen und digitalen Medien auszutarieren. Wo sind digitale Angebote eine sinnvolle Ergänzung? Wo "können" sie Dinge besser als das herkömmliche Schulbuch? In welcher Situation sind die Lehrkraft und der Präsenzunterricht unverzichtbar? Wann kann ein Online-Tool den Dialog mit dem Lehrer ersetzen?

Digitales Kartenmaterial

Für Aufmerksamkeit auf der Didacta sorgten die beiden digitalen Schulatlanten von Westermann und Klett: Sowohl der "Diercke" (Westermann) als auch der "Haack Weltatlas" (Klett-Perthes) sind inzwischen in einer voll digitalisierten und um 3-D-Ansichten erweiterten Version erhältlich. Der digitale "Diercke" (auch als App erhältlich) enthält sowohl das gesamte Karten­material der Druckausgabe als auch zusätzliche 3-D-Karten, die für mehr Anschaulichkeit sorgen sollen. Die Karten können wahlweise gewünschte Informationen anzeigen und sind durchsuchbar: So gibt es eine Basisversion, in der Städte, Flüsse und Höhenzüge eingetragen sind, aber auch umfangreichere Versionen, in die beispielsweise Informationen zu Bodenschätzen, Energienetzen oder Verkehrswegen eingeblendet werden. Gleichzeitig lassen sich Kartenausschnitte in 3-D-Reliefansichten verwandeln, die bestimmte Phänomene deutlicher sichtbar werden lassen. Ein Beispiel: Mit Hilfe eines interaktiven Zeitstrahls lässt sich beispielsweise das Abschmelzen eines Alpengletschers demonstrieren. In der 3-D-Ansicht wird dann sichtbar, weshalb sich die talwärts erstreckende Gletscherzunge wesentlich schneller zurückgebildet hat: Weil diese Zone unterhalb einer Abbruchkante im Gestein liegt – eine topographische Besonderheit, die in der zweidimensionalen Aufsicht nur dem geübten Auge auffällt.

Komplett digital ist auch das Kartenmaterial des neuen "Haack Weltatlas" von Klett-Perthes. Hier werden die Karten in direkter Verbindung zu Google-Earth zusätzlich in dreidimensionale, dynamische Ansichten verwandelt, die man auch auf animierten Touren (wie etwa im Grand Canyon) "durchfliegen" kann. So lassen sich beispielsweise auch geographische Auswirkungen des Klimawandels anschaulich nachvollziehen.

Kontinuierlich ausgebaut werden auch digitale Unterrichtsmanager, die sowohl von der Lehrkraft für die Kursvorbereitung als auch für den Unterricht selbst genutzt werden können (wenn es eine interaktive Tafel gibt). Während Klett seinen "Digitalen Unterrichtsassistenten" erweitert, hat Westermann sein langjähriges Angebot "... rundum" zur "BiBox" weiterentwickelt.

Interaktive Flachbildschirme für das Klassenzimmer

Mit Macht versuchen die Anbieter von Whiteboards oder kompletten digitalen "Class Rooms" (etwa von Acer / Ricoh), in den Bildungsmarkt hineinzukommen. Davon konnte man sich in Halle 23 überzeugen. Neuester Trend bei elektronischen Tafeln: Nicht mehr das mit dem Beamer verbundene Whiteboard ist gefragt, sondern der hochaufgelöste, software- oder rechnergesteuerte interaktive Flachbildschirm, der die Berührungsempfindlichkeit eines Tablets hat. Bekannte Whiteboard-Hersteller wie Smart oder Promethean arbeiten inzwischen mit mehreren Dutzend Content-Partnern zusammen, darunter auch zahlreiche Bildungsverlage.

Bisher ist die flächendeckende Einführung digitaler Medien in deutschen Schulen am Geld, an mangelnden Kompetenzen und fehlendem politischen Willen gescheitert. Ohne eine ausreichende IT-Infrastruktur in Schulen und Klassenzimmern wäre dieser Schritt nicht zu gehen. Die Voraussetzungen dafür zu schaffen, ist unter anderem das Ziel des gemeinnützigen Vereins „Bündnis für Bildung – Vernetztes Lernen“, in dem Verlage (Cornelsen), Städte (Berlin, Nürnberg) und zahlreiche Computer- und IT-Produzenten Mitglied sind.

Ein Fortschritt in der Nutzung digitaler Medien in der Schule kündigt sich immerhin an: Der Verband Bildungsmedien, neben dem Deutschen Didacta-Verband ideeller Träger der Bildungsmesse, entwickelt den geplanten "Bildungslogin" weiter. Das Administrationstool soll künftig Nutzern den Zugang zu ihren digitalen Lernmedien erleichtern. Statt sich, wie bisher, für jede Plattform (also "Digitale Schulbücher", Scook, kapiert.de etc.) gesondert anzumelden, genügt künftig ein Login, um die elektronische Schulbibliothek mit ihren verschiedenen "Regalen" zu betreten. Wenn alles gut geht, soll noch in diesem Jahr der Startschuss fallen.

Publikumsliebling Schulbuch

Ungebrochen ist in Hannover das Interesse am klassischen Schulbuch mit seinen zahlreichen digitalen Erweiterungen. Auch hier gibt es Entdeckungen zu machen, etwa bei C.C. Buchner in Halle 16. Der mittelständische Verlag aus Bamberg nutzt seine Chance in der Nische und wagt sich mit innovativen Lehrwerkkonzepten vor. Mit „Tóngdào“ kommt demnächst ein vollkommen neu konzipiertes Lehrwerk für Chinesisch als dritte und spätbeginnende Fremdsprache auf den Markt – eine der Weltsprachen, die man an Gymnasien abschließen kann. Für den Kunstunterricht in der Oberstufe (oder auch ab Klasse 9) hat Buchner das "Kompendium Kunst" entwickelt, das die Themen systematisch gliedert, das notwendige Sach- und Hintergrundwissen entwickelt und die Methodik der Werkbetrachtung vermittelt.

roe