Vom Buch zum Nutzen

17. September 2015
von Börsenblatt
Die Zukunft des Buches, das haben mittlerweile praktisch alle Branchenteilnehmer erkannt, ist nicht seine Vergangenheit. Das gilt insbesondere für Fachbücher. Wenngleich von einigen als digitale Avantgarde der Verlage verstanden, sind auch die Player dieses Segments immer stärker gefordert. Der Grund: Die radikal andere Zukunft ihres Leitmediums.

Früher war alles besser – gerade in Fach- und Wissenschaftsverlagen. Geringes, aber stetiges Wachstum, eine leistungsfähige Wertschöpfungskette, in der sich die Marktteilnehmer aufeinander verlassen konnten, sehr ordentliche Gewinnmargen. Einzig die fortschreitende Konsolidierung durch große Verlage bereitete dem einen oder anderen Sorgen, längst aber keine schlaflosen Nächte. Selbst Innovationsschübe wie die Digitalisierung wurden von nicht wenigen ordentlich gemeistert. Kein Vergleich mit der über ein Jahrzehnt gebeutelten Musikindustrie, die von der Radikalität der Veränderungen zu Beginn der 2000er Jahre förmlich zerrissen wurde. Das ist Fach- und Wissenschaftsverlagen bisher erspart geblieben, für Tageszeitungs- und Zeitschriftenanbieter stehen die Zeichen allerdings eher schlecht.

Und heute? Ruhige Zeiten in den Verlagen? Tempi passati. Und daran sind ausnahmsweise nicht Bibliothekskonsortien oder Gesetzgeber schuld, wenngleich sich die Branche an diesen Fronten noch immer verkämpft.

Druck kommt längst aus anderen Richtungen, und die Themen sind fast austauschbar. Open Access, Digital Humanities, Self-Publishing: Kunden und Nutzer erwarten immer stärker Services, die mit der reinen Bereitstellung von Inhalten nur noch wenig zu tun haben. Ihre Helfer sind: Startups, kleine, wendige Unternehmen ohne einen Rucksack von Geschichte und Rücksichtnahmen, die mit viel Energie Neues bieten, ohne sich um Bestehendes zu scheren.

Zum Beispiel Inkitt.com. Das Versprechen: Diese Maschine kann Bestseller in der Belletristik identifizieren, natürlich nicht allein, sondern mit Hilfe tausender Leserinnen und Leser, die lesen, bleiben und wiederkehren. Ein Angstszenario für Lektoren? Wohl kaum, eher ein Instrument, das bei richtigem Einsatz helfen kann, Bilanzrisiken zu reduzieren und Kundenmeinungen besser zu berücksichtigen.

Oder Blinkist: Speedreading war gestern, heute helfen gut gemachte Digests, in nur 15 Minuten unterwegs das Wichtigste aus Sach- und Fachbüchern aufzunehmen und zu verstehen.

Die Liste ließe sich um viele smarte Ideen verlängern. Ob sie alle wirtschaftlich reüssieren werden, bleibt fraglich. Die Richtung aber ist deutlich: Dienstleistungen gewinnen an Bedeutung, helfen Nutzern, mit Inhalten zu arbeiten und sie zu genießen. Kundenbedürfnisse zu verstehen und aus dem Kauf- und Nutzungsverhalten von Leserinnen und Lesern Schlüsse auf deren Vorlieben zu ziehen, kann erheblichen Nutzen für Kunden und Verlage bedeuten. Dass hierfür moderne rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, versteht sich von selbst.

Und die Zukunft des Buches? Für all jene, die mit dem Aufstieg von Ebooks den Untergang des Abendlandes haben heraufziehen sehen, wird es wohl anstrengend. Natürlich wird es auch in Zukunft „klassische“ Leserinnen und Leser geben. Aber immer mehr Nutzer wagen es eben auch, Inhalte anders zu nutzen als Verlage sich das vorher überlegt haben. Die Bereitschaft, das zu akzeptieren wächst. Doch Unternehmen – und das sind Wissenschaftsverlage eben auch – werden nicht darum herumkommen, ihre Strukturen weiter anzupassen, um den Veränderungen Rechnung zu tragen. Drei Maßnahmen können dabei helfen.

Professionelles Innovationsmanagement

Verlage brauchen ab einer kritischen Größe ein professionelles Innovationsmanagement. Das systematische Screening des Marktes nach neuen Ansätzen und jungen Unternehmen, die sich auch in Nachbarbranchen finden können, ist Chefsache und sollte entsprechend verankert werden. Ein klares Verständnis von ökonomischen Bewertungsmodellen, der Arbeitsweise von Startups, genaue Kenntnis ihrer Gründer und eine höhere Risikobereitschaft als im Kerngeschäft erforderlich, sind unabdingbare Voraussetzungen für Erfolg.

Strategische Partnerschaften

Diese werden stärker in den Fokus rücken, nicht in erster Linie aufgrund fehlender investiver Mittel, sondern weil sie Newcomern und Platzhirschen ermöglichen, sich auf ihr jeweiliges Kerngeschäft zu konzentrieren und gleichzeitig die dringend erforderlichen Kompetenzen anderer für sich gewinnen können. Und das bedeutet nicht in erster Linie das Outsourcing von Produktionsschritten an Dienstleister, sondern die Zusammenarbeit mit (Teil-) Wettbewerbern in zentralen unternehmerischen Fragestellungen.

Workflow

Arbeitsprozesse ändern sich weiterhin, und zwar mit wachsender Geschwindigkeit. Viele Unternehmen sind erschöpft von ständiger Veränderung. Die Systematisierung und  eine teilweise Auslagerung von Innovationsprozessen kann helfen, Druck aus dem Tagesgeschäft zu nehmen, ohne sich Neuem zu verschließen.

Fach- und Wissenschaftsverlage haben sich im vergangenen Jahrzehnt geöffnet für neue Ansätze und Arbeitsweisen. Es gilt nun, diese Kultur weiterzutragen, um die nächste Welle der Digitalisierung zu meistern. Den Kunden und seine Anforderungen an die Nutzung wissenschaftlicher Publikationen, die über den Inhalt hinausgeht, ins Zentrum der Bemühungen zu stellen, ist bereits heute für erfolgreiche Unternehmen ein wesentlicher Treiber – und er wird an Bedeutung gewinnen.