Ergebnisse aus dem Projekt Verlagscockpit

Von einigen, die auf einen Hügel stiegen und auf einem Berg herauskamen

20. Juli 2017
von Börsenblatt
Das Thema Daten in der Buchbranche ist mittlerweile Dauergast auf allen Fachkongressen, die mvb hat 2016 mit dem Data Summit ein eigenes Format dafür geschaffen. Eine Controlling-Faustregel noch aus analogen Zeiten lautet, sich auf steuerungs- bzw. entscheidungsrelevante Daten zu konzentrieren. Neuerdings verspricht der Begriff »Smart Data« einen entsprechenden Mehrwert. Wie aber behält man in Zeiten permanent zunehmender Datenquellen und –mengen den Überblick? Woher bekommt man eine smarte Darstellung seiner smarten Daten?

Diese Frage stellten sich im Frühjahr 2015 die Initiatoren der Werkstatt Verlagscockpit kumavision, Heinold, Spiller & Partner sowie die Hochschule der Medien Stuttgart. In einem sehr gemischten Konsortium mit mehreren Softwareanbietern, Fach- und Publikumsverlagen sowie Hochschulen wurde die Frage in Angriff genommen, was ein Cockpit oder Dashboard bieten müsse, um datengestützte Entscheidungen in Verlagen zu unterstützen. Der Fokus lag von Beginn an auf der Darstellung verfügbarer Daten, auf die über Schnittstellen zur vorhandenen Systemlandschaft des jeweiligen Verlages zugegriffen wird.
In vier Arbeitsgruppen wurden relevante Daten, Kennzahlen und Steuergrößen aus den Bereichen Kunde, Content, Marketing/Vertrieb und Marktforschung diskutiert, definiert und als Mind Maps visualisiert. Die Ergebnisse stellen einerseits die Grundlage für die Entwicklungsprojekte der beteiligten Softwarefirmen dar, andererseits werden sie in Kürze als E-Book veröffentlicht – und hier auf bookbytes vorgestellt. Zwischenzeitlich haben mehrere Softwarefirmen auf Fachkongressen bereits Prototypen ihrer in Entwicklung befindlichen Verlagscockpits vorgestellt.


Neben diesen greifbaren Ergebnissen hat das Projekt weitere Ergebnisse zu Tage gefördert:

1. Gemischte Teams aus unterschiedlichen Stakeholdern (»Communities of Practice«) sind außerordentlich aufschlussreich
Diese weder neue noch spektakuläre Einsicht war im Projekt Verlagscockpit mit Händen zu greifen. Sowohl die gute Mischung der beteiligten Verlage, als auch der Austausch mit Dienstleistern und Hochschulen war erfrischend und horizonterweiternd. Von diesem Effekt kann man auch profitieren, wenn man für Zukunftsthemen und wichtige Entscheidungen im Unternehmen seine Lieferanten, Kooperationspartner bzw. Händler und Kunden einbezieht. Manchmal vielleicht sogar seine Wettbewerber?

2. Controlling verdient ein besseres Image
Ähnlich einer traditionellen Rivalität unter den Anhänger zweier Fußballmannschaften beäugen sich »Inhaltemenschen« und Controlling eher skeptisch. Punktuell schlechte Erfahrungen haben sich zum Teil zu Klischees verfestigt, unter denen beiden Seiten leiden. Denn in Wirklichkeit brauchen sie einander mehr denn je und können miteinander erfolgreicher sein als ohne oder sogar gegen einander.

3. Branchenlösungen werfen die Frage sinnvoller Standards auf
»Books are different« ist eine bekannte Standardformel. Verlage müssen sich aber sicher nicht in allen Punkte voneinander unterscheiden. In einigen Erfa-Gruppen profitieren die Teilnehmer bereits sehr vom Vergleich untereinander, als Vorbild kann sicher die Tagung der Herstellungsleiter in Irsee gelten. Durch sinnvolle Standards könnten solche Vergleiche noch deutlich aussagekräftiger werden. Im Projekt Verlagscockpit waren verschiedene Definitionen der Erfolgsgröße »Nettoumsätze« ein Beispiel für Vielfalt an einer Stelle, wo sie wenig vorteilhaft ist.

4. Standards erfordern eine verlagsübergreifende Zusammenarbeit
Elementare Zukunftsfragen und systemische Herausforderungen, wie sie sich der Buchbranche seit einiger Zeit präsentieren, lassen sich gemeinsam besser lösen. Abhängig davon, wo man die Grenze zieht, kann man sagen, dass wichtige Bedrohungen außerhalb der Branche anzusiedeln sind. Wenn einzelne Anbieter, eventuell auch Konkurrenten, zusammenrücken und gemeinsame Probleme auch gemeinsam angehen, kann die Lösung mächtiger und ressourcenschonender ausfallen. In diesem Zusammenhang sei auf das Interview mit Michaela Philipzen (Ullstein) verwiesen, die einen ähnlichen Appell formuliert hat. Andere Branchen sind auf diesem Weg schon weiter fortgeschritten und profitieren davon.

5. Branchenstandards benötigen eine kritische Masse und leben von Beteiligung
Ähnlich einem Online-Portal benötigen Standards eine kritische Masse, um wirksam zu werden. Über die reine Akzeptanz solcher Vereinheitlichungen hinaus werden sie umso besser, je mehr Betroffene sich beteiligen. Auf den verschiedenen Veranstaltungen zu den Zwischenergebnissen des Projektes Verlagscockpit plädierten Teilnehmer aus Verlagen für standardisierte Kennzahlen und ernteten Zustimmung. Der Versuch, auf den diesjährigen Buchtagen ein Pro/Contra-Streitgespräch in einem Workshop durchzuführen, scheiterte an einem fehlenden Kritiker solcher Standards. Ermutigende Zeichen, die es sinnvoll erscheinen lassen, einen Versuch in Richtung einheitlicher Kennzahlen zu wagen.

Aus dem Projekt Verlagscockpit könnte also wesentlich mehr entstehen, als die beschriebenen Softwareanwendungen. Die Initiatoren freuen sich über Kommentare und Anregungen und werden das Thema weiter vorantreiben. Wenn man erst einmal auf dem Berg steht, sind Aussicht und Überblick gleichermaßen gut. Es wäre schade, unverrichteter Dinge wieder herabzusteigen.