Wenn der Kunde randaliert: Verlage und Kundenservice im Internet

Kundenservice 2.0 oder: Gib uns unseren täglichen Shitstorm heute

30. Juli 2015
von Börsenblatt
Das Social Web wird zunehmend zum Ort für Kundenanfragen, verstärkt noch durch neue Funktionen etwa von Facebook, die Reaktionszeiten von Unternehmen bewerten. Dabei scheint der Umgangston aber oft mehr und mehr ungeduldiger und rauer, jeder Sturm im Wasserglas zum Shitstörmchen zu werden. Bleibt die Frage: Wie können Verlage mit dieser sich zuspitzenden Situation umgehen? Zumachen, einknicken oder souverän reagieren?

Man merkt es ja am eigenen Umgang: da geht etwas schief mit einer Bestellung, man hat Fragen zu einem Produkt – also schnell auf die jeweilige Seite (wer will heutzutage schon in Telefon-Hotlines verhungern?), Kommentar posten und dann ab Sekunde 10 ungeduldig warten, bis endlich eine sinnvolle Antwort erscheint. Nie war Interaktion mit einem Unternehmen bequemer. Und auch öffentlicher.

Facebook nutzt dies gezielt und belohnt fleißig und schnell reagierende Seitenbetreiber mit dem Label »Hohe Reaktionsfreudigkeit bei Nachrichten«, dazu muss diese Seite »in den letzten 7 Tagen die beiden folgenden Voraussetzungen« erfüllt haben: »Es wurde auf 90 % der Nachrichten geantwortet« und »Es wurde eine mittlere Antwortzeit von 5 Minuten für alle gesendeten Antworten eingehalten«. Fünf Minuten Reaktionszeit – bei Verlagen, deren Social Media-Verantwortliche meist viermal täglich auf die eigene digitale Dependence schauen?

Zwar versucht Facebook den Unternehmen durch vorgefertigte Antworten den Umgang mit Kundenanfragen zu erleichtern. Aber das Dilemma zwischen Qualität der Antwort und deren Schnelligkeit wird dadurch nicht wirklich behoben, denn der ungeduldige Nutzer will beides. Jetzt. Sofort. Und gerade Verlage, deren Kerngeschäft ja der Umgang mit Inhalten, auch und gerade der Diskurs darüber ist, sehen sich mehr und mehr damit konfrontiert, nicht nur Fragen nach der Lieferbarkeit von Büchern beantworten zu müssen. Und das gilt nicht nur für politische Aufreger-Literatur der Couleur eines Thilo Sarrazin – der potentielle Shitstorm lauert an den überraschendsten Stellen, sei es die Grill-Bibel, die einem virtuellen Veganer-Mob in die Hände fällt oder ein Buch über Evolutionsbiologie, das einigen bibeltreuen Kreationisten so gar nicht ins schiefe Weltbild passt.

Verzwickte Situation: da öffnen sich Verlage der virtuellen Diskussionskultur, erstellen interaktive (also im eigentlichen Wortsinn der Interaktion) Social Web-Seiten, Corporate Blogs sprießen wie Pilze aus dem Boden. Und prompt scheint das zarte Pflänzchen des Prosumenten-Dialogs der digitalen Erregungskultur zum Opfer zu fallen.

Shitstorm als Massensport?

Til Schweiger, angeblicher Schauspieler, ist wohl im Moment das öffentlichkeitsaufmerksamste Beispiel für diese vermehrt verrohende Diskussionskultur (wobei man nicht vergessen sollte, dass Schweiger in der Vergangenheit gerne selbst mit dem leicht entzündlichen Digital-Mob gespielt hat). Oder Komiker wie Dieter Nuhr, selbst Mobbing-Opfer, der sich etwa in der FAZ Gedanken um das Thema »Digitale Meinungsfreiheit« macht: »Das Internet, vor allem die sozialen Netzwerke, sind insofern zum mittelalterlichen Marktplatz verkommen. Die Orte, an denen die Scheiterhaufen lodern, heißen Facebook und Twitter … Die anonymen Massenaufläufe im Internet entheben den Einzelnen aus der bürgerlichen Verantwortlichkeit.« Man mag zwar dem Sänger Hubert von Goisern zustimmen, der meint, dass »am Ende die Deppen doch gleichmäßig auf dem Erdball verteilt sind«. Dumm nur, wenn mehr und mehr von Ihnen freien Zugang zum Internet haben.

Selbst die gute alte ZEIT nimmt sich des Themas an, etwa jüngst in der Glosse »Asoziale Netzwerke« von Jochen Bittner, der die Plattformbetreiber, aber auch den Gesetzgeber in der Pflicht sieht: »Deswegen wird es Zeit, mit Gesetzen nachzuhelfen: Entweder Twitter & Co. veranlassen das Einfache und Mögliche, um Erniedrigung, Mobbing und Hetze einzudämmen – oder diese Firmen müssen Bußgelder zahlen«.

Aber was hilft einem die gute und dringend nötige Diskussion um den Umgang mit Öffentlichkeit im Internet, wenn sich just der Mob, digitalen Geisterfahrern gleich, auf der eigenen Seite austobt?

Keep Calm – und habe einen Plan!

Nun ist es ja auch nicht zwingend so, dass stündlich auch politisch sensible Themen auf der eigenen Agenda stehen und den »Honeypot« für die Fackeln und Heugabeln reckenden Digitalverwahrlosten darstellen. Aber es wäre doch wieder an der Zeit, die eigene Social Media Policy aus der Schublade zu ziehen und darauf zu überprüfen, ob diese noch aktuell ist. In der Vergangenheit wurden diese oft unter dem Aspekt der »von-innen-nach-außen«-Kommunikation formuliert, also welcher Verlagsmitarbeiter was wann postet, welche Themen non grata sind etc. Jetzt wird es höchste Zeit, klar festzulegen, wie auf »von-außen-nach-innen«-Kommunikation reagiert wird. Hier geht es beileibe nicht nur um Themen wie Tonalität. Hier geht es um die klare Definition von Reaktionszeiten, aber auch die inhaltliche Verantwortlichkeit. Gerade in die Tiefe gehende Nachfragen (es müssen ja nicht immer gleich Anwürfe sein) können von den Mitarbeitern aus Marketing oder Vertrieb, in deren Verantwortung aber der Betrieb der digitalen Kommunikation meist liegt, schlecht beantwortet werden. Hier muss definiert werden: wollen Verlage diese tiefergehende Kundenkommunikation? Und wenn ja, wer aus Lektorat oder Redaktion wird dafür mit nötigem Zeitbudget (!) im Hintergrund abgestellt? Und wenn es mal so richtig kritisch wird, mag es auch durchaus gut sein, schon zum Schutz der Mitarbeiter, den Geschäftsführer oder Verleger selbst in einen Eskalationsplan aufzunehmen.

Vielleicht ist es auch möglich, Autoren in diese Kommunikation mit einzubeziehen? Schließlich ist niemand näher an den Themen als diese. Doch auch dies ist mit Fingerspitzengefühl anzugehen, nicht nur organisatorisch (die wenigsten Autoren werden logischerweise bereit sein, eine zugespitzt formuliert zügige Reaktionszeit mitzutragen). Hat ein Unternehmen noch die durch Mitarbeiter getragene Unternehmenskommunikation im Griff, ist dies bei Autoren oft nicht möglich und der eine oder andere Autor, der sich persönlich angegriffen fühlt, vermag durchaus, einen Entrüstungssturm erst so richtig mit Kohlen und Benzin anzufachen.

Monitoring: Da draußen wird schon lange über Sie geredet!

Im Übrigen ist es auch nicht zwingend so, dass alles an Meinungszuckungen im eigenen digitalen Umfeld passiert und dort beaufsichtigt werden kann, im Gegenteil. Gerade Meinungsführer (echte oder vermeintliche) nutzen ihre eigenen Möglichkeiten, etwa Blogs oder Facebook-Gruppen, um außerhalb des eigenen Sichtfelds Unmut zu publizieren. Das nimmt dann Formen an wie etwa der Beitrag »Warum ein Schlüpper im Handgepäck nicht reicht oder: Wie eine Flugreise nicht sein sollte« der bekannten Reisebloggerin Tanja Neumann – der Artikel ist auch ein sehr gutes Beispiel, wie man als Unternehmen »Krisenkommunikation« möglichst nicht betreiben sollte.

Insofern ist es unerlässlich, ein regelmäßiges und ordentliches Monitoring aller relevanten Begriffe rund um den eigenen Verlag und die eigenen Produkte zu betreiben, um möglichst frühzeitig reagieren zu können.

Die Reaktion: Kuschen oder Gegenhalten?

Man muss es natürlich nicht gleich so machen wie eine anonyme Kundendienst-Seite auf Facebook, die dem zunehmenden Kundenterror mit teils drastischen verbalen Mitteln gegenhält – und damit sicher vielen entnervten Kundendienstmitarbeitern aus der Seele spricht.

Aber einer Branche, die ansonsten den oben erwähnten inhaltlichen Diskurs nie scheute, steht ein durchaus selbstbewusster Umgang mit dem Thema Kundenkommunikation durchaus gut zu Gesicht. Eben ein selbstbewusstes Eintreten für die eigenen Inhalte. Und man sollte auch nie vergessen, dass es echten Randalierern gar nicht um eine offene inhaltliche Auseinandersetzung geht, sondern nur um das Postulieren der eigenen Bräsigkeit. Die Ausübung eines digitalen Hausrechts ist nicht nur legitim, sondern mitunter auch zwingend, allerdings sollte dies dann auch offen kommuniziert werden. Und wenn der ganzen Sache gar nicht mehr Herr zu werden ist, kann man auch durchaus die Methode eines Alt-Bundeskanzlers anwenden, der nicht ganz zu Unrecht meinte, die »Karawane werde schon weiterziehen« und das Ganze aussitzen. Aber das darf wirklich nur letztes Mittel sein.

P.S. Übrigens sind nicht nur die Internet-Klowandbeschmutzer zu Shitstorms fähig, erinnert sei nur an die Rage vieler sonst braver Buchhändler, als Carlsen einen Conni-Band veröffentlichte, in dem die Titelfigur einen Amazon-Gutschein als Geschenk bekam. Die Folge waren Erregungs-Laola-Wellen im Social Web bis hin zu dort publizierten Aufrufen, alle mögen doch jetzt bitte den Vertriebsleiter anrufen und sich beschweren. Da fällt einem doch gleich Matthäus 7.3 ein.