Zum Start von Prime Now

Ein Besuch bei Amazon

13. Mai 2016
Redaktion Börsenblatt
Am vergangenen Mittwoch hat Amazon in Berlin seinen Lieferservice Prime Now gestartet – auch für Bücher. Ich habe das Versandlager im Kudamm-Karree besucht und mich bei Amazon-Sprecher Stephan Eichenseher über Prime Now informiert.

Generell gilt: Prime Now können nur Amazon-Prime-Mitglieder nutzen, die für ihre Mitgliedschaft im Jahr € 49,00 bezahlen. Bestellen kann man nur über die App Prime Now. Und um an dieser Stelle gleich ein Missverständnis auszuräumen, das in einigen Medien kolportiert worden ist: Amazon Prime Now liefert nicht innerhalb von zwei Stunden, sondern innerhalb von zweistündigen Zeitfenstern. (Kostenlos bei einem Mindestbestellwert von € 20,-) Wer also beispielsweise nach 12:00 Uhr bestellt, kann frühestens zwischen 14:00 und 16:00 Uhr beliefert werden. Man kann jedoch generell jedes zweistündige Zeitfenster zwischen 8:00 und 00:00 Uhr wählen. Dies sei, so Pressesprecher Stephan Eichenseher, auch die Hauptmotivation der meisten Kunden. Nicht die Bestellung aufgrund einer Notfallsituation (»Peter und Reglind kommen heute Abend überraschend zum Essen!«), sondern der zeitsparende Einkauf bzw. dessen terminierbare Zustellung. Nur wer es ganz eilig hat, wird gegen eine Gebühr von € 6,99 innerhalb einer Stunde beliefert – sofern er sich in einem bestimmten Umkreis von der Station befindet.

Die Berliner Station

Den Prime Now-Service gibt es bisher in den USA, England, Japan und Italien. Berlin ist die erste Station in Deutschland. Weitere Standorte sind hierzulande zwar geplant, aber noch nicht spruchreif. Auf 3.000 qm Fläche – übrigens ziemlich genau die Fläche, die einstmals eine Filiale der Buchhandlung Kiepert beherbergte – werden derzeit etwa 20.000 Artikel angeboten, um deren Bereitstellung sich insgesamt 55 fest angestellte MitarbeiterInnen kümmern. Die Auslieferung an den Kunden per eCargo-Bike erledigen zwei externe Dienstleister. Auf meine Frage nach der Mietsicherheit dieser Fläche – der Komplettumbau des gesamten Kudamm-Karree wird seit einem gefühlten Jahrzehnt in der Stadt diskutiert – reagiert Stephan Eichenseher gelassen. Auch der Hinweis, dass im Januar dieses Jahres neue Pläne für das gesamte Areal vorgestellt wurden, bringt ihn nicht aus der Ruhe. »Pläne ändern sich bekanntlich schnell.« Die Standortwahl lässt jedenfalls vermuten, dass Amazon-Prime-Mitglieder überwiegend im westlichen Stadtgebiet zu Hause sind.

Die Kunden von Prime Now

Stephan Eichenseher erwartet in Berlin keine signifikante Abweichung vom Kundenverhalten an anderen Standorten. Die ersten Tage jedenfalls hätten dazu keinen Anlass gegeben. Gefragt seien hauptsächlich Waren des täglichen Bedarfs. Lebensmittel und Getränke, Haushaltswaren, Spielzeug und Artikel rund ums Baby, Geschenkideen und Tierbedarfsartikel. Dem Aufbau der App kann man wohl das erwartete Umsatzranking der Warengruppen entnehmen. Die Auswahl der 20.000 Artikel wurde im wesentlichen den Verkaufserfahrungen in anderen Ländern entnommen.

Es sieht so aus, als hätte die Akzeptanz des Angebots in Berlin die Erwartungen übertroffen. Meine Beobachtungen haben jedenfalls ergeben, dass manche Artikel, die am Freitag mittag noch in der App auftauchten (gekühlte Getränke wie Bier, Wein und Sekt sowie Frischobst und Gemüse), am Abend im Katalog bereits verschwunden waren. Die App zeigt in Echtzeit nur die Waren an, die tatsächlich sofort geliefert werden können. Mit der Nachlieferung aus dem Logistikzentrum im brandenburgischen Brieselang scheint es noch etwas zu hapern.

An dieser Stelle kann sich das Argument des zeitsparenden Einkaufs schnell in den Schwanz beißen. Wenn ich zwar Wein, aber keine Tomaten, Dosensuppen, aber keine frische Milch, Knabberzeug, aber keine frischen Brötchen bestellen kann, erspart mir auch Prime Now nicht den Weg zum Gemüsehändler, Bäcker und/oder Supermarkt. Ganz abgesehen davon, dass sich nicht nur das Angebot an Wein und Sekt so gut wie ausnahmslos im niedrigen Preissegment bewegt und damit bestimmte Kundengruppen überhaupt nicht anspricht. Doch hier wird Prime Now sicherlich schnell nachjustieren und ein Angebot zusammenstellen, das dem Bedürfnis möglichst vieler Kunden entspricht. Dabei helfen die Sucheingaben der Kunden, die ein Algorithmus genauestens analysiert. Außerdem wird man die regionalen Besonderheiten des Berliner Marktes genau in Augenschein nehmen und sich nicht nur auf die Erfahrungen in anderen Städten verlassen. Kundenbesuche sind bei Prime Now jedoch nicht erwünscht. Sie würden nur die eng getakteten Auslieferungsprozesse stören.

Bücher per Prime Now

Das Angebot an Büchern ist bescheiden, die App verzeichnet derzeit keine 500 Titel. Ein buntes Sammelsurium aus Amazon-Beststellern, Kinderbüchern, Sprachlehrwerken, Kochbüchern, Ratgebern, juristischen Texten … Auch hier, so Stephan Eichenseher, habe der Amazon-Algorithmus Pate gestanden. Mit knapp über 100 DVDs und Videogames ist auch dieses Angebot überschaubar – jedenfalls noch. Im Vergleich zu den Waren des täglichen Bedarfs spielen bei Prime Now Unterhaltung und Bildung offenbar eine untergeordnete Rolle. Das könnte sich selbstverständlich ändern, doch die Erfahrungen an anderen Standorten scheinen dagegen zu sprechen.

Für den stationären Buchhandel ist der neue Service von Amazon derzeit also von geringer Relevanz. Und es sieht nicht so aus, als würde sich daran grundsätzlich etwas ändern. Denn dazu müsste Amazon die Fläche seines Prime Now-Service erheblich vergrößern. Und daran ist angesichts der innerstädtischen Mietpreise wohl kaum zu denken. Die erhebliche Beschleunigung der Zustellung und die Wahlmöglichkeit der Zustellzeit setzen jedoch andere Branchen des Einzelhandels unter Druck. Und verändern die Erwartungshaltung der Kunden an den gesamten Handel. Das sollte man im Auge behalten.