Kommentar von Tamara Weise

Libri und sein Regalservice für den Buchhandel: Ist das wirklich nötig?

9. Januar 2013
von Börsenblatt
Der neue Regalservice von Libri hat Potenzial - und doch bleiben Zweifel. Bedeutet das nicht allerorten Einheitsbrei? Ja und nein, meint Börsenblatt-Redakteurin Tamara Weise. Eigentlich ist es eine smarte Idee: Customer Relationship Management in dieser Richtung weiter zu denken. Nur darf Libri dabei nicht patzen. 

Neuer Freiraum ohne Risiko?
Für das Sortiment ist der Service erst einmal eine runde Sache. Buchhändler geben zwar Arbeit ab – aber keinen Umsatz. Und sie müssen keinen Cent dazu bezahlen.

Klingt alles zu schön, um wahr zu sein? Das bleibt abzuwarten. Stories! zum Beispiel, die Hamburger Vorzeigebuchhandlung, nutzt den Libri-Service als Pilotkunde schon seit längerem. Allem Anschein nach fährt Inhaberin Annerose Beurich recht gut damit. Dass sie freiwillig Kompetenz abgibt und den Einheitsbrei im Regal fördert, lässt sich ihr nicht vorwerfen. Jeder, der ihre Buchhandlung schon einmal betreten hat, kommt mit einem "Ah" und "Oh" auf den Lippen wieder heraus. Stories! profiliert sich bei seinen Kunden anders. Wenn Buchhändler also ihre Nischen-, Neben- und Kleinstabteilungen – die ohnehin eher Last denn Lust und auch für ihr Profil kaum von Bedeutung sind – extern bewirtschaften lassen, dürften sie kaum verlieren. Dann haben sie die Chance, tatsächlich ihren Spielraum zu erweitern und auf lange Sicht sogar Zeit zu gewinnen.

Wenn sie die Sache nicht als Selbstläufer betrachten: Libri liefert zwar automatisch und zum Wunschtermin, entbindet Buchhändler aber nicht von der Pflicht, sich genau anzuschauen, was da ins Regal wandert – wie winzig das Thema aus Umsatzsicht auch sein mag.

Ein Kunde, der nach den Vorzügen (oder Nachteilen) eines Buches fragt oder um eine inhaltliche Einschätzung bittet, will nicht die Antwort hören: "Da fragen Sie den Falschen - das Regal wird jetzt von meinem Großhändler betreut." 

Geht es nicht doch wieder nur um Warengruppen-Pakete?
Nein. Mit Warengruppenpaketen hat das Ganze so viel zu tun wie ein Buch mit einem Stück Butter: Beide sind viereckig, aber das war's dann auch schon. Warengruppenpakete fragen nicht nach individuellen Faktoren. Da werden – zu einem Themengebiet - Novitäten und Backlisttitel nach Vorgaben zusammengefasst, die das Barsortiment festlegt. Von außen bleibt dieses System weitgehend undurchsichtig. Kurzum: Der Abschied von der Einheitspaketdenke hin zu einem individuelleren Sortimentsmanagement dürfte vielen im Buchhandel leicht fallen - ohnehin ist er längst überfällig. 

Versinkt der Buchhandel nun bald im Einheitsbrei?
Dreh- und Angelpunkt der neuen Dienstleistung ist ein Algorithmus, an dem Libri gut zwei Jahre gearbeitet hat. Er entscheidet, welche Titel ins Regal kommen – indem er Daten bündelt und auswertet.

Wie ausgewogen diese Entscheidung ausfällt, darüber lässt sich kaum urteilen. Libri hält die Formel, nach der der Algorithmus rechnet, unter Verschluss. Fest steht: Das Barsortiment gewichtet Marktdaten (bundesweit, regional, lokal) mit Daten aus der Buchhandlung (Abverkäufe aus dem Warenwirtschaftssystem, Vorlieben des Buchhändlers und seine Präsentationsmöglichkeiten im Laden) – und ermittelt daraus Verkaufstrends. Eigentlich eine smarte Idee: Customer Relationship Management in dieser Richtung weiter zu denken.

Dabei darf Libri jedoch nicht patzen. Der Buchhandel lässt sich ungern fernsteuern, legt zurecht Wert auf eine individuelle Auswahl – eine Auswahl, die er selbst in der Hand hat. Das erwarten seine Kunden. Und das ist sein Kapital: Ob es nun ums gewichtige und für das Auskommen entscheidende  Profilsortiment geht, oder eben um ein Nebenthema.

Inwieweit sich das Einheitsangebot im Buchhandel ausbreitet, hat jeder weiterhin zu einem guten Teil selbst in der Hand – Regalservice hin oder her. Dafür muss sich das Sortiment jedoch damit beschäftigen, die Regeln für den Regalservice möglichst genau zu definieren. Anders gesagt: Die Dienstleistung ist zwar nützlich, aber kein Sorglos-Paket. Sie ersetzt keine Kompetenz – sondern ruft geradezu danach.

Eine Hand wäscht die andere?
Der Regalservice, könnte man meinen, öffnet Libri Tür und Tor. Wäre doch praktisch: Libri sichert sich Fläche im Sortiment – und dealt damit. Sucht also nach Verlagen, die hier neue Vertriebsmöglichkeiten sehen und gewährt ihnen eine bevorzugte Platzierung etc. (gegen Gebühr natürlich) ...  

Das wäre vielleicht praktisch für Libri, aber auch plump und kurzsichtig – und ist insofern unwahrscheinlich. Strategisch dürfte es Libri eher um etwas anderes gehen (siehe unten).

Jeder Algorithmus hat seine Grenzen, nicht alles lässt sich berechnen. Und weil das so ist, braucht Libri Unterstützung. Die holt sich das Unternehmen bei Verlagen (G+U, Carlsen, Ravensburger etc). Wie und in welchem Umfang dabei genau unterstützt wird, bleibt zwar im Dunkeln. Jedoch legt das Barsortiment größten Wert darauf, dass die Verlage als Kompetenzverlage bezeichnet werden – nicht etwa als Vertriebspartner.

Libri zufolge helfen sie lediglich dabei, dass der Algorithmus rund läuft und auch wirklich die richtigen Einkaufsentscheidungen trifft – mit Blick auf alle gut fünf Millionen Katalogartikel. Ihre eigenen Programme zu vermarkten, darum würde es jedenfalls nicht gehen, heißt es. Das muss man Libri wohl vorerst erst einmal abkaufen, und zugleich beobachten.

Entsteht ein neues Nadelöhr für Verlage?
Wer den Regalservice nutzt, erwirbt eine Art Abo – auf gut verkäufliche Ware. Dagegen ist nichts einzuwenden, allerdings hat dieses Verfahren auch so seine Tücken: Was machen die, die (aus welchem Grund auch immer) gar nicht bei Libri gelistet sind? Sie schauen in die Röhre und sind jetzt im Grunde gehalten, bei Libri in dieser Sache mal genauer nachzuhaken.      

Bringt der Regalservice andere Barsortimente in Zugzwang?
Libri hängt die Latte ziemlich hoch, prescht voraus - auf der Suche nach neuen Umsatzfeldern. Dass der Regalservice des Unternehmens zündet, ist absehbar. Gut denkbar, dass das Verfahren auch das Zeug zu einem neuen Standard hat (andere also auch nachziehen müssen).

Mehr in Dienstleistungsangebote zu investieren – was andere Barsortimente sicher ebenfalls tun – ist richtig. Allerdings sollten diese Angebote nicht (nur) von der Stange sein. Effiziente Prozesse und Individualität müssen sich nicht ausschließen.