Selfpublishing-Experte Wolfgang Tischer im Gespräch

Mekka für Selbermacher

5. März 2015
von Börsenblatt
Blogger, Leser, Schreiber: Leipzig bringt sie zusammen. Das Frühjahrshighlight der Buchbranche gilt seit Jahren als Mekka der Selfpublisher. Wolfgang Tischer, gelernter Buchhändler, Selfpublishing-Experte und Betreiber von literaturcafe.de, zum Status Quo der Szene. Außerdem: Die besten Veranstaltungen für Autoren ohne Verlag.

Nennen Sie doch zum Start mal drei Selfpublisher die jeder kennt…
Hier beginnt das Problem - diese drei Selfpublisher gibt es nicht. In meinen Selfpublishing-Seminaren stelle ich aus Neugier am Anfang die Frage: "Wer kennt Nika Lubitsch, B. C. Schiller oder Poppy J. Anderson?" Meist nur Kopfschütteln. Das sind deutschsprachige Autoren, die Zehntausende von E-Books verkauft haben, aber der breiten Leserschaft sind sie nahezu unbekannt. Daher dürfte die bekannteste Autorin, die aus dem Selfpublishing-Umfeld stammt, wohl eher E. L. James sein.

Und auch die kennt man erst, seit "Fifty Shades of Grey" gedruckt in namhaften Verlagen erschienen ist. Den Selfpublishern haftet nach wie vor ein schlechtes Image an. Wie können sie das ausräumen?
Sie könnten bessere Bücher schreiben. Ich war dieses Jahr wieder in der Jury des "Indie-Autor-Preis", der in Leipzig verliehen wird und von neobooks beziehungsweise Droemer Knaur veranstaltet wird. Das ist immer meine jährliche geballte Dosis an selbst veröffentlichten Texten. Da muss man dann doch oft tief durchatmen. Die Bestsellerautorin Nina George hat unlängst gesagt, solange ein E-Book gekauft werde, könne man dem Selfpublisher nichts von Erzähltechniken erzählen. Schaut man sich die Spitze der Verkaufscharts an, so ist da durchaus was dran. Viele Selfpublisher leisten sich einen mehr oder weniger professionellen Lektor, aber damit allein ist es eben nicht getan. Mangelhafte Erzähltechnik und Sprachumgang verbunden mit nervender Selbstvermarktung sind allzu oft abschreckend.

Sie stehen den Selfpublishern mit Rat und Tat zur Seite. Was werden Sie am häufigsten gefragt?
"Kann ich bei Ihnen im literaturcafe.de mein Buch vorstellen?" Die Frage, was man tun kann, um sein selbstverlegtes Buch bekannt zu machen, ist in der Tat der Klassiker. Denn anders als es die Medienberichte von erfolgreichen Selfpublishern suggerieren, die es auch jetzt im Umfeld der Leipziger Messe wieder geben wird, ist das Ringen um Aufmerksamkeit und Leser ein hartes Brot. Ansonsten wird ganz allgemein gefragt, wie man sein Werk ohne Verlag veröffentlichen kann und welche Strategie die beste ist. Auch nach meiner Meinung zu bestimmten Dienstleistern werde ich immer wieder gefragt.

Gut möglich, dass Ihnen der soeben gegründete Selfpublisher-Verband ein wenig Arbeit abnimmt. Welche Rolle kann der Verband über solche Beratungsleistungen hinaus spielen?
Ich selbst habe so meine Probleme mit Verbänden und Vereinen. Es ist eine Ansammlung der unterschiedlichsten Einzelinteressen. Autoren haben oft ein großes Ego, das bei Selfpublishern nicht minder ausgeprägt ist. Dieser Verband wurde ja auch gegründet, um beispielsweise gegenüber Dienstleistern bessere Verhandlungspositionen zu haben. Es bleibt abzuwarten, wie stark die Stimme des Verbandes auf anderen Gebieten sein wird.

Mit ihrem Buch auffällig in den Buchhandlungen platziert zu sein - davon träumen Autoren. Zur Buchmesse starten BoD und die Buchhandelsgenossenschaft eBuch nun eine Kooperation, um mehr Präsenz von Selfpublishing-Titeln im Buchhandel zu erzielen. Selfpublisher und der Buchhandel: Wie beurteilen Sie die Beziehung?
Diese Beziehung ist schwierig. Natürlich haben viele Autoren den Traum, dass ihr Werk gedruckt und in Leinen gebunden in den Buchhandlungen steht. Speziell Selfpublisher kommen sehr schnell auf den Geschmack, wenn sie die ersten drei oder vier Exemplare ihres E-Books verkauft haben. Und dann gibt’s die ersten Likes auf Facebook und sehr häufig die Frage aus dem Freundes- oder Verwandtenkreis: "Kann ich dein Buch auch in der Buchhandlung kaufen?" Und nun machen sich die Selfpublisher auf den Weg dorthin, weil sie sich sagen: Wenn mein Buch im Internet so viel Zuspruch bekommt, dann findet das sicher auch der Buchhändler gut und stellt das in seinen Laden.

Das dürfte eher selten klappen.
Ja, ein Großteil der Buchhändler ist mittlerweile eher genervt von Selfpublishern. Autoren in der Buchhandlung, die fragen, ob man ihr Buch vorrätig habe, oder die dieses heimlich in die Frontalpräsentation rücken, sind ja seit jeher nicht ganz so beliebt. Jetzt aber werden viele Buchhändler nicht nur persönlich, sondern auch mit Mails bombardiert oder mit Posts auf ihren Facebook-Seiten, in denen Autoren ihr Werk anpreisen. Und seien wir ehrlich: die meisten davon sind so schlecht, dass sich die Buchhändlerin nur in ihren Vorurteilen bestätigt sieht, dass Titel von Selfpublishern nicht wirklich - sagen wir es mal vorsichtig - zum Verkauf geeignet sind.

Wie erhöhen Selfpublisher ihre Chancen auf einen Platz im Regal der Buchhändler?
Viele Ansätze zielen primär auf den regionalen Bezug, so auch der von BoD und eBuch. Entweder kommt der Autor aus der Region oder der Roman spielt dort. Das könnte das Werk für die Kundschaft interessant machen. Aber das bringt natürlich nichts, wenn der Titel inhaltlich und sprachlich nicht überzeugt oder das Cover mies ist. Hier die passenden Titel zu finden, das sehe ich nicht als einfache Aufgabe, und ich bin selbst gespannt, ob solche Kooperationen die Präsenz der Selfpublisher im Handel steigern können. Es ist ja nicht so, als ob die Buchhandlungen nicht auch sonst genug Bücher zu verkaufen hätten.

Anders sieht es beim E-Book aus. Laut Bitkom-Studie haben 18 Prozent der Nutzer von E-Books schon mal Texte von Selfpublishern gelesen und elf Prozent haben sogar eigene Texte publiziert. Hier scheinen Selfpublisher über mehr Know-how zu verfügen als so mancher Verlag.
Und genau an dieser Stelle beginnt auch für den Buchhandel ein viel interessanterer Aspekt am Phänomen des Selfpublishing. Die Bitkom-Studie zeigt das auf, was oft ironisch überspitzt wird: "Es gibt bald mehr Leute, die Bücher schreiben als die, die sie lesen." Ich habe seit Jahren viel mit Schreibanfängern zu tun und finde es immer wieder ernüchternd und erschreckend, wie viele Leute ein Buch schreiben, aber ganz selten selbst in eine Buchhandlung gehen. Hier liegt das eigentliche Potenzial für den Handel!

Der Autor soll nicht verkaufen sondern kaufen?
So ähnlich. Man könnte sich ganz neue Kundenkreise erschließen, indem die Buchhandlung nicht nur der Ort ist, an dem Bücher verkauft werden, sondern auch der Ort, an dem man erfährt, wie man sie veröffentlicht. Buchhandlungen könnten Selfpublishing-Seminare anbieten oder regionale Autoren berichten von ihren Erfahrungen. Plötzlich sind ganz andere Leute im Laden. Ich bin überzeugt davon, dass dieser Weg das Selfpublishing viel nachhaltiger in den Buchhandlungen verankern und Vorurteile abbauen könnte - und vor allen Dingen für alle Seiten gewinnbringender ist.

Die Leipziger Buchmesse gilt als Mekka für Selfpublisher. Warum?
Lange vor Frankfurt hat man mit autoren@leipzig in Leipzig den Autoren einen Ort auf der Messe gegeben. Seit einiger Zeit gibt es die erfolgreiche Leipziger Autorenrunde, quasi ein Parallelkongress am Messe-Samstag, der nicht nur Selfpublishern wertvolle Tipps und Einblicke in die Branche liefert. In einer Interviewreihe, die zusammen mit der Messe organisiert wird, habe ich im Forum autoren@leipzig z. B. Sebastian Fitzek und Arno Geiger zu Gast, um nicht nur über ihre Bücher, sondern auch über das Autorendasein zu sprechen. Gerade Fitzek ist - obwohl Verlagsautor - nah dran an seinen Lesern und Fans. Das wollen ja auch die Selfpublisher. Die Messe bietet unheimlich viel Austauschmöglichkeiten, um voneinander zu lernen. Und mit der Blogger-Lounge erschließt Leipzig in diesem Jahr auch für Selfpublisher wichtige Multiplikatoren, die man dort persönlich treffen kann.

Welche Veranstaltungen in Leipzig sollten Selfpublisher nicht verpassen?
Man sollte auf jeden Fall bei autoren@leipzig in Halle 5 vorbeischauen. Auf der Bühne des Forums B 600 gibt es an allen Tagen eine ganze Reihe von interessanten Veranstaltungen. Es lohnt sich, hier im Vorfeld ins Programm zu schauen und das individuell Interessante herauszupicken. Ich persönlich finde die "Meet & Greet"-Veranstaltungen der unterschiedlichsten Dienstleister und Plattformen interessant. Da kann man die Selfpublisher und ihre zahlreichen Fans und Leserinnen live erleben und man bekommt ein Gefühl dafür, welche Leserinnenpower hinter diesen Einzelkämpfern steckt. Das können Online-Bestsellerlisten nur bedingt vermitteln.