Porträt Guido Zanolli

"Der steht immer wieder auf"

14. Juni 2007
von Börsenblatt
Der Aufsteiger von einst ist grandios gescheitert. Was bleibt, ist die Einsicht in Fehler. Und der feste Vorsatz, noch mal zu beginnen.
Als Betrüger ist er tituliert worden. Man hat gefordert, sein Gehalt zu pfänden. Das war öffentlich, beides, vor großer Versammlung. In Internetforen haben ehemalige Mitarbeiter ihrem Frust freien Lauf gelassen. Es ist nicht leicht, in diesen Monaten Guido Zanolli zu heißen. Und haben sie nicht recht mit ihren Vorwürfen? Kann man sie nicht verstehen, die früheren Angestellten der Zanolli Art Design Buch- und Medienversand GmbH, die jetzt arbeitslos sind und viel Wut im Bauch haben? Ist es je leicht, wenn man scheitert wie der Unternehmer Guido Zanolli? Wie hält man das aus? Die Anschuldigungen, vor allem aber den Konkurs seines Unternehmens, mit all den Folgekosten – eine der größten und folgenschwersten Pleiten in der jüngeren Geschichte der deutschen Buchbranche? Wie wird jemand mit dem Absturz fertig, der es vom kleinen Sortimentsbuchhändler binnen kurzer Zeit zum Großanbieter im Modernen Antiquariat gebracht hat, mit 240 Mitarbeitern, 15 Millionen Titeln am Lager und einem Jahresumsatz von fast 40 Millionen Euro? Wie verkraftet er einen gigantischen Schuldenberg von vielen Millionen Euro, Hunderte von Gläubigern, Nachforschungen der Staatsanwaltschaft, den Aufruhr einer ganzen Branche, weil eine ihrer Kerninstitutionen, die BAG, mit vom Strudel der Insolvenz erfasst wurde? Ist er einsichtig, trotzig, verletzt? Und wie macht er weiter? Tränen und durchwachte Nächte Guido Zanolli kann eines, er kann reden: über die Angst, über schlaflose Nächte und lange Wanderungen durchs Haus: "so viele Kilometer", über die Tränen: "Ich kenne keinen Unternehmer, der in der Situation nicht geheult hätte." Die Familie habe ihn aufgefangen. Mit seiner Frau hat er nächtelang gesprochen: "Ich wusste, dass ich mich auf sie verlassen kann, schließlich kennen wir uns seit 23 Jahren – aber nicht, dass sie so bei mir steht", sagt er. "Es gab Momente, wo ich dachte, ich halte das nicht durch, das wünsche ich keinem." Eines sei ihm dennoch erspart geblieben: Suizidgedanken. Der Ärger über sich selbst, das Nachdenken über katastrophale Fehlentscheidungen, das ist nicht vorbei. Aber das Schwierigste hat er hinter sich: die Einsicht in das Unabwendbare, das Scheitern: "Es hat lange gedauert, das zu akzeptieren. Aber einen anderen Weg gibt es nicht", weiß Guido Zanolli. Inwieweit er die Kritik anderer an seinem Unternehmertum im Kern wirklich akzeptiert, ist schwer zu sagen. Erstaunlich leicht räumt er ein: "Ja, wir waren zu sehr wachstums- und umsatzorientiert." Und über die mit atemberaubendem Tempo vorangetriebenen Eigenproduktionen nach der Übernahme des Karl Müller Verlags sagt er heute: "Das Verlagsgeschäft war eine Nummer zu groß, zu komplex für uns. Wir hätten stattdessen mit anderen Verlagen kooperieren sollen." Aber Zanolli blickt auch auf den Erfolg. Vor der Pleite! "Es war ja nicht alles schlecht, was wir gemacht haben. Wir waren sehr kreativ, innovativ, haben eben vieles ausprobiert. Unser Fehler war, dass wir zu viel auf einmal gewollt haben. Es gab sicher eine gewisse Arroganz, aber mehr noch eine große Euphorie." Man kann es sich gut vorstellen: Alles schien machbar für einen wie Zanolli, der immer noch mit Stolz davon spricht, "ein großes Rad gedreht" zu haben. Es gibt Kritiker, die behaupten, der Mann schwebe immer noch in den Wolken, sei nie auf dem Boden angekommen. Es könnte sein, dass das in gewisser Weise stimmt. Und vielleicht ist das sogar seine Stärke. Hat ihn genau das nicht groß gemacht? "Der ist wie ein Stehaufmännchen. Den kannst du gar nicht so hart niederschlagen, dass der nicht wieder hochkommt", sagt ein anderer. Und auch er, eher ein Freund, könnte recht haben. "Haben Sie einen zerknirschten Zanolli erwartet?", fragt er selbst, der an seine zweite Chance glaubt, sich daran festhält, aufrichtet. "Vielleicht wirkt das auf andere überheblich, aber irgendwann muss man wieder aufstehen und nach vorn gucken. Es nützt doch nichts, in der Ecke zu sitzen und immer tiefer in die Depression zu rutschen. Ich habe schließlich auch Verantwortung gegenüber meiner Familie." Der Kämpfertyp ist raus aus der Ecke. Er ist wieder unterwegs, als Berater, als Makler im MA-Geschäft. Zu unserem Gespräch in Frankfurt kommt er in feinem Stoff – von hier aus fährt er weiter zu einem Kunden ganz in der Nähe. Geld hat er kaum noch. Das einzige und wichtigste Kapital, das ihm geblieben ist, sind seine Ideen, seine Kontakte, sind südländischer Charme und die Leidenschaft, mit der er andere Menschen für sich einzunehmen versteht. Wenig ist das nicht. Über den Dingen Freunde beschreiben ihn als offen, geistreich, schlagfertig, humorvoll. Zu Recht. All das ist er. "Soll ich mich in die Telefonzelle stellen?", fragt er den Fotografen. "Zanolli in der Zelle – das würde doch einigen gefallen." Aber auch das andere stimmt: Er schwebe über den Dingen, Details seien nicht seine Sache, sagen seine Kritiker. Manches in der Biografie und der Firmengeschichte bleibt deshalb im Ungefähren: "Ich habe das nicht alles aufgeschrieben. Dafür bin ich der Falsche", sagt der Rheinländer mit italienischen Wurzeln bloß. Jahreszahlen sind ihm einfach nicht wichtig genug. Restanten wird es immer geben, weiß Zanolli so gut wie nur irgendwer. Kaum einer hat die überschüssige Ware und die extra produzierten Ramschbücher so vehement an den Mann gebracht wie er. Keiner hat sich auch so verkalkuliert wie er, gigantische Rückläufe bei garantiertem vollem Remissionsrecht verursacht. Vor zwei Jahren haben sich die Finanzinvestoren zurückgezogen, die Banken weitere Kredite verweigert, vor zwei Jahren musste sein Unternehmen Insolvenz anmelden. Wenn es stimmt, was Zanolli sagt, dann gibt es dennoch wenig Misstrauen, wenn er jetzt aufs Neue versucht, Geschäfte anzubahnen, mit den Kunden von früher zumeist. "Ich bin selbst überrascht. Ich hatte es mir härter vorgestellt", meint er. Schwierig genug war es und bleibt es – vorerst zumindest: "Es könnte besser gehen", räumt er ein, "aber ich fange ja auch gerade erst an." Der gescheiterte Unternehmer muss seine Einkünfte oberhalb der Pfändungsfreigrenze abgeben. Bemessungsgrundlage: Sein Verdienst als Angestellter, denn Zanolli arbeitet heute in der Firma seiner Frau. Der Mann, der erstaunlich offen über seine Gefühle reden kann, vielleicht auch dies Teil seines italienischen Erbes, wird einsilbig und schweigsam, wenn es um die finanziellen Details seines Neuanfangs geht und um die Konsequenzen aus den Forderungen der Gläubiger, die noch in 30 Jahren vollstreckt werden können. Der 47-Jährige schuldet ihnen Millionen, und er haftet persönlich. Möglicherweise wird er für den Rest seines Lebens bezahlen müssen. Die Leichtigkeit des Lebens Er habe immer alles in die Firma gesteckt, sagt er. Die Firma aber gibt es nicht mehr. Was es gibt, sind Betrugsvorwürfe, Lagerbestände seien verschwunden, hieß es. Vielleicht gibt es solche Verdächtigungen immer nach Insolvenzen. Bewiesen ist bis dato nichts. Die Familie Zanolli, die eine Wohnung auf einem Bauernhof an der Kölner Peripherie hat, lebt heute anders als noch vor zwei Jahren. Anstatt eines Volvos steht jetzt ein Ford Fiesta vor der Tür. "Es ist nicht mehr so wie früher, wo ich sagen konnte: das ist schön, das kaufe ich mir." Er wolle nicht jammern, sagt der Workaholic, der zugleich ein begeisterter Familienmensch ist: "Man kann so leben. Es bleibt schließlich auch keine andere Wahl." Dennoch: Vieles, was die Leichtigkeit des Lebens ausgemacht habe, sei dahin. Es gibt Momente, die sind besonders schwer: Von der Autobahn aus sieht man noch immer auf die riesige Lagerhalle, 20?000 Quadratmeter für Billigbücher. Nur ist dort heute auch von Weitem nicht mehr "Zanolli", sondern "ZMV" zu lesen. "Die Kinder haben mich, wenn wir vorbeigefahren sind, natürlich immer wieder gefragt, warum da nicht mehr unser Name steht." Mehr sagt Guido Zanolli nicht. Nicht, was er seinen beiden Söhnen geantwortet hat und was er seiner kleinen Tochter später einmal erzählen wird. Die Antwort ist kompliziert oder auch ganz einfach, ehrlich oder verlogen. Sie ist schwer oder leicht zu verstehen. Egal, wie sie ausfällt, klar ist nur: Das Leben muss irgendwie weitergehen.