Interview

"Dynamik im Buchmarkt ist ungebrochen"

22. August 2007
von Börsenblatt
Bücher, DVDs, Spielwaren, Elektronik und Küchengeräte: Amazon wandelt sich vom Internetmedienhändler zum Online-Warenhaus. Ralf Kleber, Chef von Amazon Deutschland, im Interview mit Boersenblatt.net über Kundenorientierung, den boomenden Gebrauchtbuchmarkt, Volltextsuche Search Inside! und die Wachstumschancen des Buchmarkts.

Wie wichtig ist für Amazon denn noch das Stammgeschäft Medien?
Kleber: Im internationalen Segment, zu denen die Amazon-Webseiten in Deutschland, England, Frankreich und Japan und China gehören, entfielen im zweiten Quartal 71 Prozent des Umsatzes auf Medienprodukte, also Bücher, Musik, DVD, Software, Videospiele etc.

Sind die neuen Produktgruppen, die Amazon laufend einführt, Hauptumsatztreiber?
Kleber: Ja und nein. Mit der Einführung neuer Produktkategorien erschließt man zwar neue Märkte, doch dauert es auch immer seine Zeit, bis sich das Angebot herumspricht und die Kunden es nutzen. Der Bereich Bücher baut auf einer viel größeren Kundenbasis auf. Nordamerika hatte im zweiten Quartal 2007 das stärkste Wachstum im Mediensegment aller Zeiten. Kleine Veränderungen können hier viel mehr bewegen als die Einführung einer neuen Kategorie.

Welche Veränderungen sind das?
Kleber: Beispiel Volltextsuche Search Inside!: Als wir das Tool eingeführt haben, hatte dies bei den teilnehmenden Titeln eine größer Umsatzwachstumsteigerung zur Folge als Titel, die nicht im Programm sind. Da die Kundenbasis enorm groß ist, kann eine solche neue Funktion größere Auswirkung auf den Gesamtumsatz haben als eine neue Produktgruppe.

Wie entwickelt sich der Bereich Bücher?
Kleber: Die Dynamik im Buchmarkt ist ungebrochen.

Das sehen viele Buchhändler anders...
Kleber: Viele denken, dass der Buchmarkt nicht dynamisch ist, weil er preislich nicht dynamisch betrieben wird. Das ist ein Irrtum. Es sind immer mehr Leute im Internet unterwegs und es kaufen immer mehr Leute im Internet. Wer sich mit den Wünschen seiner Kunden auseinandersetzt, erkennt, dass der Buchmarkt eine riesige Wachstumschance hat – egal ob im Internet oder im Laden. Ein Kunde gibt sein Geld für DVDs, einen MP3-Player, ein paar Turnschuhe oder eben für Bücher aus. Buchhändler müssen den Wettbewerb um den Kunden nur annehmen.

Viele Buchhändler sehen im Internetbuchhandel eine Bedrohung.
Kleber: Ich halte die ganze Online-Offline-Diskussion für völlig überflüssig. Jeder muss auf seine Weise seine spezifischen Vorteile nutzen. Viele unserer Kunden sind berufstätig, haben keine Zeit, suchen gezielt und wollen schnell etwas kaufen. In der Buchhandlung wird anders eingekauft, wird geschmökert – auch das ist bei uns mit Search Inside! möglich. Als Händler sollte man immer wissen: Was will der Kunde von mir? In unserem Fall heißt die Frage: Warum gibt es 69 Millionen aktive Amazon-Kunden, die an unserem Angebot Gefallen finden? Das Bemühen um den Kunden ist das einzige, was zählt.

Amazon, Weltbild, buch.de, buecher.de – ist der Internetbuchhandel verteilt?
Kleber: Ein Markt ist nie endgültig verteilt, wir sehen immer nur eine Momentaufnahme. Sie brauchen sich nur den stationären Buchhandel vor zehn Jahren und heute ansehen. Ein Markt ist nur so lange sortiert, bis jemand kommt, und ein schlaueres Konzept findet, den Markt zu bearbeiten.

... und Amazon zu verdrängen?
Kleber: So einfach geht es natürlich nicht. Im Internet geht nichts ohne eine ausgereifte Technologie und logistisches Know-how, das wir uns über Jahre aufgebaut haben. Die interessantere Frage ist, ob man überhaupt ein Amazon werden muss, um einen ähnlichen Erfolg zu haben. Und hier heißt die Antwort: eindeutig nein. Das sehen wir an vielen Marketplace-Sellern, die auf unserer Plattform tätig sind. Sie bieten die gleichen Produkte wie wir an, können aber teilweise bessere Konditionen bieten, weil sie sich intensiv um eine bestimmte Nische kümmern, die wir gar nicht so intensiv bearbeiten könnten. Um den Bereich Logistik kümmern wir uns dann wir mit unserem Programm Fulfillment by Amazon. Auf diese Weise kann im Prinzip auch die kleine Buchhandlung ein relevanter Internet-Player werden – wenn sie ihre Kunden kennt.

Ist die Zusammenarbeit mit einem stationären Buchhändler eine Option für Amazon.de – ähnlich wie es Amazon.com mit dem Buchhandelsfilialisten Borders in den USA tut?
Kleber: Ich kann mir das derzeit nicht vorstellen. Ich möchte ein wie immer geartetes stationäres Engagement für die Zukunft nicht ausschließen, im Moment haben wir im Internet aber noch viel zu tun.

Wie ist der Stand beim Volltextsucheprojekt Search Inside!?
Kleber: Wir haben bereits mehrere Hundertausend Titel gescannt. Seit dem Start haben wir einen kontinuierlichen Zuwachs an Verlagen und an Titeln, auch weil unser Konzept recht einfach ist: Wir scannen gratis, haben ein einfaches System der Preisbildung – wir nehmen Bücher kostenlos auf – und ein gutes Sicherheitskonzept. Und vor allem bieten wir mit Search Inside! ein hervorragendes Marketingtool für Verlage...

Wirkt sich Search Inside! auf den Verkauf aus?
Kleber: Titel, die im Volltext durchsuchbar sind, zeigen ein stärkeres Umsatzwachstum als solche, die nicht im Programm sind. Daneben ist das Tool vor allem eine Findehilfe - der Kunde findet Titel, die seine gesuchten Inhalte bieten und er kann sich mit Search Inside! vor dem Kauf optimal informieren. Wie oft habe ich mich als Student geärgert, ein Buch gekauft zu haben, in der Hoffnung, dass das richtige drinsteht – und es stand eben nicht drin.

Den Verlag hat es aber gefreut, dass Sie sein Buch gekauft haben...
Kleber: Genau darum darf es nicht gehen! Ein Verlag sollte nicht zuerst an sein Produkt, sondern an den Kunden denken. Search Inside! versetzt den Kunden in die Lage, für sein Geld, das er ausgibt, auch das Buch zu bekommen, das er gesucht hat.

Viele Verlage sehen den boomenden Gebrauchtbuch-Markt im Netz mit großer Sorge.
Kleber: Ich halte nichts vom Schwarzweiß-Denken nach dem Motto „Der Gebrauchtbuchmarkt kannibalisiert den Markt für neue Bücher“. Es gibt viele Motivationen, ein Buch zu kaufen und zu verkaufen, doch auch hier gilt zuallererst: Es zählt nur das, was der Kunde will. Er soll das Produkt bei uns finden, das er sucht und zwar für den Betrag, den er bereit ist, auszugeben. Beide Bereiche – Neu und Alt – wachsen sehr dynamisch. Das Gebrauchtbuch ist eine Option für den Kunden, vor allem eine finanzielle, die er sucht und wünscht, und daher bieten wir sie ihm. Bei Amazon sind jedenfalls beide Bereiche sehr dynamische Wachstumsmärkte. Es ist doch toll, wenn ein Kunde selbst entscheiden kann: In welchem Zustand benötige ich ein Buch – und will ich dementsprechend 50 oder zehn Euro dafür ausgeben. Oder will ich vielleicht nur drei Kapitel lesen und zahle dafür 20 Euro.

Sie als Geschäftsmann müssten doch eher daran interessiert sein, dass der Kunde das neue, teure Buch bei Ihnen und nicht auf dem Marketplace für weniger als die Hälfte kauft?
Kleber: Nein! Ich bin daran interessiert, dass der Kunde das Produkt bei mir findet, das er sucht und zwar für den Betrag, den er bereit ist, auszugeben. Die Strategie, einem Kunden etwas aufzuschwatzen, funktioniert nicht.

Seit vergangenem Jahr können auch Verlage die Dienste von Amazon als Logistikunternehmen nutzen. Mit welchem Erfolg?
Kleber: Unser Advantage-Programm wächst kontinuierlich und ist sehr erfolgreich. Verlage können ihr komplettes Programm in unser Lager packen und wir machen es innerhalb von 24 Stunden versandfertig. Viele Verlage wollen sich einfach unabhängig von der Entscheidung machen, wann Amazon einen Titel auf Lager legt. Für den Kunden ist wichtig, dass der Titel innerhalb von 24 Stunden lieferbar ist. Es gibt Verlage, die mit dem Advantage-Angebot einen enormen Sprung nach vorn gemacht haben.