Round Table

Kein Revier für Alpha-Tiere

10. Oktober 2007
von Börsenblatt
Kooperationen: Gemeinsam ist man stark, hofft auch der Buchhandel. Gemeinsam ist man stark genervt, erfahren manche Verbundwillige. – Ein Round Table über Chancen und Risiken von Zusammenschlüssen.
Wie weit reicht die Spannweite von Kooperationen? Welche Tätigkeiten werden üblicherweise in Verbünden zusammengeführt? Bouncken: Man muss sich zum einem überlegen, welche und wie viele betriebliche Funktionen tatsächlich in eine Kooperation eingebunden werden, etwa Einkauf, Marketing oder Vertrieb. Dann muss innerhalb des Aufgabenbereichs definiert werden, wie intensiv die Partner zusammenarbeiten. Zum Beispiel könnte man eine Marketingkooperation eingehen. Das ist immer relativ einfach. Welche Marketingkanäle können wir gemeinsam nutzen, wie können wir dort Kosten sparen? Wie können wir so auftreten, dass wir auch unser Image verbessern? Diese Fragen sollten beantwortet werden. Dann ist zu klären, wie viele dieser Marketingaktivitäten gemeinsam gemacht werden. Geben wir unser eigenes Marketing quasi auf und erledigen alles über eine Kooperation, beauftragen vielleicht sogar einen Dritten, der für uns diese Aufgaben übernimmt? Denkbar sind auch Kooperationen auf dem Gebiet der Innovationen. Buchhändler können versuchen, gemeinsam neue Dinge zu entwickeln und zu vermarkten. Sei es Autoren zu entdecken, neue Kundcngruppen zu definieren oder innovative Leistungen anzubieten. Das kann funktionieren, obwohl es etwas schwierig ist, weil man das Kernprodukt Buch in den seltensten Fällen verändert. Aber die Partner können natürlich probieren, das Produkt ein wenig zu modifizieren, indem sie zusätzliche Dienstleistungen erbringen oder auch einmal ein Cover verändern. Dadurch entsteht ein gemeinsames Branding. Dann umfasst die Kooperation mehrere Aspekte: Marketing, Innovationsmanagement und Produktentwicklung. Die einfachste Form ist jedoch die Einkaufskooperation. Der Einkauf wird zusammengelegt, es ergibt sich eine Kostenersparnis. Das ist relativ unproblematisch, weil man sich keine Gedanken über Zielsetzung, Strategie, Visionen und Identität des Unternehmens machen muss. Ebenso nicht über Risiken des Wissensabflusses. Bei Marketing- oder Produktentwicklungskooperationen wird es automatisch schwieriger, denn die Beteiligten legen sich auf etwas Gemeinsames fest, worüber sich trefflich streiten lässt. Ob man sich einer Art von Gleichmacherei unterwerfen möchte, das ist eine der wichtigsten Fragen. Zu erwähnen ist auch die Personalwirtschaft. Dort ist ebenfalls eine Zusammenarbeit zwischen den Buchhändlern möglich, etwa bei Schulungen oder bei der weitergehenden Qualifizierung der Mitarbeiter. Qualifizierung des Personals ist elementar, muss aber angepasst werden an die Zielgruppen im Buchhandel. Weil die Buchhändler so unterschiedliche Ausrichtungen haben, ist eine Übertragbarkeit gar nicht so leicht möglich. Grundlegende Dinge wie Kundenfreundlichkeit – das kann man wohl transferieren. Das Fachwissen, den Umgang - das kann man nur erspüren. Wielpütz: Was ich bei den Kooperationen vermisse, ist der Austausch von Personal. Das scheitert leider oft an pragmatischen Dingen. Wenn eine Buchhandlung nur zwei Mitarbeiter hat, dann ist das sehr schwer organisierbar. Da muss man über seinen Schatten springen. Aber auf den Kunden wirken eben nicht nur Ambiente oder Standort, sondern gerade die Kompetenz des Personals. Aber nicht nur kollegialer Austausch, auch Branchenangebote zur Fort- und Weiterbildung sollten verstärkt wahrgenommen werden. Keiper:Die Profile im Buchhandel sind sehr breit, daher auch der Gedanke der Zielgruppenorientierung für eine IG literarischer Buchhandlungen, weg von einer Feld-Wald-Wiesen-Breite. Die unterste Stufe ist es, sich gegenseitig mit Rezensionen für die Werbung zu unterstützen, bei der Auswahl aus den ca. 10.000 belletristischen Novitäten jährlich. Nach oben hin ist das offen. Stempel:Wir haben jedes Jahr zur Spielwarenmesse eine Million Produkte – da stellt sich für den einzelnen Spielwarenhändler auch das Problem der Unübersichtlichkeit: Ein Spielwarenhändler kann sich während seines Messeaufenthalts nicht durch 17 Hallen quälen. Das funktioniert nicht. Und genau da setzt bei uns die Zentrale an: Wir haben ein 24-köpfiges Einkaufsteam, das in sieben Sortimentsbereiche aufgeteilt ist. Dieses leistet die Vorarbeit. Es stellt eine Vorauswahl zusammen, sagt, das ist auf jeden Fall wichtig, so etwas sollte jeder haben oder aber das ist etwas für Nischenanbieter. Diese Dienstleistung erbringen wir für unsere Händler. An dieser Stelle ist ein Verband sehr hilfreich. Welche weiteren Services bietet Vedes den Spielzeughändlern? Stempel:Die Vedes ist ganz klassisch als Einkaufgenossenschaft vor über 100 Jahren gegründet worden. Den 14 Gründungsmitgliedern ging es vor allem darum, gemeinsam einzukaufen und dadurch bessere Preise zu erzielen. Nach und nach wurden die Mitglieder mit mehr Services versorgt. Der Marketingbereich kam hinzu: Es gibt eine gemeinsame starke Dachmarke, gemeinsame Werbeaktionen, einen hohen Wiedererkennungswert. In den vergangenen Jahren kam der Logistik- und IT-Bereich hinzu, um die Händler auch im Backoffice zu unterstützen. Wir stellen zum Beispiel die Abverkaufsdaten bereit, so dass die Händler sehen, welche Produkte laufen und welche nicht. Wir betreiben zudem eine intensive Marktforschung. Und wir haben ein Großhandelslager. Unser Portfolio deckt alle Unternehmensbereiche ab. Dennoch bleiben die Händler selbständig und eigenständig. Sie können selbst entscheiden, welche Leistungen sie in Anspruch nehmen und welche nicht. Der Fachhandel hat das Problem, dass viele preisaggressive Branchenfremde in den Spielzeugmarkt eindringen. Jeder will, besonders vor Weihnachten, sein Stück vom Kuchen abhaben. In den sechs Wochen vor dem Fest macht die Branche 40 Prozent des Jahresumsatzes. Da will Tchibo rein, Karstadt, Kaufhof, Aldi usw. Damit haben wir zu kämpfen. Denn der Fachhandel hält natürlich das gesamte Spielwarensortiment ganzjährig bereit und grenzt sich eindeutig von den Ketten ab: Bei uns werden Kompetenz, Beratung und Qualität werden groß geschrieben. Trotzdem verliert der Fachhandel seit Jahren Marktanteile, deswegen ist es wichtig, dass er sich in einer Kooperation befindet, um von den Synergien und dem Potential eines tatkräftigen Verbundes zu profitieren. Alleine hat er eigentlich nur wenige Chancen. Lässt sich so etwas wie das Vedes-Modell auf den Buchhandel übertragen? Wielpütz: Grundsätzlich ja. Buchhandel und Spielwaren liegen gar nicht so weit auseinander. In beiden Branchen gibt es zum Teil sehr alt eingesessene Händler und die Expansion der Filialisten. Es existiert natürlich im Buchhandel ein signifikanter Unterschied zu den anderen Branchen, weil es den Kampf über den Preis nicht gibt. Was bei uns in der Branche wesentlich schneller von statten geht, ist die Konzentration. Erschwerend kommt hinzu, dass viele kleinere Buchhändler einem Trugschluss unterliegen. Sie glauben, dass nur sie beraten können, dass nur sie nah am Kunden sind – und die Filialisten nicht. Ich bin sehr erstaunt, was auch bei Filialisten an starker Kundenbindung vorhanden ist. Die Buchhändlerin, die in der Romanabteilung einer großen Kette arbeitet, hat genauso ihre Stammkunden wie ein selbständiger Buchhändler. Das sollte man bedenken. Keiper: Ich glaube auch, dass ein Transfer möglich ist. Wir sagen zwar immer, bei uns Buchhändlern sei alles vollkommen anders, andererseits sind wir ganz normale Unternehmer und müssen uns genauso am Markt behaupten wie andere Firmen auch. Es gibt bei den Sortimentern aber häufig die Motivation, dass sie nicht in erster Linie als Wirtschaftsunternehmer, sondern als Kulturunternehmer diesen Beruf wählen. Das ist die Crux, birgt auch manchmal die Gefahr mangelnder Professionalität. Andererseits führt es aber auch zu einer enormen Kundenbindung. Wir sind auch Sozialarbeiter, Psychologen und was weiß ich noch ... Das ist eben nicht nur ein Job. Kann eine Kooperation eine Lösung sein, um sich gegen die Filialisten zur Wehr zu setzen? Bouncken:Das kann sie wohl, es ist aber nicht ihr primäre Aufgabe. Vielfach bieten sich neben den horizontalen Verbünden vertikale Partnerschaften an: das heißt, zu vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsketten. Im Buchhandel haben wir primär vorgelagerte Partner, also Verlage oder Autoren. Nachgelagerte partner im Wege von vertikalen Kooperatonen können jedoch auch die Endkunden sein. Eine engere Beziehung kann dazu führen, dass man die Sortimentsgestaltung anpasst, mit dem Kunden intensiver spricht, ihn befragt. Das stärkt wiederum das eigene Profil und kann einen Wettbewerbsvorteil bringen. Keiper: Die Kooperation mit den Kunden ist natürlich die edelste. Ich denke, das ist die Basis, denn wir sind Dienstleister im Interesse des Kunden. Davon und damit leben wir. Ich muss eigentlich schon beim Einkauf wissen, für wen ich was einkaufe. Wielpütz: Ich weiß gar nicht, ob ein Verbund so sehr gegen die Big Player gehen muss. Es geht doch darum, dass man selbst bessere Chance hat zu überleben. Diese Chancen hängen auch von betriebswirtschaftlichen Faktoren ab. Der Laden muss sich trotz Selbstausbeutung irgendwie rechnen. Um Liquidität zu erhalten und schlussendlich eine Rendite zu erwirtschaften, ist es wichtig, das man in bestimmten Bereichen seines Unternehmens versucht, zu rationalisieren, Kosten zu sparen. Oft ist der Umsatz nicht zu steigern, dann muss man auf der anderen Seite ansetzen. Ich denke, dass Kooperationen besonders in dieser Hinsicht einen Sinn machen. Woran liegt es, dass Kooperationen in der Buchbranche bislang noch nicht den Durchbruch geschafft haben? Keiper: Da gibt es unterschiedlichste Gründe. Ein Problem ist, aus einer solchen Kooperation, die ja auch Arbeit kostet, möglichst schnell einen konkreten Mehrwert für sich zu erkennen. Daran mangelt es. Dann sind die Einstiegsbedingungen oft recht hoch. Es sind ja nur ca. 15 Prozent der Sortimenter in irgendwelchen Verbünden. Bei den betriebswirtschaftlichen Zahlen, die uns vorliegen, ist das eigentlich unverständlich. Ich befürchte, dass von den etwa 4000 Buchhandlungen, die derzeit im Börsenverein sind, in den nächsten fünf bis zehn Jahren 2000 als eigenständige Unternehmen vom Markt verschwinden werden. Aber bei uns, wo es um den Kopf geht, muß natürlich auch die Chemie untereinander stimmen, und die richtigen Ideen müssen her. Wir rühmen uns zum Beispiel für unseren Drei-Sparten-Verband, aber organisierte Verbünde über die Sparten hinweg gibt es noch nicht – eigentlich peinlich für uns. Ist es nicht eher die ausgeprägte Individualiät der Buchhändler, die ein gemeinsames Marschieren der Sortimenter verhindert? Bouncken: Erst muss man fragen, ob es überhaupt eine Individualität gibt und worauf sie fußt. Ist es der Laden, das Sortiment, die Beratungsqualität? Alles, was diese Individualität nicht berührt, kann man mit anderen zusammen machen. Manchmal ist es ja auch nur eine wahrgenommene Individualität: Wir sind so anders, wir sind so individuell. Und man ist es gar nicht. Keiper:Für mich kann Verbundarbeit nur funktionieren, wenn ich durch die Gemeinsamkeiten meine Individualität, meine eigene Position noch stärke. Wielpütz:Ich sehe darin auch kein Problem. Fast alle Kooperationen wollen gar nicht die Individualität angreifen. Sie wollen nur das, was man günstiger machen kann, günstiger machen. Und das sollte man tun. Stempel: Unsere Erfahrung zeigt, dass sich die Individualität der Händler und eine starke Dachmarke wie Vedes sehr gut ergänzen. Wir stellen allerdings fest, dass vor allem Traditionsunternehmen großen Wert auf ihre Individualität legen. Das sollen sie ja auch. Aber die Händler können doch doppelt profitieren: Wenn die Vedes-Zentrale vor Weihnachten eine bundesweite TV-Kampagne startet – warum sollte der Händler dann auf den Zusatznutzen verzichten? Gibt es möglicherweise zu viele Alpha-Tiere im Buchhandel, die andere dominieren und sich nicht dem Willen der Gemeinschaft unterordnen wollen? Bouncken:Kooperation bedeutet eigentlich, dass die Strukturen heterarchisch sind. Nicht hierarchisch. Insofern ist das in der Tat erst einmal kein gutes Revier für Alpha-Tiere. Sobald es heterarchisch ist, haben wir sämtliche Probleme der Demokratie. Letztlich dass alle gleichberechtigt sind im Ideal. In der Realität sieht es anders aus. Machtbestreben, politische Prozesse, Koalitionen – das gibt es immer. Man hat mit jeder Form der Absprache immer die Abstimmungsprozesse. Gibt es jemanden, der die Macht qua Eigenkapital ausübt, setzt er Entscheidungsprozesse schneller um. In der Kooperation hat man immer wieder, zumindest temporär, Machtstrukturen. Man ist auch als bester Psychologe nicht davor gefeit, solchen Prozessen ausgesetzt zu sein. Keiper: Jeder von uns ist ein Alpha-Tier. Von unserer Position her sind wir eigentlich sogar Diktatoren. Da umzuschalten, führt zu einer Bewusstseinsspaltung. Ich bin der Meinung, dass man sich in dieser Richtung unbedingt öffnen muss. Die Arbeit in einem Verbund ist ein kooperativer Prozess und keiner, bei dem jemand einen anderen dominiert. Da muss jedes Alpha-Tierchen Demokrat spielen. Welche Nachteile können Kooperationen mit sich bringen? Bouncken:Innerhalb von Verbünden besteht erheblicher Abstimmungsbedarf. Ist man sehr demokratisch, können Entscheidung und Umsetzung unendlich nach hinten hinausgezögert werden – verbunden mit Zeitverlust und Kosten. Es kann auch zu einer Inkompatibilität zwischen der Strategie des Verbunds und der eigenen Strategie kommen. Kritisch wird es, wenn man gemerkt hat, dass es nicht gut läuft. Steigt man dann wirklich aus? Nein, denn meist entstehen Beharrungstendenzen: Sei es, weil man Verträge eingegangen ist oder sich an einen sozialen, psychologischen Vertrag gebunden fühlt. Keiper:Jede Organisation entwickelt natürlich ihre Eigendynamik, fängt an, um sich selbst zu kreisen. Man darf dann nicht vergessen, worum es eigentlich geht: Wir wollen besser werden, für unsere Kunden. Denn von denen leben wir! Welche Rechtsformen bieten sich für Kooperationen an? Bouncken:Sie haben immer die Möglichkeit, mit Eigenkapital zu agieren. Wenn aber zum Beispiel eine Marke generiert wird, wird es schon ein wenig tricky. Denn sie kann auch einen Wert darstellen. Und wem gehört dann die Marke? Da sollte man schon überlegen, ob man nich eine Form findet, bei der man Geschäftsanteile hat und weiß, wer in die Marke investiert hat. Man muss sich überlegen, welche Unternehmens- oder Eigentumsstrukturen man schafft, welche Verfügungsrechte es gibt. Bei einer Einkaufsgemeinschaft oder einer kleinen gemeinsamen Kampagne landet man in der BGB-Gesellschaft, wo gemeinsam entschieden werden muss. Dann ist man auch haftbar. Keine Verträge braucht man, wenn man sich einfach so trifft: informell, in Erfahrungsaustauschgruppen oder über persönliche Netzwerke. Ist der Leidensdruck der Sortimenter noch nicht groß genug oder sind sie paralysiert und handeln deswegen so zögerlich? Stempel:Herr Keiper hat gesagt, dass es in ein paar Jahren möglicherweise 2000 Buchhändler weniger geben wird. Wenn das kein Leidensdruck ist! Das wäre für mich der Anlass schlechthin, etwas zu unternehmen. Aber ich denke, der Leidensdruck noch nicht groß genug. Das ist jetzt mein Eindruck aus diesem Gespräch, den ich gewonnen habe. Keiper: Entweder es gibt den Leidensdruck tatsächlich nicht oder man ist sich darüber noch nicht klar geworden. Es ist allerdings in der Tat schwer, in kleinen Betrieben den Blick über den Tellerrand zu richten. Allerdings: Ich habe in Kooperationen reingeschaut und muss zugeben, dass mir die vorhandenen Verbünde zu wenig Mehrwert bieten. Wielpütz: Die Zeichen der Zeit deuten darauf hin, dass etliche Buchhandlungen - 2000 vermag ich nicht zu sagen - vom Markt verschwinden werden.Weil sie sich zu wenige Gedanken darüber machen, was sie wollen und was sie können. Buchhändler müssen lernen zu organisieren. Die Kooperation hat dann einen Sinn, wenn sie einen Unternehmer befreit von bestimmten Dingen, die er selbst nicht zu 100 Prozent schaffen. Wo stehe ich, wo kann ich mir Hilfe suchen? Das fragen die Buchhändler kaum. Viele sagen, es geht auch so. Schade, dass erst so wenige auf den Zug aufgesprungen sind. Sie sollten sich wenigstens mal anschauen, was die Kooperationen bieten. Selbst das tun sie nicht.