Antrittsvorlesung des Übersetzers Frank Günther in Berlin

„Wühlen in den Eingeweiden der Sprache“

2. November 2007
von Börsenblatt
„Der Geschmack der Wörter“ – so kulinarisch lautet der Titel des Seminars, das der Shakespeare-Übersetzer Frank Günther in diesem Wintersemester an der Freien Universität Berlin anbietet. Er ist der erste August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessor für Poetik der Übersetzung, die jetzt mithilfe des Deutschen Übersetzerfonds am Peter-Szondi-Institut eingerichtet wurde. Gestern Abend fand in der Berliner Vertretung des Landes Sachsen Günthers öffentliche Antrittsvorlesung statt.
Seit 1995 erscheinen seine Shakespeare-Übersetzungen bei dtv und – in bibliophiler Ausstattung – bei ars vivendi. Derzeit liegen 34 Stücke vor; 2009 soll die Edition mit dem 39. Band abgeschlossen sein. Dann wäre Günther der erste, der den gesamten Shakespeare im Alleingang übersetzt hat. In jungen Jahren, nach dem Studium der Anglistik, Germanistik und Theatergeschichte, arbeitete er kurzfristig als Regieassistent und Regisseur. Zwar beendete er dieses Engagement schon 1974, um sich ganz in den Shakespeareschen Sprachkosmos zurückzuziehen – der Sinn für Theatralik hat ihn aber nie verlassen. Deutlich wird das nicht nur an der performativen Qualität seiner Übertragungen, sondern auch bei jedem seiner öffentlichen Werkstattberichte, die unterhaltsamer und geistreicher sind als mancher Theaterabend. Deshalb waren gestern nicht nur die Übersetzer¬kollegen, die sich über die Anerkennung ihres Berufsstandes durch die akademische Infrastruktur und das anschubfinanzierende Kulturministerium freuen, zahlreich erschienen. Einführende Worte waren von Peter-André Alt und Georg Witte zu hören. Die beiden FU-Professoren, äußerst smarte Literatur¬gelehrte, machten im Kontrast die überschießende Falstaff-Natur Frank Günthers nur deutlicher. Ihren abgewogenen Worten über das Übersetzen an und für sich, geschmückt mit Benjamin-Anspielungen und dem unvermeidlichen Robert-Frost-Aphorismus „Poetry is what gets lost in translation“, dem natürlich dem Anlass gemäß elegant widersprochen wurde, folgten bisweilen deftige Kostproben aus der brodelnden Übersetzerküche. Günther hielt es nicht lange hinter Pult und Mikrofon. Auf und ab schreitend, mit hin und her fliegendem Scheitel, redete er sich die Erregung vom Leibe – eine Einmann-Performance, der das Publikum gebannt folgte. Es begann mit einem inszenierten Dialog. Alternativ zu Stephen Greenblatts New Historicism plädierte Günther für einen „New Spiritism“ und unterhielt sich mit keinem anderen als August Wilhelm von Schlegel selbst. Er ist für den heutigen Übersetzer natürlich eine Art Kilroy – immer schon dagewesen. Schlegels deutscher Shakespeare ist immer noch der meistgelesene, kanonische und von daher für einen Mann wie Günther zugleich Ansporn wie ständiger Dorn im Auge. Seit dreißig Jahren ringt er mit Schlegel, um ihn endlich niederzuringen. So war die dialogische Performance zugleich Hommage und komischer Vatermordversuch, vor allem dann, wenn Schlegelsche Unzulänglichkeiten im Wortlaut zelebriert wurden: ‚„Mein liebes Mühmchen’ – also das sagt man heute nicht mehr.“ Ein Leitthema des Vortrags war das Obszöne. Günther kennt die Reaktionen indignierter Leser, denen bei Shakespeares drastischer Wörtlichkeit die Sinne schwinden. Die Zoten in „Romeo und Julia“ etwa würden dann dem Neu-Übersetzer angelastet. Der Spätaufklärer Wieland ließ solche Passagen in seiner Übersetzung einfach weg. „Hierauf folgen ein paar Reden im tollhäusischen Geschmack“ – mit solchen Markierungen von Textlücken mussten sich die Leser dann abspeisen lassen. Die entsublimierte Gegenwart findet dagegen vielfach gerade an den Krassheiten Shakespeares Gefallen und überbietet sie in körpersäftefreudigen Theaterinszenierungen nach Möglichkeit noch. Shakespeare gelte dann als eine Art „vorzivilisatorischer Dinosaurier“, mit dem sich die zierlichen Gehege der Weimarer Klassik niedertrampeln lassen. Auch dann bleibe meist wenig vom Original übrig, vor allem nicht der Sinn für Shakespeares ästhetische Balance. Selbst in einem Frühwerk wie „Titus Andronicus“, einem purem Splatter-Spektakel, würden die martialischen Grausamkeiten austariert durch die elaboriertesten Blankverse. Form und Unform gingen bei Shakespeare immer eine heikle, aber um so faszinierendere Verbindung ein. Sie gelte es in der Shakespeare-Übertragung zu bewahren, weshalb sich Günther über konkurrierende Versuche, die Dramen und Sonette in Prosa zu übersetzen, spöttisch äußerte. Hinter Shakespeares Sprachwitz, seiner Neigung zum Wortspiel sei eine radikale Sprachskepsis wirksam. Die kalauernde Vieldeutigkeit der Worte spiegele die Unausdeutbarkeit der Welt. Die Epoche Shakespeares sei eine sprachverliebte, sprachfanatische Epoche gewesen, meinte Günther mit einem spürbaren Unterton von Sehnsucht. „Das Theaterereignis war damals nicht die Bühnenshow, sondern die Sprache“, sagte er und kontrastierte damit die heutige „Bilderpest“. Sprache störe häufig nur noch, was man sehe. Sein heiterer Kulturpessimismus stieß an diesem Abend auf offene Ohren. Der Glaube an Originalgenies ist geschwunden; die Verehrung von Originaltexten dagegen gewachsen. Das Auslassen und Verändern schwieriger Stellen, früher gängige Praxis, ist heute nicht mehr üblich. Vielmehr beweist sich die Qualität des Übersetzers gerade darin, dass er auch die befremdlichen Eigenheiten des Ursprungstextes zu transportieren vermag. Günther präsentierte verzwickte Shakespeare-Passagen, vor denen bisher die berühmtesten Übersetzer kapitulieren mussten. Um dann seine eigenen Findungen vorzutragen – was ihm mehrfach Zwischenapplaus eintrug. „Wühlen in den Eingeweiden der Sprache“ – das sei Shakespeares Kunst und Leidenschaft gewesen. Frank Günther teilt sie mit ihm.