Kunstprojekt in der Buchhandlung

Thomas Ulm schmuggelt Gedichtausschnitte auf Kassenbons

19. November 2007
von Börsenblatt
Die Herrschaften vom Finanzamt werden sich wundern, wenn sie Bücherquittungen auf den Tisch bekommen, auf denen nicht etwa die Titel stehen, sondern zum Beispiel „Freuden des Tags zu ruhen die Mensch“. Oder „und frisch rauschen an duftendem B“.
Doch, meint Thomas Ulm, eigentlich müsste das Finanzamt solche Quittungen dennoch akzeptieren, schließlich stehe auch die ISBN Nummer darauf. Wer dieser Tage in der Stuttgarter Buchhandlung Wittwer eines der Kunstbücher kauft, die Thomas Ulm auf einem Malergerüst aufgebaut hat, der wird in jedem Fall mit künstlerischem Mehrwert belohnt. Denn der Buchhändler Ulm ist zugleich als Künstler tätig und hat für seinen Arbeitgeber ein ungewöhnliches Projekt initiiert, dass zwar nicht dazu angelegt ist, den Umsatz zu steigern, es aber trotzdem bereits getan hat und einen neuen Blick auf Bücher lenkt. Thomas Ulm hat die erste Strophe des Hölderlin-Gedichtes „Brot und Wein“ ausgewählt und die Verszeilen einzelnen Büchern zugewiesen – und zwar Kunstbüchern aus dem Verlag Hatje Cantz, der schließlich auch aus dem Ländle kommt. Wer eines der Bücher erwirbt, bekommt auf dem Kassenbon ein paar Hölderlin-Worte mitgeliefert, allerdings keine komplette Zeile. Denn der Künstler hat die Zeilen „neu formatiert“, wie er das nennt, und neu zusammen geschnitten, weil immer nur 34 Zeichen auf einen einzelnen Kassenbon passen. Wer nun zum Beispiel den Katalog der Malerin Susanne Kühn kauft, bekommt zugleich den Gedicht-Ausschnitt „en geläutete Glocken, Und der Stun“ mitgeliefert sowie einen limitierten Druck, auf dem das Gedicht samt Buchtiteln und Farbreihen stehen, die Thomas Ulm mit Hilfe des Computers von den Farben der Buchcover abgeleitet hat. Ihm geht es dabei um Notationssysteme, um die Erstellung von Regeln, die identisch eingesetzt werden – ob nun die lyrischen Worte auf den Kassenbons verteilt oder die Farbwerte gemischt werden, er folgt stets einem festen System. Ihn interessiert der Wert eines Objekts – und ob es günstige oder teure Bücher sind, für sie gelten in diesem Projekt stets dieselben Regeln. Der Käufer bekommt immer gleich viel Kunst mitgeliefert, ob er nun ein Buch für 14,80 Euro oder für 29,80 Euro kauft. Als subversiven Eingriff will Ulm die Kunstaktion übrigens nicht verstanden wissen, er wollte vielmehr mal den „millionenfachen, unbemerkten Vorgang“, einen Kassenbon zu erstellen, reflektieren. „Der Kassenzettel ist auch eine beschreibbare Fläche“, sagt er. Um die gesamte Strophe lesen zu können, müsste man übrigens alle 29 Bücher kaufen, die in das Projekt eingebunden sind – angefangen bei einem Werk über Kunsttheorie bis zu einem Band über den Künstler Richard Avedon. Adrienne Braun