Gespräch mit Sherko Fatah

"Auf gleicher Höhe mit den Ereignissen schreiben"

10. Januar 2008
von Börsenblatt
"Eine Renaissance des Politischen in der deutschen Gegenwartsliteratur hat sich bereits im vergangenen Herbst angedeutet. Nun folgen eine ganze Reihe von Titeln, die sich mit Gesellschaftsthemen und immer wieder mit Terrorismus und Gewalt befassen." Das ist das Resümee des Literaturkritikers Jörg Magenau in seinem Überblick über die Neuerscheinungen des Herbstes (nachzulesen im aktuellen BÖRSENBLATT Heft 2, das heute erscheint). Für boersenblatt.net sprach Magenau mit Sherko Fatah, der eine außergewöhnliche Perspektive bietet.
Sie sind 1964 in Ost-Berlin in der DDR geboren, haben über Ihren Vater eine kurdische Herkunft, den vielzitierten „Migrationshintergrund“, Deutsch ist ihre Muttersprache. Sie sind also ein kurdischer Berliner mit DDR-Hintergrund. Das ist vermutlich einzigartig. Wie sehen Sie sich selbst? Fatah: Für mich ist das keine Frage. Ich bin deutscher Schriftsteller. Ich thematisiere zwar mein Erbe, aber es ist nicht so wichtig für mich, wie vielleicht für andere Autoren mit Migrationshintergrund. Ich versuche, Distanz zu schaffen zwischen mir und dieser Herkunft und das literarisch fruchtbar zu machen. Ihre Bücher leben sehr stark vom persönlichen Erleben und Bereisen des Landes. Wie recherchieren Sie? Fatah: Ich unterhalte mich mit Leuten, sammle Geschichten ein. Das tue ich natürlich auch hier, wenn ich mich mit Leuten von dort treffe. Mein Vater erzählt mir viel, andere Verwandte, Bekannte. Alles schnappe ich auf. Nach und nach mischen sich meine Reiseerlebnisse mit den Erzählerfahrungen. Dadurch wird alles literarisch. So hat sich mir dieses Land immer dargestellt: Als eine Mischung von Erzähltem, Gesehenem und von Dingen, die immer mehr bedeuteten, als sie direkt vor Ort zu bedeuten scheinen. Mit Kerim, dem jungen Helden Ihres neuen Romans „Das dunkle Schiff“, nehmen Sie nun direkten Anteil am dortigen Leben. Fatah: Um die Distanz zu wahren, habe ich diese Figur als Außenseiter angelegt. Kerim fällt durch seine Herkunft, seine Familie, auch seine persönliche Anlage aus dem üblichen Schema heraus. Er ist am Anfang der Geschichte sehr dick. Das wird erklärt durch die Herkunft seines alevitischen Vaters – so etwas ist im Nord-Irak sehr selten. Es geht auch um Glauben und das schwierige Leben in einer Gemeinschaft, in der die Überzeugungen und die Riten, die diese Überzeugungen begründen, so stark sind, dass man sein Außenseitertum direkt spürt. Kerim sehnt sich nach Zugehörigkeit. Nachdem er von Gotteskriegern entführt wird, gelingt es ihm sogar, sich unter ihnen heimisch zu fühlen. Nicht nur aus Angst, sondern durchaus auch aus Einverständnis wird er zu einem ihrer Mitkämpfer. Was macht ihn verführbar? Fatah: Er ist nicht prädestiniert dafür, in solche Kreise zu geraten. Er ist auch nicht für die Gewalt prädestiniert. Aber er ist in einem gewissen Sinne haltlos. Er entschließt sich nicht, Menschen zu töten. Hätte man ihm gesagt, was vor ihm liegt, hätte er es wahrscheinlich nie gemacht. Mich hat die Verstrickung des Einzelnen interessiert und der damit verbundene Verlust an Entscheidungsfähigkeit. Sie beschrieben das Leben der Gotteskrieger so genau, als hätten Sie so ein Lager in den Bergen selbst besucht. Wie haben Sie sich diesem Stoff angenähert? Fatah: 2004 war ich im Nordirak bei meinem Vater und habe mit den Recherchen für dieses Buch begonnen. Ich habe Leute getroffen, die gegen die Gotteskrieger gekämpft haben. Es war nicht schwer, die Spur aufzunehmen, weil es ein großes Problem dort oben ist, jedenfalls zu der Zeit. Heute ist ein politischer Terrorismus wieder stärker im Vormarsch. Aber damals waren es diese Glaubenskrieger, die dann zurückgedrängt wurden durch den Angriff der Amerikaner. Das hat mich fasziniert. Es ist ja auch eine Sache der Faszination und nicht nur so ein geisteswissenschaftliches oder politikwissenschaftliches Interesse. Und das treibt einen Erzähler manchmal sehr weit in diese Gebiete hinein. Sie setzen sich und den Leser massiver Gewalt aus, schrecken nicht davor zurück, eine brutale Hinrichtung zu beschreiben und ein Selbstmordattentat auf einem Marktplatz. Ist das legitim? Darf Literatur sozusagen die Kamera draufhalten, wo das Fernsehen schon ausblenden würde? Fatah: Ich glaube, sie darf es, weil sie eben keine Kamera benutzt, sondern in Sprache arbeitet. Ich beschreibe keine historische, lange zurückliegende Sache, an der man überhaupt nicht beteiligt wäre. Mir ist es wichtig, auf gleicher Höhe mit den Ereignissen zu schreiben. Dazu gehört eben auch, dass diese Bombenanschläge, die wir fast im Tagesrhythmus gemeldet bekommen, auch ein Nachleben haben. Es gibt das, was übrigbleibt von dem, was in die Luft geflogen ist. Wenn man das ausblendet, wird sprachlich genau das hergestellt, was die Nachrichten herstellen: eine Abfolge von Explosions- oder Rauchbildern, die nichts von dem vermitteln, was wirklich passiert. Es war nun nicht mein Anspruch, das alles in drastischem Realismus zu zeigen. Aber wo es nötig ist, lasse ich es nicht weg, weil es für das Verständnis nützlich ist. Das Unglaubliche der Entscheidung, sich diesen Gotteskriegern anzuschließen, wird erst dann klar, wenn man weiß, was sie tun. Es ist nicht damit getan, Ideen wiederzugeben, Worte, Predigten. Das tue ich auch. Doch man muss wissen, wofür die Menschen mobilisiert werden. Dazu muss man das Ausmaß ihrer Taten kennen.