Internet

Brockhaus startet im April breite Online-Offensive

11. Februar 2008
von Börsenblatt
Ein mutiger Schritt nach vorn und eine Kehrtwende, die die Branche wie ein Paukenschlag überraschen wird: B. I. & F. A. Brockhaus (Bifab) stellt seine komplette, multimedial aufgerüstete »Brockhaus Enzyklopädie« ab 15. April frei ins Internet – unter der bekannten Adresse www.brockhaus.de. Damit ändert das Traditionshaus seine Print-Online-Strategie radikal. Mehr zu den Gründen lesen Sie im Exklusiv-Interview mit Bifab-Vorstand Marion Winkenbach und Sigrun Albert, der neuen Leiterin der Online-Redaktion in Leipzig.
Mit dem neuen Webauftritt zieht Brockhaus die Konsequenz aus dem 2007 massiv eingebrochenen Geschäft mit klassischen Nachschlagewerken (A-Z-Lexika). Der Markt hätte sich schneller gedreht als erwartet, so Bifab-Vorstand Marion Winkenbach. Hauptursache sei das veränderte Mediennutzungsverhalten der Käuferzielgruppen – vor allem der Generation unter 30, die (nur noch) im Netz lebt. Es sei fraglich, ob es unter diesen Umständen noch eine 22. Auflage der Brockhaus Enzyklopädie geben werde, so Winkenbach. Die negative Umsatzentwicklung bei den klassischen A–Z-Nachschlagewerken und auch bei den digitalen Nachschlagewerken wie „Brockhaus multimedial“ werde sich weiter verstärken, teilt Brockhaus mit. Bereits im abgelaufenen Jahr sorge diese Entwicklung für erhebliche Probleme beim Mannheimer Verlag. Zwar stehe die Bilanz für das Jahr 2007 noch nicht fest, doch zeichne sich ein Verlust in der Größenordnung von mehreren Millionen Euro ab. Die Verlagsleitung denke deshalb über umfassende Kostensenkungsmaßnahmen nach. Offiziell zu sehen gibt es derzeit noch nichts, doch so viel steht fest: Die von der neuen Leipziger Online-Redaktion unter der Leitung von Sigrun Albert (früher Redaktionsleiterin von Brigitte.de und YoungMiss.de) für www.brockhaus.de überarbeiteten und aktualisierten Einträge der »Brockhaus Enzyklopädie« umfassen rund 300.000 Stichwörter, die in größerem Umfang als bisher auch tagesaktuelle und medienrelevante Themen (zum Beispiel bei Pop- und Rockmusik) spiegeln. In die Online-Substanzen fließen zudem Inhalte der Brockhaus-Themenlexika ein. Ähnlich wie bei der digitalen Version der »Brockhaus Enzyklopädie« (auf USB-Stick und DVD) oder beim »Brockhaus multimedial Premium 2008« sind in den neuen Online-Auftritt www.brockhaus.de zahlreiche multimediale Funktionen und Inhalte integriert. So finden sich zu vielen Einträgen neben umfangreichen Bildergalerien Video- und Audiosequenzen, Diagramme und Karten. Für eine spätere Version ist zudem – wie beim aktuellen »Brockhaus multimedial« – eine mp3-Vorlese- und Download-Funktion für alle Artikel geplant. Auch die Suchfunktion soll in einem weiteren Schritt optimiert werden: Dann will Brockhaus, wie bei der »Brockhaus Enzyklopädie digital«, die so genannte natürlich-sprachliche Suche einführen, die die Begriffssuche ohne Eingabe des gesuchten Stichworts ermöglicht – durch Eingabe eines Fragesatzes (nach dem Muster: »Wie hieß das schwerste Landlebewesen aller Zeiten?«). Wikipedia – immer wieder als der große Konkurrent der »Brockhaus Enzyklopädie« gehandelt – liefert nicht die Vorlage für den neuen Web-Auftritt des Brockhaus. Die Community-Philosophie des offenen Informationsportals und die Brockhaus-Kultur des gesicherten Wissens passen nicht zueinander. Zwar sollen in einer späteren Produktversion auch Web 2.0-Elemente in die neue Plattform eingebunden werden, aber im Mittelpunkt stehe für das Brockhaus-Team die »genaue, relevante, geprüfte und nicht manipulierte Information«, so Pressesprecher Klaus Holoch. Man wolle sich deutlich von der Mitmach-Plattform Wikipedia abgrenzen – auch um den Markenkern von Brockhaus klar zu konturieren. Zielgruppe des neuen Online-Auftritts sind nicht nur Menschen unter 30, sondern die aus der aktuellen Sinus-Studie vertrauten Etablierten, die modernen Performer, die Postmateriellen sowie Studenten und Schüler. Der Verlag plant für Herbst 2008 ein werbefreies und kostenloses Online-Angebot für Schulen, damit auch die Schüler und Lehrer im Unterricht auf sichere Informationen zurückgreifen können. Refinanziert wird das komplette Internet-Angebot durch »Werbevermarktung im Zusammenspiel mit vielen Content-Partnern und einem exklusiven Medienpartner«, so Marion Winkenbach. Näheres soll auf einer Pressekonferenz im April bekannt gegeben werden. Der Paradigmenwechsel bei Brockhaus wird möglicherweise bei anderen Anbietern von Nachschlagewerken und Fachinformation Nachahmer finden. Dies wird um so wahrscheinlicher, je schneller sich das neue Angebot der Mannheimer Verlagsgruppe bei Kunden und Nutzern durchsetzt.