Meinung

Antiquariatskultur (II)

12. März 2008
von Börsenblatt
Läufer oder Losverfahren? Was man auf den Antiquariatsmessen so alles erleben kann, wenn Objekte aus dem Messekatalog besondere Begehrlichkeiten wecken. Von Heinrich Förster.
Über viele Jahre hinweg gehörten 'Läufer' zur ebenso werbewirksamen wie unschönen Erscheinung bei der Eröffnung von Antiquariatsmessen. Es handelte dabei sich um sportive Visitenkartenüberbringer zur Sicherung des Prioritätsrechts am Erwerb von im Messekatalog angebotenen Objekten. Die Auftraggeber dieser 'Läufer' waren allerdings nur in seltenen Fällen entschlossene Privatsammler, sondern zumeist Antiquare, die bei ihren ausstellenden Kollegen offenkundig unterbewertete oder besonders seltene Titel zum Zwecke des einträglichen Wiederverkaufs erstehen wollten. Dieses Verfahren erwies sich jedoch zunehmend als unfair und unwürdig, weil die kultivierte Bibliophilie dabei nicht selten im Wortsinne überrannt wurde. Als es schließlich sogar zu gefährlicher Schlussverkaufsdrängelei kam, entschlossen sich die meisten Messeveranstalter zur Einführung eines Losverfahrens. Im Messekatalog angezeigte Objekte bleiben seither − je nach Veranstaltung − in der ersten viertel, halben oder ganzen Stunde für den Verkauf gesperrt. Gibt es mehrere Interessenten für einen Titel, wird dieser anschließend durch die von Stand zu Stand ziehende Messeleitung verlost. Dieses neutrale Prinzip sollte nicht zuletzt dazu dienen, dem zuvor entmutigten Privatsammler wieder bessere Chancen einzuräumen, ein begehrtes Buch auch tatsächlich zu erlangen. Die inzwischen vorliegenden Erfahrungen zeigen jedoch, dass auch das Losverfahren nicht gegen Missbrauch oder, freundlicher ausgedrückt, corriger la fortune gefeit ist. Waren es früher gemietete Läufer, so sind es heute gedungene Loszieher, die ihren Auftraggebern den Zugriff auf bestimmte Bücher zu verschaffen suchen. Hartnäckige Interessenten lassen sogar gleich mehrere Lose für sich ziehen, andere sind selbst nicht einmal auf der Messe präsent, sondern beauftragen Stellvertreter und werden von diesen erst im Erfolgsfall als die eigentlichen Käufer offenbart. Wie sich das ursprünglich gut und fair gemeinte Losverfahren ad absurdum führen lässt, war im vergangenen Jahr auf der Leipziger Antiquariatsmesse zu beobachten. Da bewegte sich eine wahre Wanderprozession von Losziehern von Stand zu Stand und blockierte damit die Gänge − und die Umsatzchancen benachbarter Aussteller. Nicht gezieltes bibliophiles Interesse, sondern finanzielle Spekulation trieb dabei so manchen Teilnehmer an. Denn stets gab es ja leer ausgegangene Interessenten, die einem das erloste Objekt gegen Aufgeldzahlung abnahmen. Wie zu Schwarzmarktzeiten wechselten denn auch kurz nach der Verlosung Bücher und Bargeld die Besitzer. Solide Privatsammler hatten sich von diesem unwürdigen Schauspiel längst abgewendet. So waren also wieder solche Händler unter sich, die früher schon die 'Läufer' beauftragt hatten. Hinzu kamen professionelle Großsammler wie jener Anwalt, der seit vielen Jahren über die Antiquariatsmessen läuft und dort verbreitet, er dürfe aus Berufsethik nicht antiquarisch gewerblich tätig werden, doch kaufe er im Namen seiner Mutter, die ein Antiquariat betreibe, und er erwarte daher Kollegenrabatt. Gleichzeitig scheint es mit der Berufsehre dieses Anwalts jedoch vereinbar zu sein, auf Ebay in größerem Stile als Privatverkäufer aufzutreten. Kurzum: In der gegenwärtig praktizierten Form ist auch das Losverfahren nicht befriedigend. Ausstellende Antiquare und Messeveranstalter sind daher aufgerufen, über eine Modifikation nachzudenken. Zumindest sollte sichergestellt werden, dass nur physisch anwesende Interessenten ein − und wirklich nur 1 − Los ziehen und sie im Erfolgsfalle dann auch die tatsächlichen Käufer und Zahler sind. Denkbar wäre auch, dass sich alle Interessenten vor Messebeginn beim Veranstalter für die Katalogobjekte ihrer Begierde registrieren lassen − online wäre das ja kein Problem. Die damit verbundene Verwaltungsmühe würde durch den Vorteil aufgewogen, dass eine Verlosung zentral, kontrolliert und vorab stattfinden kann. Das gerade in der ersten Messestunde so hinderliche Warten der Interessenten auf die Verlosungen an den einzelnen Ständen könnte dadurch jedenfalls vermieden werden. Wie immer ein verbessertes Verfahren auch aussehen mag, es dürfte erneut Möglichkeiten des Missbrauchs bieten. So bleibt nur der Appell an alle Beteiligten, sich ihrer Verantwortung für die Antiquariatskultur bewusst zu sein. Allzu hoffnungsvoll darf man dabei aber wohl nicht sein. Denn wie sagte ein auf deutschen Buchmessen erfahrener amerikanischer Händler selbstkritisch: "I’m a human being − worse: a bookseller."