Kommentar zur BAG

Anspruchsvoll

20. März 2008
von Börsenblatt
Die Geschichte um Krise und Rettung der Buchhändler-Abrechnungs-Gesellschaft (BAG) wechselt das Ressort. Die Sache wandert in diesen Tagen von der Wirtschaft in die Abteilung Rechtsfragen. Wer haftet? Wer kann und wer soll belangt werden? - Ein Kommentar zu den Spätfolgen des BAG-Debakels.
Mit der Feststellung eines Schadens in schmerzlicher Millionenhöhe war im Oktober vergangenen Jahres die klare Ankündigung des Börsenvereinsvorstands verbunden, man werde die Hintergründe der Pleite durch externe Dritte aufklären und auch rechtlich würdigen lassen. Die versprochenen Expertisen liegen nun vor. Sie geben den Blick frei auf einen Befund, den man bei verständiger Würdigung der Lage schon in den ersten Tagen des turbulenten Jahres 2007 hatte kommen sehen können: Hier waltete nicht Schicksal, sondern mindestens naive Sorglosigkeit, ein Optimismus ohne gute Gründe. Die Krise wurde provoziert und beschleunigt durch fehlendes Risikomanagement, durch unrealistische Umsatzziele, durch unterschätzte Kosten, durch eine falsche Bewertung der Geschäftspolitik. Kurzum, man hat ziemlich viel von dem, was ordentliche Kaufleute und deren Aufsicht regelmäßig tun würden, unterlassen. Daraus ergeben sich Schadensersatzansprüche. Dieser Vierwortsatz, der juristisch so unaufgeregt daherkommt, verbirgt seine emotionale Brisanz. Sie liegt in Sachverhalten, die einander in ihrer beunruhigenden Wirkung noch verstärken. Erstens: Mehrere Geschäftsführer haben fortgesetzt pflichtwidrig gehandelt (beziehungsweise nicht gehandelt). Zweitens: Man kann sie für ihr Missmanagement nicht mehr zur Verantwortung ziehen. Denn drittens: BAG-Aufsichtsratsmitglieder haben ihnen bis zuletzt Entlastung erteilt. Viertens: Wegen dieser Entlastungspraxis gegen jede Evidenz, aber auch wegen einer völlig unzulänglichen Überwachung der Geschäfte, können Mitglieder des Aufsichtsrats in Anspruch genommen werden. Damit steht nun eine Frage zur Beantwortung an, die den Börsenverein in seinem Innersten berühren muss: Soll man gegen ehrenamtlich tätig gewesene Kollegen vorgehen und bei ihnen holen, was noch zu holen ist? Damit es so richtig weh tut, wartet die Haftungsfrage noch mit einer selbstreferentiellen Pointe auf: Darf man verzichten, wo man berechtigt ist hinzulangen? Immerhin könnte ein Verzicht ohne rechtliche Absicherung wiederum denjenigen zur Last gelegt werden, die ihn üben. Sie hätten es unterlassen, einen entstandenen Schaden im Nachhinein im Interesse des Gemeinvermögens zu mildern. In dieser an Misslichkeit kaum zu überbietenden Situation machen die Spitzengremien der Börsenvereins-Gruppe nun einen wohlbegründeten, sensiblen, mutigen Vorschlag, der – dabei nicht minder mutig – auch anders hätte ausfallen können. Er lautet: Man möge die betroffenen Ehrenamtlichen verschonen. Denn würde man gegen sie bestehende Ersatzansprüche geltend machen, würde man das Ehrenamt an sich nachhaltig beschädigen, diejenige Institution also, die in der langen Geschichte des Verbandes immer die tragende Säule war und es bis heute ist. Man würde also mit einem wirtschaftlich und juristisch rationalen Schritt einen Schlag gegen die eigenen Strukturen führen, der politisch irrational erscheinen müsste. Natürlich lässt sich auch die gegenläufige Argumentationslinie ziehen, und eine starke Fraktion in der Mitgliedschaft des Verbandes dürfte in diese Richtung denken: Kollegen, die in eklatanter Weise über einen langen Zeitraum pflichtvergessen (un)tätig sind und am Ende davonkommen sollen, fügen ihrerseits der Institution Ehrenamt nachhaltigen Schaden zu. Immerhin ist das Ehrenamt, wohlverstanden, ein Engagement nicht nur zur Ehre des sich Engagierenden, sondern zugleich zur Ehre des Gemeinwesens, für das man sich verwendet. Stünde aber nach einer Generalamnestie in der Causa BAG das Ehrenamt nicht als eine Institution per se unzurechnungsfähiger Formationen da, die man lobt im Gelingen und die man schützt im Scheitern? Eltern haften für ihre Kinder – klare Familiensache. Verbände haften für ihr Ehrenamt – ebenso klar? Doch eher nicht. Diese Position, so vernünftig sie auf dem Papier erscheinen mag, würde allerdings die menschlich komplizierte Situation, die dem Verband im Zuge der BAG-Krise entstanden ist, verkennen. Durch das gesamte vergangene Jahr zog sich eben auch jenes Quantum erratischer Energie, das mit den Mitteln von Vernunft und Analyse nicht einzuhegen war. Bis heute gibt es eine Sicht auf die Geschichte, in der die deutliche Zuordnung von Verantwortung und Versagen zu Gremien und Personen nicht vorgesehen ist. Das Kopfschütteln über diese Sicht gibt sich, was das menschliche Dilemma anlangt, auch bloß als stille Sonderform von Hilflosigkeit zu erkennen. Nun soll also bis zur Hauptversammlung in Berlin, die dann informiert entscheiden kann, die Debatte dauern. Das BÖRSENBLATT stellt, wie schon vor Jahresfrist, abermals gern die Bühne dafür zur Verfügung. Übereifer und Überzogenheit in Ton und Aussage wären der Debatte sicherlich nicht mehr angemessen. Die Krise war schlimm, der Untergang ist aber abgewendet. Als Thema bleibt die BAG vorerst knifflig, politisch von mittlerer Brisanz, emotional und menschlich berührend. Zum Schicksalsthema taugt sie nicht. Das Wohl und Wehe der Branche hängt weiß Gott an anderen Fragen.