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Irrelevante Poesie?

26. März 2008
von Börsenblatt
Wikipedia hat seinen Eintrag zur Edition Rugerup gelöscht. Für einen Kleinverlag, der mit großem Wagemut spannende internationale Lyrik in deutscher Übersetzung präsentiert, scheint in der freien Enzyklopädie kein Platz zu sein.
Laut Wikipedia, der „freien Enzyklopädie“, steht das Wort „Relevanz“ für Bedeutsamkeit und ist „ein Maß für die Wichtigkeit einer Sache oder Information in der Realität“. Irritiert musste die dank vieler neuer Kontakte frohgemut von der Leipziger Buchmesse in ihre südschwedische Wahlheimat zurückgekehrte Übersetzerin und Verlegerin Margitt Lehbert dieser Tage feststellen, dass der Wikipedia-Eintrag zu ihrer Edition Rugerup gelöscht wurde – ein Schicksal, dass sie etwa mit Bill Self, Trainer eines US-College-Basketballteams, oder dem Aachener TSC Blau Silber, einer deutschen Regionalliga-Formationstanztruppe, teilt. Der Grund des Wiki-Administrators, die Löschtaste zu betätigen: Die Edition Rugerup sei ein „irrelevanter Kleinstverlag mit 15 Büchern im Programm“. Irrelevant? Vor rund zehn Jahren zog die Übersetzerin Margitt Lebert mit ihrer Familie auf einen Bauernhof in Südschweden, seit 2005 betreibt sie dort die zugegeben kleine, aber feine Edition Rugerup, in der internationale Dichtung in deutscher Übersetzung erscheint: handwerklich wunderschön gemachte Ausgaben von Les Murray, Don Coles oder Iain Crichton Smith. Das Ein-Frau Unternehmen Rugerup schafft es nicht nur, neben den zum Broterwerb nötigen „Fremdübersetzungen“ pro Jahr rund vier bis fünf neue Titel auf den Markt zu bringen, sondern ermöglich Literaten wie Les Murray auch Arbeitaufenthalte in der durch Henning Mankells Kommissar Wallander zu literarischen Ehren gekommenen Landeinsamkeit. Gerade im Fall des Petrarca-Preisträgers Les Murray, dessen Werk bislang in mehr als ein halbes Dutzend Sprachen übersetzt wurde, ist die Wikipedia-Löschung für Lehbert besonders schmerzlich: „Früher waren unsere Titel von ihm auch unter dem Wikipedia-Eintrag "Les Murray" aufgeführt, dort sind sie nun verschwunden. Für uns ist das schlimm. Wenn man etwa bei Spiegel.de "Les Murray" als Suchbegriff eintrug, erschien unter anderem ein Link zu unserem Verlag. So konnten Lyrikfreunde sehen, dass diese Titel überhaupt existieren. Auch dieser Link verschwand, als man sich bei Wikipedia entschloss, den Verlagseintrag zu löschen.“ Dass harsche Vorgehen von Wikipedia gegen den Verlag ist kein Einzelfall: Rund ein Fünftel aller Artikel-Überarbeitungen in der englischsprachigen Wikipedia sollen nach jüngsten Schätzungen Rücknahmen von Löschungen oder Radikal-Änderungen sein. So löschte im letzten Herbst ein übereifriger Administrator einen Beitrag des Wikipedia-Gründers Jimmy Wales wegen angeblicher Irrelevanz. In Zeiten, da es – beflügelt von Groß-Events wie dem Poesiefestival Berlin oder dem Erfolg junger Verlage wie Kookbooks – so etwas wie eine neue Konjunktur für Verse zu geben scheint, ist die Verbannung eines engagierten Verlags für internationale Lyrik besonders ärgerlich. Margitt Lehbert wird weiter schöne bücher machen – auch wenn ihr fürs erste nur ein sarkastisches Fazit bleibt: „Wenn jemand mir sagen kann, wie viele Bücher ich noch veröffentlichen muss, bis ich bei Wikipedia wieder sichtbar werden darf, wäre ich natürlich froh, das zu wissen. Ich liebe die Bücher, die wir veröffentlichen, und werde weiter schöne Titel präsentieren - aber dazu dazu muss ich ab und zu ein Buch verkaufen. Und was man nicht sieht, kauft man nicht.“