Interview

»Langfristig gerät die fragile Mischkalkulation aus dem Gleichgewicht«

24. Juli 2015
von Börsenblatt
Die Internet-Piraten lehren nicht nur die Musikbranche das Fürchten. Mittlerweile werden auch Hörbücher und wissenschaftliche Standardwerke massenhaft raubkopiert. Einem Screening zufolge bieten 250.000 Personen illegale Downloads des Hörbuchs »Harry Potter und der Halbblutprinz« aus dem Hörverlag an. Wie sich der Hörverlag gegen die Piraten wehrt und was das Unternehmen von der Politik erwartet, erklärt Unternehmenssprecherin Heike Völker-Sieber im Interview mit boersenblatt.net.
Wie hoch ist der finanzielle Schaden, den der Hörverlag durch Raubkopierer erleidet? Gibt es Schätzungen? Völker-Sieber: Die einzige einigermaßen messbare Größe ist die Anzahl der Anbieter eines Titels im Netz, alles Weitere beruht auf vagen Schätzungen. Sie werden doch sicher mal hochgerechnet haben… Völker-Sieber: Wir wissen, 250.000 verschiedene Personen offerieren illegale Downloads des Hörbuchs „Harry Potter und der Halbblutprinz“. Und das sind nur die Zahlen aus einer Tauschbörse, vorsichtig hochgerechnet könnte die Lesung von Rufus Beck eine glatte Million Mal in virtuellen Schaufenstern liegen. Wie viele User sich dort bedienen, können wir nicht feststellen. Setzen wir – wiederum sehr zurückhaltend – 5 pro Angebot ein. 5 Millionen mal also fließt das Hörbuch auf heimische Festplatten. Wir sind Realisten, nicht jeder dieser 5 Millionen Downloader hätte den Titel mangels Angebot im Internet in seiner Buchhandlung und auf CD gekauft. Aber wäre es nur ein bescheidenes Prozent, also 50.000, hätten wir beim empfohlenen Ladenpreis der Sonderausgabe von 49,95 Euro einen Verlust von rund 2,5 Millionen Euro (zu Endverbraucherpreisen) erlitten. Das Ganze wohl gemerkt bei einem einzigen Titel und optimistisch gerechnet. Welche Auswirkungen hat der Datenklau über den Umsatzverlust hinaus auf die Arbeit des Hörverlags? Völker-Sieber: Neben der leidenschaftlichen Arbeit mit Stimmen, Kompositionen und Inszenierungen müssen wir uns nun zunehmend mit den Folgen der Enforcement-Richtlinie und des aktuellen Urheberrechts beschäftigen und der Berliner Regierung unermüdlich die Dringlichkeit des Schutzes künstlerischer Leistungen vermitteln. Was von beidem wir lieber tun, und was erfreulicher und erfüllender ist, können Sie sich vorstellen. Und: Da der Diebstahl vor allem Bestseller betrifft, droht langfristig die sehr fragile Mischkalkulation aus dem Gleichgewicht zu geraten. Irgendwann fehlt das Budget für ambitionierte Projekte, die sich nicht selbst tragen. Wie gehen Sie gegen Raubkopierer vor? Mit welchem Erfolg? Völker-Sieber: Die Kanzlei Waldorf Rechtsanwälte durchsucht für uns und einige weitere Buch- und Hörbuchverlage das Internet nach illegalen Angeboten. Bisher erhielten die entsprechenden „Kandidaten“ eine Unterlassungserklärung zur Unterschrift und eine maßvolle Schadensersatzforderung. Dabei wird auf die jeweilige persönliche Situation Rücksicht genommen, zumal bei vielen schlicht Unwissenheit herrscht. Die Enforcement-Richtlinie wurde modifiziert, seit 1. September müssen die Rechteinhaber nicht mehr über die Staatsanwaltschaften gehen, um die Adressdaten von den Providern zu fordern. Wird die Verfolgung Ihrer Ansprüche jetzt einfacher? Völker-Sieber: Unser Vorgehen wird dadurch extrem erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Zukünftig sollen Richter entscheiden, ob Urheber und ihre Vertreter überhaupt Einblick in die persönlichen Daten der illegalen Anbieter erhalten. Ohne persönliche Daten jedoch ist keine Kontaktaufnahme möglich. Zudem sollen nur noch gewerbsmäßige Urheberrechtsverletzungen verfolgt werden. Die Grenzen zwischen „privat“ und „gewerbsmäßig“ definieren die Staatsanwaltschaften derzeit individuell, unter der schlagartig eingetretenen Arbeitsüberlastung ächzend, die die neue (praxisferne) Gesetzgebung zur Folge hat. Wie es weitergeht, müssen Musterprozesse zeigen. Setzen Sie weiterhin digitale Wasserzeichen ein? Völker-Sieber: Wir haben sowohl bei den CDs als auch in den legalen Plattformen von Anfang an auf jeglichen Kopierschutz verzichtet und setzen weiterhin auf das Wasserzeichen. Schließlich wollen wir rechtmäßige Käufer nicht unter Generalverdacht stellen, sondern ihnen größtmöglichen Komfort und Service garantieren. Das Wasserzeichen ist lediglich ein Tool, die nachzuverfolgen, die Künstler und Macher im Netz enteignen und sich an der kreativen Leistung anderer bereichern. Die Kosten dieses Tools trägt in der Regel der Betreiber der legalen Download-Plattform, die Effektivität des Wasserzeichens hängt von den zukünftigen gesetzlichen Rahmenbedingungen ab. Was erwarten Sie in Sachen Urheberrechtsschutz im Internet von der Politik? Völker-Sieber: Was wir von den Politikern hören wollen, ist ein klares Bekenntnis zum Schutz des geistigen Eigentums, das durch entsprechend konsequentes Handeln mit Leben gefüllt wird. Dieser Wille dazu ist momentan offenbar nicht vorhanden, und die Erfahrung zeigt, dass von den Damen und Herren in der sich dem Ende zuneigenden Wahlperiode auch kein Engagement mehr zu erwarten ist. In anderen Ländern wie Frankreich und Großbritannien sieht das anders aus. Die Regierungen erklären das Thema zur Chefsache und entwickeln Lösungen, in die – existenziell wichtig – auch die Internet-Provider eingebunden sind.