Interview mit Marcel Reich-Ranicki

"'Lesen!' war halt eine Sendung für Frauen"

20. November 2008
von Börsenblatt
Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranick wirft der Moderatorin Elke Heidenreich (65), von der sich das ZDF nach ihrer polemischen Kritik an dem Sender getrennt hatte, mangelndes Niveau ihrer Bücher-Sendung "Lesen!" vor. "Diese Reklame für Bücher erscheint mir etwas billig", sagte er dem Politmagazin "Cicero". Wir veröffentlichen einen Auszug aus dem Interview:
Es gab einen Brandbrief der deutschen Verleger, die das ZDF anflehten, Elke Heidenreich zurückzuholen – mit dem heiklen Argument, dass ihr Weihnachtsgeschäft bedroht sei, wenn die nächsten Sendungen ausfallen. Man brauche Frau Heidenreich als Lokomotive für den Verkauf. Ist es ein Armutszeugnis für die Verleger, dass sie gewissermaßen ein Marketinginstrument einklagen? Ja, natürlich, das gefällt mir nicht, aber so machen sie es. Man sollte Bücher auch jenseits der Verkäuflichkeit wahrnehmen. Deshalb hat mir die Wahl des diesjährigen Literatur-Nobelpreisträgers gefallen. Sehen Sie, in der Regel bin ich mit dem Literatur-Nobelpreis überhaupt nicht einverstanden. Es ist lächerlich, dass die beiden großen Amerikaner Philip Roth und John Updike diesen Preis bisher nicht bekommen haben. Aber den Preis einem französischen Schriftsteller zu geben, der am Rande steht und gar nicht populär ist, war eine mutige und keineswegs törichte Entscheidung. Elke Heidenreich hat soeben verkündet, dass sie ihr abgesetztes Format bei einem anderen Sender weiterführe. Glauben Sie, dass man Literatur im Fernsehen verhandeln sollte wie sie: Buch hoch halten, „tolles Buch, das müssen Sie lesen…“ ... nein, nein, nein!... ... oder sollte man sich lieber diskursiv damit auseinandersetzen? Diskursiv! Die Methode der Elke Heidenreich gefällt zwar vielen Zuschauern, aber ich kann es nicht ertragen, wenn jemand sagt: „Kauft dieses Buch! Nicht morgen, besser heute noch!“ Na, na, na, diese Reklame für Bücher erscheint mir etwas billig. Dennoch ist es eine Tatsache, dass die Sendungen der Elke ein großes Publikum erreichten, vor allem Frauen, so sagte man mir. Es war halt eine Sendung für Frauen. Und es ist ja tatsächlich so, dass mehr Frauen als Männer Bücher lesen. Welche Schriftsteller der letzten dreißig Jahre waren für Sie die wichtigsten? Was wird bleiben? Zu den wichtigsten gehört Nabokov. Was ich am meisten schätze, sind „Lolita“ und „Pnin“ – „Pnin“ ist ein sehr guter Roman. Erstaunlich ist, was Nabokov über andere große Schriftsteller geschrieben hat. Über Thomas Mann etwa hat er sich sehr abfällig geäußert. Aber man soll sich nicht so darum kümmern, was Schriftsteller über andere Schriftsteller sagen. Sie selber sollen gute Bücher schreiben, wenn sie das tun, reicht das vollkommen.