Meinung

Antiquariatskultur (III)

19. Dezember 2008
von Börsenblatt
Titelaufnahmen, Zustandsbeschreibungen, angemessene Verpackung. Von der Erosion bewährter Standards des Antiquariatsbuchhandels. Von Heinrich Förster.
Wenn eine Wohnung in einer Immobilienanzeige als 'charmant' charakterisiert wird, bedeutet dies zumeist 'renovierungsbedürftig'. Das Attribut 'citynah' lässt in diesem Zusammenhang häufig auf eine Randlage schließen und eine 'Patriziervilla' ist oft nichts anderes als ein späthistoristischer Spekulationsbau. Von solchen Euphemismen ist der Antiquariatshandel zwar weit entfernt − die Qualität der Titelaufnahmen und Zustandsbeschreibungen nimmt allerdings in den letzten Jahren auch hier spürbar ab. Zu einer Erosion bewährter Standards hat dabei vor allem die Zunahme von Amateur-Anbietern im Internet beigetragen. Aber viele Berufsantiquare, die ihre Mengenware von unkundigen Hilfskräften erfassen lassen, tragen ebenfalls einen Teil der Verantwortung für diese Entwicklung. Denn oft wird sich nicht einmal mehr die Mühe gemacht, dem Bücherangebot überhaupt eine Zustandsbeschreibung beizugeben. Oder es werden schlicht Formulierungen aus der Datenbank kopiert, die ursprünglich einem ganz anderen Exemplar galten. Immer häufiger findet sich auch die unsinnige Standardaussage "altersgemäßer Zustand". Und was zuweilen mit dem Attribut "gut erhalten" versehen wird, lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass für manche Hobby-Händler ein Buch erst durch Defekte so richtig 'antiquarisch' wird. Die Defizite bei der Produktbeschreibung sind umso unverständlicher (oder eben durchsichtiger), als sich oft ja dutzendfach Angebotenes eigentlich nur noch durch die Erhaltung unterscheidet. Wer in diesem Wettbewerb als Antiquar einen vernünftigen Preis für seine Ware erzielen will, sollte sich also auf wirklich gut bis sehr gut erhaltene Bücher konzentrieren, diese Qualität entsprechend herausstellen und möglichst abbilden (letzteres geschieht trotz vorhandener technischer Möglichkeiten noch immer viel zu selten). Aber auch die Käufer können einen Beitrag zur Antiquariatskultur leisten, indem sie ihre Bestellung unter den Vorbehalt zutreffender Zustandsbeschreibung stellen und gelieferte Ware, die der gemachten Zusage nicht entspricht, unfrei zurückschicken. Allerdings wird der Besteller dann nicht selten die Erfahrung machen, dass der Anbieter den Eintrag im Internet schlicht reaktiviert, ohne die fehlerhafte Beschreibung sachgerecht zu korrigieren. Die Unzulänglichkeiten der Titelaufnahmen betreffen allerdings nicht nur die physikalische Buchbeschaffenheit, sondern oft auch die bibliografische Information, die nicht selten fehlerhaft oder unvollständig ist. Stehen Erscheinungsjahr oder Auflage nicht deutlich auf dem Innentitel, verzichtet mancher Anbieter auf weitergehende Recherchen und Angaben. Dabei ist es noch nie so einfach gewesen, sich dank KVK oder WorldCat mit Basisinformationen über ein Buch zu versorgen. Wer dies als Antiquar unterlässt, verdient diese Berufsbezeichnung nicht. Objektiv schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob die Erwähnung des Vorhandenseins oder Fehlens eines Schutzumschlags (oder gar Schubers) zu einer seriösen Buchbeschreibung gehört − denn diese Informationen sind ja nicht den Bibliotheksdatenbanken zu entnehmen. Prinzipiell ist natürlich ein Schutzumschlag integraler Gestaltungs- und Marketing-Bestandteil eines Buches und sollte daher, sofern intakt vorhanden, auch erwähnt werden. Oft kann aber selbst ein erfahrener Antiquar nicht sicher sein, ob es zu einem ihm 'nackt' vorliegenden Band einen Umschlag gegeben hat. Wird also ein Schutzumschlag in einer Beschreibung nicht erwähnt, darf der Kunde auch keinen erwarten. Jedenfalls stellt bei einer Lieferung das Fehlen eines Schutzumschlags im Sinne der Gewährleistung keinen Produktmangel dar (im Übrigen besteht ja immer Gelegenheit zur Rückgabe). Deshalb macht auch die Praxis einiger Antiquare wenig Sinn, jede Titelaufnahme mit dem Zusatz 'ohne Schutzumschlag' zu versehen, weil so bei einem Suchlauf nach Buchtitel und Schutzumschlag die oft nur wenigen Exemplare mit Schutzumschlag im Meer der 'nackten' Exemplare untergehen. Nicht zuletzt wird für das Thema 'Zustand' im Antiquariat leider auch zunehmend die Art des Buchversands relevant. Denn es häufen sich die Fälle unzureichender Verpackung. Vor allem Nebenerwerbsantiquare und Trödler mit Bücherregal, die selbst gegenüber Traditionsfirmen der Branche noch rüde Vorkasse verlangen, verschicken ihre nicht selten mangelbehaftete Ware auch noch in dilettantischer Weise. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass antiquarische Bücher individuell in Papier eingeschlagen und dann so stabil verpackt werden, dass ein sicheres Eintreffen beim Kunden gewährleistet ist. Darin kommt nicht zuletzt auch ein Respekt vor dem Kulturgut 'Buch' zum Ausdruck, unabhängig vom Preis. Heute jedoch werden Bücher, ob Broschur oder Festeinband, nicht selten ungeschützt in einen großen Umschlag oder eine Polstertüte gestopft, so dass die gelieferte Ware garantiert mit gestauchten Ecken oder anderen Beschädigungen ankommt. Da haben die Bücher Jahrzehnte, manchmal sogar Jahrhunderte überlebt und werden von Anbietern, die sich 'Antiquare' nennen, auf den letzten Metern zum Kunden ruiniert. Aber noch ist es doch wohl so, dass Käufer kein 'charmantes', sondern ein intaktes Buch erwerben möchten.