Meinung

Warum Twitter bei Verlagen und Buchhandlungen nicht funktionieren wird

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Zu unserem gestrigen Interview mit Twitter-Experte Benedikt Köhler erreichte uns ein Beitrag von Wolfgang Tischer von literaturcafe.de.
Eine neue Sau wird von den PR- und Marketingberatern durchs digitale Dorf getrieben: Twitter! War vor zwei Jahren Second Life noch das Nonplusultra, um neue Kunden zu gewinnen und nicht vollkommen von der modernen Welt, ja der Zukunft schlechthin abgeschnitten zu sein, so ist es nun Twitter. Und davor war es das Bloggen, das speziell für Verlage und Buchhändler ein tolles, neues und unmittelbares Instrument darstellen würde, um zu hören, was der Kunde wirklich will. Und jetzt also ist Twitter der neue Hype. Twitter, so erzählt ein PR-Experte dem Börsenblatt, sei ein »neuer Weg der Zielgruppenansprache«, ein »guter Ausgangspunkt für Word-of-Mouth-Kampagnen« und schlechthin der hippe Kanal, um einen »echten Dialog« mit dem Kunden zu führen. Viele Buchhändler und Antiquare waren offenbar jahrelang in dem Irrglauben, dass sie dies im eigenen Laden tun würden. Twitter, sei ein sogenannter Micro-Blogging-Dienst, definieren es die Experten. Und Micro bedeutet hier: noch schneller und noch besser als Bloggen. Denn eine Twitter-Nachricht, die Sie in die Welt hinausschicken, ist maximal 140 Zeichen lang. Twittern ist einfach und simpel. In wenigen Sekunden haben Sie sich unter twitter.com ein Profil angelegt und es kann losgehen. Sie tippen Ihre Nachricht in ein Textfeld ein, und mit jedem Buchstaben zählt ein Zähler daneben die 140 Zeichen runter. Spätestens bei 0 ist Schluss. Mit Druck auf die Enter-Taste schicken Sie Ihre Nachricht in die Welt hinaus. Wenn Sie sich nun fragen, wer das lesen soll, so sind wir bei einer anderen wichtigen Twitter-Komponente: den Followern. Übersetzen Sie es mit »Leser«, »Fans«, »Jünger« oder »Gläubige« - oder mit »Freunde«. Follower, das sind die, die sich für das interessieren, was Sie schreiben. Menschen, die an Ihren Gedanken und Tätigkeiten teilhaben wollen, die sich bei Ihnen so im Laufe des Tages ansammeln. Denn natürlich können Sie Twitter-Nachrichten - sogenannte Tweets - nicht nur über die Website twitter.com, sondern auch über Firefox-Plugins oder spezielle Programme wie TweetDeck aussenden. Und selbstverständlich auch direkt von unterwegs per iPhone und Handy. Wenn also der Bratwurstverkäufer in der Mittagspause unfreundlich zu Ihnen war, dann twittern Sie das doch gleich, um Ihre Follower darüber zu informieren. Diese werden Ihnen antworten, Sie wohltuend bemitleiden, Ihnen erzählen, dass man in der Mittagspause ohnehin besser einen Döner isst - oder einfach schweigen. Wer Twitter nutzt, ist nie allein. Ich weiß: Seit mindestens zwei Absätzen wollen Sie fragen, wen solche Nichtigkeiten denn interessieren und dass Ihr Leben so unbedeutend sei, dass sich schlichtweg niemand dafür interessieren wird. Täuschen Sie sich nicht! Twitter ist faszinierend. Das erschließt sich jedoch erst dann, wenn Sie es tatsächlich machen. Eine Kommunikation über maximal 140-Zeichen-Sätze zu führen, hat durchaus ihren Reiz. Ironie kann beispielsweise problematisch sein und ungeheuer missverstanden werden. Und wenn Sie einem Follower antworten, machen Sie diesen auch für all Ihre anderen Follower sichtbar. Das führt dazu, dass Sie vielleicht ein paar Follower auch dorthin vermitteln. Es ist interessant zu sehen, wer hier wem antwortet und wer wem nicht. Und wichtig ist der Blick auf den Twitter-Tacho, dem Follower-Zähler. Wie viele folgen mir? Einige begrüßen jeden Follower per Tweet persönlich. Andere haben, wie der britische Autor und Schauspieler Stephen Fry, über 125.000 Follower. Dagegen ist der deutsche Follower-König Sascha Lobo mit knapp 5.000 ein Zwerg. Gut, kommen wir jetzt zu Ihrer zweiten Frage, die Ihnen unter den Nägeln brennt: Wenn Twitter also offenbar wirklich so toll ist, wie es die Marketing und PR-Experten sagen, warum trägt dieser Artikel dann die Überschrift, dass Twitter bei Verlagen und Buchhandlungen nicht funktionieren würde? Zunächst: Ich beziehe mich auf Buchverlage. Außer Acht lassen muss man die vielen Twitter-Feeds der Zeitungsverlage und Online-Medien, beispielsweise den des SPIEGEL Online. Hier werden nur über eine technische Schnittstelle die Überschriften und Links der Online-Artikel in den Feed gekippt. Das mag je nach Interessenslage interessant sein, ist aber kein echtes Twittern, da hier jede Persönlichkeit hinter dem Twitter-Account fehlt. Daher wäre es für einen Buchverlag wenig sinnvoll, über Twitter auf alle seine Neuerscheinungen hinzuweisen oder Pressemeldungen zu verlinken. Eine »Tweet-and-forget«-Lösung wird hier nicht funktionieren. Twittern erfordert Persönlichkeit und Persönliches. Twittern lässt sich nicht verordnen oder anordnen. Schon gar nicht von PR- und Marketingberatern. Twitter wird bei Verlagen genauso wenig funktionieren wie Blogs. Ein Verlag »an sich« kann nicht twittern oder bloggen. Twittern oder bloggen können nur einzelne engagierte Verlagsmitarbeiterinnen oder -mitarbeiter, sofern diese mit Leidenschaft und ohne Zwänge agieren dürfen. Allein das immer wieder gehörte Argument »Das ist ja schön und gut, aber wie soll ich während meiner Arbeitszeit auch noch dafür Zeit finden?« ist ein Signal, dass es an dieser Leidenschaft fehlt. Denn für Leidenschaften findet man immer Zeit. Es gibt natürlich gute Beispiele von twitternden Verlagen, Antiquaren und Autoren, doch dahinter steckt in fast allen Fällen immer nur eine Einzelperson, die im Namen des Verlags oder der Buchhandlung twittert. Umgekehrt funktioniert es also nur, wenn es solche Personen im Verlag oder in der Buchhandlung gibt. Doch die machen sich leider im Unternehmen nicht immer beliebt und melden sich daher nicht immer freiwillig. Was soll man denken, wenn die- oder derjenige während der Marketingsitzung oder Vertreterkonferenz an seinem iPhone herumspielt? »Das twitterst du doch jetzt etwa nicht, oder?« Schnell wird man zum verdächtigen Subjekt in den eigenen Reihen und so schwindet die Motivation. Und per Twitter über die Kunden lästern, wie es im Blog »Buchhändleralltag und Kundenwahnsinn« geschieht, wird man sicherlich nicht unter dem Namen der Buchhandlung machen können. So ist die neue Offenheit gegenüber dem Kunden nun auch nicht zu verstehen. Immer schon konnte ich mir spannende Verlags-Blogs vorstellen. Und ich kann mir auch tolle Twitter-Feeds aus Verlagshäusern vorstellen. Doch die oben genannten Gründe führen dazu, dass ich sie leider in freier Online-Wildbahn noch nicht gesehen habe. Den Hund sollte man nicht zum Jagen tragen und Verlage nicht zum Twittern. Wolfgang Tischer ist der Gründer und Herausgeber von literaturcafe.de, einer Website, die sich seit 1996 mit Literatur und ihren Machern beschäftigt. Er berät Verlage bei ihren Online-Aktivitäten und twittert unter www.twitter.com/literaturcafe