Interview

"Verkaufsfördernde Präsenz am POS"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Der Handel interessiert sich nur für die "schnelldrehenden Rosinen", das Gesamtportfolio der Verlage mit der Chance auch Themen- und Erlebniswelten zu präsentieren, spielt allenfalls eine Nebenrolle, meint Vertriebsprofi Urs Erdle. Dabei sollte das Sortiment gerade in schlechten Zeiten auf Individualität setzen. Erdles Königsweg aus der Misere: Vertriebskooperationen.
Größenordnung? Ausrichtung? Welchen Verlagen empfehlen Sie eine Vertriebskooperation? Erdle: Den kleinen Verlagen mit einem Umsatz von bis zu einer Million Euro, die – von den Handelsvertretern abgesehen – kaum einen direkten Zugang zum Sortiment haben. Aber auch mittelständische Verlage mit einem Umsatz von fünf bis sechs Millionen Euro sollten sich zusammenschließen, um gemeinsam eine finanzielle Grundlage für eine konzentrierte Ansprache und koordinierte Werbemaßnahmen zu schaffen. Das vielfach angesprochene Problem der verschiedenen Auslieferungen ist sicherlich nur vorgeschoben. Die meisten großen Auslieferungen bündeln mit den großen Verlagen bereits optimal. Geht die Kompetenz der Handelsvertreter nicht längst über die Vorstellung der Novitäten hinaus? Erdle: Durchaus. Allerdings sind die freien Vertreter meist nicht mit Budgets ausgestattet. Zudem ist die Bindung an bestimmte Verlage zu wenig oder zu stark ausgeprägt. Außerdem, und das ist das größte Problem, werden sie in vielen Buchhandlungen nicht empfangen. Hinzukommen müssen Keyaccounter, die den Handel bei der Sortimentsführung der gesamten Warengruppe unterstützen, die über die jeweiligen Zielgruppen Bescheid wissen, kompetent in Sachen Logistik beraten, in Fragen des Marketings entscheidungsbefugt sind und Informationen aus den Verlagen gebündelt weitergeben. Dies ist allerdings nur innerhalb von Kooperationen finanzierbar. Verlage konkurrieren miteinander, sollen beim Vertrieb aber an einem Strang ziehen. Wie räumen Sie diese Bedenken aus? Erdle: Die Not müsste eigentlich jedweden Konkurrenzgedanken aushebeln. Für viele Verlage gilt: Erst die Kooperation ermöglicht die verkaufsfördernde Präsenz am POS. Kooperationen dienen dazu, individuelles Marketing zu realisieren. Würden Sie das bitte erklären? Erdle: Den einzelnen Verlagen fehlt einfach das Budget für ein auf das Verlagsimage abgestimmtes, kreatives Marketing. Statt mit der allseits bekannten Briefmarke in den buchhändlerischen Werbemitteln vertreten zu sein, sollten die Verlage gemeinsam mit dem Handel gezielt auf die jeweiligen Zielgruppen ausgerichtet agieren. Wie können Vertriebskooperationen dem Sortiment bei der Erschließung neuer Zielgruppen helfen? Erdle: Die Verlage sind einfach nah dran an den Zielgruppen. Zusammen mit dem Sortiment können die jeweiligen Kunden beispielsweise durch Sinus-Milieus beschrieben und adäquat angesprochen werden. Themen- und Erlebniswelten in der Buchhandlung holen diesen dann in seiner ganzen Komplexität, seinen Vorlieben und Einkaufsgewohnheiten ab. Und wie können Vertriebskooperationen dem Konditionendruck entgegenwirken? Erdle: Ein Konditionensystem sollte leistungsbezogen sein. Das kann aber nur realisiert werden, wenn der Verlag überhaupt die Möglichkeit hat, Leistung zu erbringen. Ihre These: „Kategorie-Kapitäne aus den großen Verlagsgruppen übernehmen die Sortimentsgestaltung einer ganzen Warengruppe“. Haben Sie schon Reaktionen aus dem AkV? Erdle: Diese Aussage ist eher eine ganz persönliche Befürchtung basierend auf den Erfahrungen in anderen Branchen. Dennoch sollten die kleineren Verlage sich rechtzeitig wappnen. Sprechen Sortimenter und Verlage in Sachen Vertrieb denn überhaupt eine gemeinsame Sprache? Erdle: Wenn sie das gleiche wollen, werden sie sicher eine gemeinsame Sprache finden. Die Frage ist vielmehr: Sprechen sie überhaupt noch miteinander. Wie berurteilen Sie Ideen wie den Independent Day der Mayerschen? Erdle: Das ist allenfalls ein erster Schritt, um mit kleineren Verlagen in Kontakt zu treten. Allerdings sollten die Verlage in ihrer individuellen Ausrichtung und Positionierung wahrgenommen und präsentiert werden. Eine Regalpräsentation unter dem einzigen verbindenden Element „Unabhängige Verlage“ hilft nicht weiter. Nach Vertreibsleiterstationen bei Campus, DuMont und Patmos widmet sich Urs Erdle derzeit der Gründung von Verlagskooperationen im Belletristikbereich. (Kontakdaten: Urs Erdle, e-mail erdle@gmx.de, Tel. 0151-51196328)