Interview mit Stefanie Langner (Hatje Cantz) und Matthias Mantey (Cornelsen)

"Impulse aus der Herstellung"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Überraschen konnte das keinen: Auf der 59. Arbeitstagung der Herstellungsleiter, die am gestrigen Sonntag im Kloster Irsee zu Ende ging, führte an E-Books, iPhone & Co und deren Auswirkungen auf den digitalen Workflow im Verlag kein Weg vorbei.

In Vorträgen, Workshops und vielen angeregten Diskussionen jenseits des dicht gedrängten Programms hatte man aber auch die Herausforderungen des traditionellen Print-Kerngeschäfts fest im Blick. Uta Schneider war mit vielen schönsten Büchern angereist, Klaus Wagenbach plauderte am Kamin und ein echter Zauberer zeigte seine Tricks – auch wenn den Zwängen des Marktes durch Hexerei wohl nicht zu entkommen ist. Zur Halbzeit sprach boersenblatt.net mit Stefanie Langner (Hatje Cantz) und Matthias Mantey (Cornelsen), die dem derzeit siebenköpfigen Organisations-Gremium der Fachtagung angehören, über die neuen Herausforderungen der Hersteller und den guten Geist von Irsee.

Herstellung kommt einem ja vor wie Revolution in Permanenz, wer up to date bleiben will, braucht fast magische Kräfte. Haben Sie deshalb einen Zauberkünstler nach Irsee eingeladen?
Matthias Mantey: (lacht) Es ist ja glücklicherweise nicht so, dass in unserer Branche Dinge plötzlich in einem Hut verschwinden. Trotzdem bedarf es einer permanenten Wachheit, um die Erweiterung der Medienformen hinsichtlich ihrer Bedeutung auch für herstellerische Prozesse zu erkennen.

Während mancher in der Branche gerade Web 2.0 lernt, diskutieren Sie über Publishing 3.0. Mit dem Hype um`s E-Book scheint sich auch Ihre Position gerade wieder einmal rasant zu verändern?
Stefanie Langner: Schon seit geraumer Zeit steht die Positionierung der Herstellungsabteilung im Verlag wieder stärker im Fokus. Wir hatten vor einigen Jahren schon mal eine Tagung über „Identitätsfindung der Herstellung“, das hat sich relativ spontan ergeben, dass es da Gesprächsbedarf gab. Vieles hat auch mit einem Generationenwechsel in den Abteilungen zu tun, dass sieht man auch hier in Irsee. Die Herstellung hat als zentrale beratende Abteilung zweifellos an Bedeutung gewonnen. Und sie muss auch in übergreifende strategische Überlegungen noch stärker eingebunden werden. Es ist die Abteilung mit den meisten Schnittstellen in andere Verlagsbereiche – aus den medialen Umwälzungen, die wir zurzeit erleben, kann sie Stärke gewinnen.

Auf der anderen Seite sehen wir outgesourcte Herstellungsabteilungen und Hersteller mit profunder Erfahrung, die entlassen werden.
Mantey: Bis vor ungefähr fünf Jahren war die Herstellung in einer Findungs- oder Neubesinnungsphase. Das führte fast zu einer Art Schockstarre. Durch die Anforderungen, die durch neue Medien-Formen und neue Prozessabläufe an uns gestellt werden, kann die Herstellung ihre Kompetenz im Bereich des vernetzten Wissens im Haus in die Wagschale werfen – und Terrain gewinnen. Im Moment sind die Hersteller dabei, die neuen Herausforderungen anzunehmen und in erste reale Umsetzungen zu gehen. Bei jedem Paradigmenwechsel gibt es eine Phase der Stagnation. Die scheint mir aber, zumindest in Teilen, überwunden zu sein.

Welche Herausforderungen kommen auf Sie und ihre Kollegen zu?
Mantey: Es ist mittlerweile völlig klar, dass es zu kurz gedacht wäre, Daten für reine Printzwecke zur Verfügung zu stellen. Die Herstellung muss neue Verwertungsformen im Ansatz ihrer eigenen Arbeit integrieren. Prozesse, die neu hinzukommen, dürfen nicht sequenziell aufsetzen, sondern müssen von vornherein integrativ gedacht werden. Das betrifft die Daten selbst, aber auch die Dialogformen mit den Lektoraten oder Redaktionen der jeweiligen Häuser.

Langner: Das birgt auch eine große Chance: Dass man aus der Herstellung heraus Impulse in Richtung Programmplanung, Lektorat oder auch Marketing geben kann – Fachverlage etwa sind da schon einen gehörigen Schritt weiter. Das Thema der Datenbereitstellung und -archivierung ist ein gigantisch großes Thema.

Die Ankunft der E-Books auf dem Publikumsmarkt hat auch die traditionelle Tagung in Irsee ordentlich aufgemischt...
Mantey: Dass ist manchmal ein Problem, wenn sich ein Thema so mit Macht in den Vordergrund schiebt. Schaut man genau hin, erwirtschaften ja die meisten Verlage ihren Hauptumsatz im traditionellen Print-Kerngeschäft. Der Spagat, vor dem wir stehen: Wir müssen uns intensiv um die neuen Medien kümmern, dürfen aber unser Kerngeschäft nicht vernachlässigen. Dort bilden herstellerische Herausforderungen wie Einkaufsoptimierung, Standardisierung, oder Prozessoptimierung gewissermaßen eine zweite Säule von Herausforderungen, die wir – gerade mit Blick auf die angespannte wirtschaftliche Gesamtsituation – nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Vielleicht lernen wir ja durch die Herausforderung der neuen Medien, die Notwendigkeit, digitale Prozessketten generieren zu müssen, auch für’s so genannte „alte Geschäft“. Das würde ich mir zumindest wünschen.

Was bedeutet die rasante Entwicklung in Ihrem Berufsfeld für die Organisation einer solchen Tagung, ihren Organisations- und Kommunikationsstil? Wie bleiben sie am Puls der Zeit?
Mantey: Wir sind das ganze Jahr über offen für Themenvorschläge. Und wir selbst, die Kollegen des Gremiums, die aus unterschiedlichsten Verlagen und Strukturen kommen, bilden natürlich auch eine Art Kaleidoskop der aktuellen Diskussionen.

Die Tagung der Herstellungsleiter agiert seit fast 60 Jahren ohne Vorstand, Satzung und Kassenprüfer – wie schaffen Sie das?
Langner: Es ist eine relativ idealistische Herangehensweise: Niemandem hier geht es darum, Geld mit dieser Veranstaltung zu verdienen. Karin Kern, die das Tagungsbüro organisiert, hält uns den Rücken frei – inhaltlich entsteht das Ganze aus dem Plenum.

Mantey: Wir decken uns mit den Tagungsbeiträgen; es gibt keine Sponsoren, was auch für eine gewisse Unabhängigkeit der Tagung sorgt. Die Referenten kommen gern zu uns, sie schätzen die Stimmung der Tagung, die Hochkarätigkeit der Teilnehmer. Das erklärt auch die moderaten Honorarforderungen.

Irsee ist einer der ganz wenigen Orte, wo man sich als Herstellungsprofi Anregungen und know-how abholen kann. Wird diese wichtige Weiterbildungsfunktion auch in den Chefetagen der Verlage erkannt und geschätzt?

Mantey: Irsee hat in den Chefetagen vieler Verlage einen guten Ruf. Der Gedanke einer breiten Wissensvermittlung auf hohem Niveau, der Austausch untereinander wird mehrheitlich mitgetragen. Letztlich profitieren die Unternehmen von dem Gedankenaustausch – das ist nicht zu unterschätzen! Für viele, die hierher kommen, ist dieser Punkt mindestens so wichtig wie die Vorträge und Workshops. Mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen und Probleme haben, in sehr persönlichem Austausch zu stehen: das macht die Tagung relativ einzigartig.

Sie waren dieses Jahr ausgebucht. Wie soll der Zugang künftig geregelt werden?
Mantey: Die Tagung wendet sich auch weiterhin in erster Linie an die Herstellungsleitungen. Wobei klar ist, dass die Leitungsspannen der Kolleginnen und Kollegen, die hierher kommen, sehr unterschiedlich sind. Aber gerade wer in einem kleineren Verlag arbeitet, ist an dem Netzwerkgedanken interessiert. Wir sind also offen für alle, die in der Herstellungsverantwortung stehen – verschließen uns aber auch nicht für Dienstleister der Vorstufe – outgesourcte Herstellungen oder freie Hersteller. Sehr konsequent sind wir in einem anderen Punkt geblieben: Wir können keine Mitarbeiter aus technischen Betrieben, etwa Druckereien oder Buchbindereien, aufnehmen. Das würde dem Charakter der Tagung nicht gerecht werden. Und ausgebucht her oder hin: Wir möchten auch gern die Herstellungsleiter, die noch nicht hier waren, einladen, an unserem Austausch teilzunehmen.

Sie sind, anders als es manche Legenden wissen wollen, kein Orden, zu dem man nur mit besonderen Weihen Zugang findet?
Langner: Wir sind kein closed shop! Es war uns wichtig, bei der Diskussion um den Aufnahmemodus für größtmögliche Transparenz zu sorgen.   

Stichwort Transparenz: Was dem Neuling auffällt, ist die ungeheure Offenheit der Kollegen im Umgang miteinander. Liegt das am legendären Klosterbräu – oder an Ihrer Berufsgruppe?
Langner: Wohl an letzterem (lacht). Ich habe auch andere Tagungen oder Seminare erlebt, wo das Gros der Teilnehmer aus anderen Verlagsbereichen kam. Aus der Erfahrung von Irsee heraus war ich doch erstaunt, wie vorsichtig-taxierend man da miteinander umging. Es ist ja nicht so, dass man keine kleinen Geheimnisse voreinander hätte; nicht alles wollen wir mit unseren Wettbewerbern teilen. Aber es geschieht sehr oft auch außerhalb von Irsee, dass sich Hersteller übers Jahr anrufen. Man kennt sich persönlich, es gibt wenig Scheu, mal zum Telefon zu greifen. Im Impressum steht eh, wer bei wem drucken, binden oder setzen lässt. Das kann schon ein ganz konkreter Anknüpfungspunkt sein: Hallo, ich hab’ gehört, ihr habt mit xy zusammen gearbeitet – wie sind die denn so?

Gestern hat mich ein Tagungsteilnehmer gefragt, ob ich den „Geist von Irsee“ schon aufgespürt hätte. Worin liegt der für Sie?
Mantey: Ich würde sagen: In der unverkrampften Kollegialität. Der selbstverständliche, lockere Austausch über die Themen, die Herstellungsleitungen und andere heute umtreiben - das ist der Kern. Wenn die Tagung hinter mir liegt, bin ich immer voller Tatendrang, geradezu euphorisiert. So gesehen, setzen diese vier Tage in Bayerisch-Schwaben Energien frei, die sich ganz praktisch niederschlagen.  



Einen ausführlichen Bericht von der 59. Arbeitstagung der Herstellungsleiter in Irsee lesen Sie am Donnerstag in der nächsten Börsenblatt-Ausgabe.