Interview

Claudio Magris: "Der Friedenspreis ist ein bisschen ein Mythos"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Das erste Interview mit dem Friedenspreisträger des Jahres 2009. Claudio Magris über Glücksgefühle, den Zufall und seine Dankesrede im Oktober.
Was war Ihre spontane Reaktion, als Sie erfahren haben, dass Sie den Friedenspreis bekommen?
Claudio Magris: Ich war völlig überrascht und ich habe mich sehr gefreut.

War es schwierig, vor der offiziellen Bekanntgabe nicht darüber reden, sich nicht mit anderen freuen zu können?
Claudio Magris: Ich habe es zunächst nur meinen beiden Söhnen und meiner Frau gesagt. Aber es käme mir auch nie in den Sinn, damit zu prahlen. Ein solch großer Preis zwingt einen, ein bisschen Bilanz zu ziehen. Und diese Bilanz zeigt immer ein Defizit, von dem man hofft, dass die anderen es nicht bemerken.

Man bleibt immer zurück hinter seinen Möglichkeiten?
Claudio Magris: Man bekommt einen Preis und fragt sich: warum. Das ist keine falsche Bescheidenheit. Die Frage stellen sich sicher auch Menschen, die größer und wichtiger sind als ich, auch sie vergleichen, was sie irgendwie geschafft haben. Da ist auch das Gefühl, vieles zufällig erreicht zu haben, man kennt die eigenen Lücken, die man natürlich versucht hat zu verstecken (lacht). Aber vor allem gibt es eine große Dankbarkeit und so ist es möglich, einen solchen Preis guten Gewissens anzunehmen – mit der Überzeugung, dass man ihn eigentlich mit vielen anderen teilen sollte. Was wir erreichen, das verdanken wir nie nur uns selbst, sondern vielen anderen, ohne sie hätten wir Wichtiges nicht gesehen, nicht verstanden, nicht gefühlt.
Es gibt eine schöne Anekdote über den großen Dichter Umberto Saba. Als noch Unbekannter veröffentlichte er sein erstes Gedicht in einer Zeitschrift und bekam dafür 50 Lire. Es war die Zeit, als man in Italien gesungen hat: Ach, könnte ich doch jeden Monat 1000 Lire verdienen. In dem Gedicht ging es um einen Kommilitonen und der  sagte zu Saba: Du solltest mir 25 Lire geben, ohne mich hättest du dieses Gedicht nicht geschrieben. Ich glaube – abgesehen von der Ironie dieser Geschichte – das Leben hat das Recht, einem Schriftsteller die Rechnung zu präsentieren. Und ich weiß ganz genau, wie viel ich anderen verdanke.

Wissen Sie, ob Saba ihm die 25 Lire gegeben hat?

Claudio Magris: Ich glaube nicht (lacht), weil er auch so geizig war. Er hatte ein Antiquariat. Und wenn ein Freund von ihm eine Buch kaufen wollte und fragte, ob er es ein bisschen billiger haben könne, entgegnete Saba: „Ganz im Gegenteil, weil du mein Freund bist, solltest du etwas mehr bezahlen.“

Als Ihnen 2001 der Leipziger Preis zur Europäischen Verständigung zugesprochen wurde, haben Sie von einem dankbaren und verlegenen Staunen gesprochen. Umreißt das auch Ihre Gefühlslage jetzt?
Claudio Magris: Ja, und noch mehr. Der Friedenspreis ist für mich immer ein bisschen ein Mythos gewesen.

Haben Sie schon über Ihre Rede, die Sie im Oktober in der Paulskirche halten werden, nachgedacht?

Claudio Magris: Nachgedacht, das wäre zu viel gesagt. Ich werde die Rede dieser Tage am Meer schreiben. Wenn ich etwas schreibe, das geht mir auch mit einer Erzählung so, dann habe ich vor mir das Feld, das Gebiet, aber ich weiß nicht ganz genau, was ich schreiben werde. Es sind verschiedene Gefühle, Ideen, Suggestionen, die sich vermischen.