Interview mit Matthias Heinrich, Brockhaus / Commission

"Verlage müssen den Markt heute völlig anders bedienen"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Brockhaus / Commission will unabhängige Verlage aktiv beim Vertrieb unterstützen – und betritt damit Neuland. Die Verlagsauslieferung präsentiert mit dem "Best(s)ellbuch" eine Art der gebündelten Vorschau. Aber wollen das Verlage überhaupt? Warum ist es notwendig, dass Logistikexperten nun auch Vertriebsdienste anbieten? Ein Gespräch mit Geschäftsführer Matthias Heinrich über die neue Pflicht und Kür im Zwischenbuchhandel.

Mit dem von Ihnen entwickelten „Best(s)ellbuch“ versuchen Sie, den Vertrieb der von Ihnen ausgelieferten Verlage anzukurbeln. Wie kamen Sie auf die Idee?
Heinrich: Durch unsere Kunden. Sie erzählten uns, dass Vertreterbesuche im Handel zunehmend eingeschränkt werden, vor allem bei den Filialisten. Und was noch entscheidend war: Unsere Verlage, und das sind ja in erster Linie kleinere und mittelgroße Häuser, sahen kaum noch eine Chance, in der allgemeinen Titelflut von Einkäufern überhaupt noch wahrgenommen zu werden.

Das Problem ist nicht neu. Die Mayersche wollte dagegen halten und hatte in der Folge des von ihr initiierten Independent Day auch ihre Einkaufregeln für kleinere Verlage gelockert. Zeigte das bei den BroCom-Verlagen keine Wirkung?
Heinrich: Doch, aber wohl nur in kleinem Umfang. Genau wissen wir es deshalb nicht, weil die Mayersche nur sehr selektiv direkt über uns ordert. Nichtsdestotrotz: Nach allem was wir wissen, waren auch einige unserer Verlage beim Independent Day in Aachen dabei, sie hörten Ankündigungen, ohne das sonst aber viel passiert wäre.

Was halten Sie für das entscheidende Argument, um bei den Großen zu landen?
Heinrich: Eine Fakturgemeinschaft. Erst wenn diese Voraussetzung gegeben ist, lohnt es sich für einen Einkäufer, bei kleinen und mittlerer Verlagen direkt zu bestellen. Es geht also um ein bestimmtes Volumen – und das hätte jeder unserer Verlage für sich genommen nie erreicht. Deshalb haben wir 2008 den Partnerpool umgesetzt. Hier bündeln wir den Versand und die Abrechnung, was die Bezugskosten für das Sortiment enorm drückt.

Ist das "Best(s)ellbuch" dann überhaupt noch wichtig?
Heinrich: Unbedingt. Denn die Fakturgemeinschaft löst noch nicht das Problem, in der großen Titelflut unterzugehen. Das Buch komprimiert das Ganze - auf maximal vier Spitzentitel pro Verlag in einer optischen Form, die wirklich Appetit macht. Damit ihre Bücher auch wirklich aus der Flut der Vorschauen herausragen.

Im Februar verschickten sie es zum ersten Mal an einen kleinen Kreis von Einkäufern bei Filialisten, beim zweiten Durchlauf streuen Sie das Buch nun viel breiter. Warum?

Heinrich: Weil die Resonanz dafür spricht. Wir bekommen immer mehr Anfragen aus dem unabhängigen Sortiment.

Mit welchem Umsatzplus rechnen Sie?
Heinrich: Ich gehe davon aus, dass sich die Zahl der verkauften Exemplare pro Titel im Schnitt um mindestens zehn Prozent erhöht.

Der Vertrieb ist traditionell Sache der Verlage. Dass Verlagsauslieferungen hier ihre Dienste anbieten: Ist das überhaupt gewollt?
Heinrich: Wenn wir so etwas wie das „Best(s)ellbuch“ vor fünf Jahren vorgeschlagen hätten, hätten unsere Verlage nur mit dem Kopf geschüttelt – nach dem Motto `Wir haben eine Marke, wir sind der Vertrieb – und ihr verschickt später die Päckle`. Verlagsauslieferungen werden sicher nicht die Vertriebshoheit der Verlage unterhöhlen. Aber Tatsache ist: Es wird für sie immer schwieriger, in den Handel vorzudringen. Aufgrund der Konzentration müssen Verlage heute den Markt völlig anders bedienen – nicht nur, aber auch mit Unterstützung der Auslieferung.

Wie geht es weiter?
Heinrich: Das Spektrum der Dienstleistungen dürfte eher noch größer werden. Vertriebskooperationen wie Aurora klären untereinander, wie sie vorgehen wollen. Aber wir haben auch Verlage, die keiner Kooperation angehören und richtig dankbar dafür sind, von unserem Erfahrungsschatz zu profitieren. Sie sind die eigentlichen Adressaten der neuen Angebote.

Eine Verlagsauslieferung kann heute also gar nicht mehr anders, als immer neue Vertriebsdienstleistungen zu entwickeln?
Heinrich: Sie muss zumindest sehen, dass sie um das Päckle-Packen herum so attraktive Dienstleistungen anbietet, dass Verlage sagen, ich gehe jetzt nicht nur wegen des Geldes weg.

Im vergangenen Jahr ist der Campus Verlag bei Ihnen ausgezogen. Ist die Lücke wieder gefüllt?
Heinrich: Nein, eine solche Lücke können wir nicht kurzfristig füllen. Campus kam als kleiner Verlag zu uns und wurde dann größer und größer ... Am Schluss war der Verlag so bedeutend, dass wir nach dem Auszug zwölf Stellen abbauen und sämtliche Fremdlager schließen mussten. Wir haben im vergangenen Jahr viel neu geordnet und gespart, trotzdem ist das erste Jahr nach dem Campus-Weggang wirtschaftlich nicht leicht für uns. Jetzt sind wir auf einem sehr guten Weg und die aktuellen Neuzugänge schließen nach und nach die Lücke und optimieren unsere Auslastung.

Was tun Sie, sich trotz aller Unwägbarkeiten auf die nächsten Jahre vorzubereiten?
Heinrich: Wir durchleuchten ständig unsere gesamten Prozesse. Rationalisierung spielt eine große Rolle, zum Teil lassen wir uns auch von Beratern unterstützen. Ohne, dass wir unsere Unternehmensphilosophie Kaizen nennen würden: Wir hören auf die Verbesserungsvorschläge Dritter und unserer Mitarbeiter.

Woran arbeiten Sie derzeit?
Heinrich: Wir sind gerade dabei, E-Books in unsere Prozesse einzubinden. Ein Großteil unserer Kunden sind wissenschaftliche Verlage – und das bedeutet: E-Content. Wir müssen digitale Inhalte zwar nicht lagern, aber Bestellungen abwickeln und Honorarabrechnungen erstellen. Zusätzlich wollen wir natürlich sehen, dass wir im Buchgeschäft wachsen.

Sehen Sie Chancen?
Heinrich: Wir spüren deutlich Rückenwind und haben ein gutes Team. Ich bin also recht zuversichtlich. Wirklich Sorge macht mir vor allem eines: Die neuerlichen Diskussionen um die Mehrwertsteuer. Die Buchpreise sind so knapp kalkuliert, dass eine Abschaffung des reduzierten Steuersatzes unmittelbar auf die Marge durchschlagen würde. Damit wäre niemand gedient.


Interview: Tamara Weise 

Bockhaus / Commission in Zahlen
Auslieferungsvolumen pro Jahr: 60 Millionen Euro
Palettenplätz: 27.000
Anzahl der ausgelieferten Verlage:rund 70 (inkl. Imprints 94)