Interview

"Der beste Applaus sind gute Verkaufszahlen"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Der Berliner Verleger Alexander Wewerka über Theater und Krise, fünf Jahre mit Fauser, die Mühen der Unabhängigkeit und das Älterwerden.
Herr Wewerka, alle reden über die Krise, im wirklichen Leben und auf den Brettern, die angeblich die Welt bedeuten. Wie geht‘s Ihnen als theaterbegeisterter Verleger damit?  
Alexander Wewerka: Ich muss an Heiner Müller denken. Wir saßen in der Kantine des Berliner Ensembles, als ihn ein Journalist sehr bedeutungsvoll fragte: Herr Müller, was sagen Sie zum Theater und der Krise? Müller kuckte durch seine dunkle Brille, zog an der Zigarre, grinste böse und sagte:  Wissen Sie, Theater IST Krise (lacht). Das war damals am BE mehr als wahr. Wahrscheinlich gilt das auch für‘s Verlegen von Büchern, so wie für alle Kulturtätigkeiten. Aber Krisen machen ja auch produktiv.  

Sie sind nicht nur gelernter Buchhändler, sondern haben auch Schauspiel studiert. Gehört Theater noch zu den wichtigen Dingen in Ihrem Leben?
Wewerka: Klar. Film ist toll, Literatur ist toll, Theater ist toll. Wenn wir über Berufliches reden. Aber ich muss zugeben, dass meine Begeisterungszustände seltener werden. Woran das liegt - darüber bin ich mir nicht ganz klar. Ich habe mittlerweile zwei kleine Kinder, zweieinhalb und fünf Jahre alt, das spüre ich schon. Die abendliche Ausgehfrequenz hat stark nachgelassen. Aber wenn ich mal rausgehe ins Theater, sehe ich selten etwas, was mich stark berührt.

Werden im Theater auch Buchideen geboren?
Wewerka: Klar! Das sind die schönsten Momente: Man sieht etwas, es macht Peng! und du denkst: Damit will ich was machen. Ich habe vor zwei Jahren eine Reihe angefangen, die heißt „Nahaufnahme“. Das sind Interview- und Porträtbücher zu wichtigen Theater- und Filmemachern. Die Idee zu der Reihe kam mir, als Ariane Mnouchkine zu einem Gastspiel in Berlin war und ich den Büchertisch gemacht habe. Da lag auch mein Mnouchkine-Buch: 300 Seiten, 25 Euro. Und in den Pausen standen da Hunderte von Leuten, die wissen wollten, was es gibt: Aha, ein dickes Buch, wenig Bilder, viel Text. Tja, und da dachte ich: Vielleicht sollte man die Interviews auskoppeln und im Format eines Reclam-Heftchens bringen? Wäre es nicht möglich, kleine, wendigere Porträtbücher, auch mit jüngeren Regisseuren, zu machen? Das Problem: Die Produktion dieser kleinen Bücher ist am Ende doch relativ aufwändig und teuer. Und auch die Form des Interviews zwischen Buchdeckeln hat es in Deutschland nicht eben leicht. Im Herbst werden wir mit einem neuen Format kommen: Es soll eine CD oder DVD dazukommen, das Buchformat also um Multimedia-Inhalte bereichert werden.

In Leipzig haben Sie sich wie ein kleiner Junge über den Abschluss Ihrer Fauser-Werkausgabe gefreut. Wie lange hat Sie das Mammut-Unternehmen eigentlich beschäftigt?
Wewerka: Fünf Jahre, neun Bände.

Fällt man nach der Ziellinie erst mal in ein Loch?
Wewerka: Nein, weil der letzte Band ja mit mindestens einem Jahr Verspätung gekommen ist; es gab leider juristische Auseinandersetzungen mit der Witwe. Die Edition ist somit für mich im Kopf schon länger abgelegt. Dass der letzte Band jetzt da ist, freut mich natürlich riesig; es ist das irrste und dickste Buch, dass ich je gemacht habe.

Fauser, der ewige Geheimtipp - viel gepriesen, wenig gelesen?

Wewerka: Vielleicht ändert sich das ja gerade. Der „Schneemann“ erscheint in Spanien, Italien, England; ich habe „Rohstoff“ erstmalig nach Frankreich verkauft! Ich bin an Skandinavien dran. Es ist schwierig, einen toten deutschen Belletristen ins Ausland zu verkaufen. Was interessanterweise hilft, ist der dezente Hinweis darauf, dass die Edition jetzt bei Diogenes im Taschenbuch kommt (lacht), da zucken sie alle zusammen. Dass Fauser, der im Juli 65 geworden wäre, dort jetzt neben seinen Helden Hammett, Ambler und so weiter erscheint, passt perfekt.

Wie sind Sie auf Fauser gestoßen?

Wewerka: Den Tipp verdanke ich einem alten Freund, Jakob Arjouni. Sein Debüt, „Happy Birthday, Türke“ hatte ich vor vielen Jahren an Diogenes empfohlen - insofern schließt sich da noch ein Kreis. Wir bereiteten gerade eine Lesung aus den Krimis von Charles Willeford vor, als er mich plötzlich fragte: Kennst du eigentlich Fauser, „Rohstoff“? Ich habe mir das natürlich besorgt, und was soll ich sagen? Es war wei eine Explosion! Ein Lese-Erlebnis, wie man‘s vielleicht mit 18 hat, wenn man Dostojewskij in die Finger kriegt, oder mit 14 den „Fänger im Roggen“. Das hat nicht nur mein Leben verändert: Das hat mich gewissermaßen auch vom Kopf auf die Füsse gestellt.

Klingt ziemlich pathetisch...
Wewerka: Ich weiß. Aber als ich gelesen habe, wie Fauser die sechziger Jahre beschreibt,  die Zeit meiner Kindheit, fand ich viele Dinge, die ich vielleicht ansatzweise gedacht habe, oder mich später nicht getraut habe zu denken oder laut zu sagen. Plötzlich dieser andere Blick auf die Welt, auf mich: Alexander, du Idiot, der Kerl hat recht. Steh‘ mal dazu!  

Jörg Fauser schrieb über sich: „Keine Akademie, keine Clique, verheiratet, aber sonst unabhängig“. Wie wichtig ist Ihnen Unabhängigkeit?
Wewerka: Sehr wichtig! Dass das auch biografische Gründe hat, wird mir vielleicht erst jetzt richtig klar. Ich sitze gerade an einem Buch mit meinem Vater, der als Bildhauer, Maler und Designer auch immer zwischen allen Stühlen sass. Sich mit sehr vielen Leuten angelegt hat. Und immer absolut unabhängig durchs Leben gegangen ist. Ich werde dieses Jahr 50, mein Vater 81. Und langsam begreife ich, dass ich von seinem Bedürfnis, möglichst nirgendwo ,drin‘ zu sein, sich den freien Blick zu bewahren, wohl auch was abbekommen habe.

Die notorische Rebellion der Söhne gegen die Väter fiel bei Ihnen aus?

Wewerka (lacht): Als Teenager habe ich manchmal meine Freunde um ihre Kämpfe mit den Eltern beneidet. Ich durfte rauchen, bei uns waren die Partys... Ich bin immer zu meiner Mutter gegangen: Können wir mal ne Rothändle haben?

Hat die Herkunft auch das Selbstverständnis Ihrer Arbeit mitgeprägt? Der Verlag als Kunstwerk?

Wewerka: Unbedingt. Ich habe in meiner Arbeit eigentlich immer versucht, das zu machen,  was mich antreibt. Und das waren zuerst die Inhalte. Dann kam das Merkantile. Geld ausgeben und wieder investieren: Viel weiter reicht mein Wirtschaftsverständnis nicht. Was durchaus ein Problem ist, gerade mit der Vergrößerung des Verlags. Unvergessen ein Gespräch mit dem Filmregisseur Michael Haneke, mit dem ich einen Band der Reihe „Nahaufnahme“ gemacht habe. Bei unserem ersten Treffen saß der mir gegenüber, blätterte durch die Vorschau und sagte: Tolles Programm, Sie haben die Besten der Besten. Wieso kenn‘ i Sie net? Ich frag‘: Was meinen Sie? Und er: Sie haben ein Marketingproblem! Sie haben so gute Bücher und Autoren - aber Sie sind nicht angemessen bekannt. Denken Sie mal drüber nach!

Und?
Wewerka: Seit dem arbeitet es in meinem Kopf: Was ist das eigentlich - Marketing? Und was kann ich da tun? Das hatte mich nie interessiert, weil ich damit immer so einen hohlen Selbstzweck verbunden habe: Du hast keine Idee, aber versuchst die zu verkaufen. Wenn man aber eine Idee hat, und eigentlich auch was vorzuweisen, die Leute das aber nicht richtig wahrnehmen, dann sollte man doch anfangen, sich an die eigene Nase zu fassen: Die Präsenz im Buchhandel verbessern, die Pressearbeit... Leider sind die Zeiten eben auch nicht so. Es ist definitiv schwieriger geworden.

Womit wir wieder beim schrecklichen K-Wort wären...
Wewerka: In letzter Zeit denke ich öfter mal daran, wieder ein bisschen kleiner und konzentrierter zu werden. Als vor 25 Jahren alles begann, stand ja nicht nur der Schreibtisch neben dem Bett. Es gab in der Regel zwei bis fünf Projekte, die aktuell zu bearbeiten waren. Eigentlich ein schöner Zustand! Ich bin jemand, der gerne anpackt: Ich koch‘ gern, ich ess‘ gern, ich wasche auch hinterher gerne ab - aber immer nur Abwaschen, als Job? Dann wird‘s uninteressant, Routine. Die inhaltliche Auffächerung des Verlags - Theater, Film, Krimis - ist nicht mein Problem. Aber es ist ja nicht damit getan, dass ich ein Buch toll finde und mache; es muss ja dann auch vermarktet werden. Und da liegt eher die Schwierigkeit. Belletristik, auch das habe ich duch die Fauser-Arbeit gelernt, beansprucht sehr viel Zeit, Geld und Energie, ist aber im Gegensatz zu den Sach- und Fachbüchern sehr launisch, sehr unberechenbar und extrem abhängig von äußeren Faktoren. Das ist gefährlich.

Beeinflusst die Familie, die Verantwortung für Ihre Mitarbeiter, das Agieren als Verleger? Früher konnten Sie sagen: Der Verlag - c'est moi!

Wewerka: Die Ängste haben sich verändert. Das muss ja alles bezahlt werden, worüber wir hier reden. Neulich überlegte ich mal: OK, Du kannst ja auch wieder zurück in die Wohnung mit dem Verlag, wenn‘s mal schlimmer werden sollte. Und auf einmal der Gedanke: Stopp, hallo, da ist ja alles voll! Da sind ja jetzt zwei Kinder.

Und schon wird man aus Versehen konservativ...

Wewerka: Vor einigen Jahren habe ich hier beim Theatertreffen Jasmina Rezas „Gott des Gemetzels“ gesehen. Zwei Elternpaare prallen aufeinander, weil sich ihre Kinder gezofft haben. Da gab‘s eine wunderschöne Szene, wo der eine Mann zum anderen sagt: Hast Du gehört, der Soundso ist Vater geworden! Darauf der andere: Was, in unserem Alter, ist der wahnsinnig? Die paar Jahre, die ihm noch bleiben bis zum Schlaganfall? Und ich saß unten und dachte: Holla! Bestimmte Sachen gehen mir jetzt einfach öfter durch den Kopf. Zeit, Endlichkeit. 50 werden heißt 60 werden heißt 70 werden... Also: Womit verbringe ich die mir verbleibende Zeit? Auf welche Projekte lasse ich mich ein?

Sind Sie nicht manchmal neidisch auf die Schauspieler und deren Applaus? Wo holt der Verleger seinen Beifall, seine Anerkennung ab?
Wewerka: Das Grausame am Schauspielerberuf ist die totale Abhängigkeit. Du bist immer davon abhängig, dass dich einer will! Wenn dich keiner will, spielst du nicht. Ich freue mich über tolle Rezensionen, das Feedback von Leuten, die mir wichtig sind. Und, ganz banal-merkantil: Der beste Applaus sind gute Verkaufszahlen.