Antiquar ist nicht gleich Antiquar – das Problem einer Berufsbezeichnung

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Starke Auswirkungen hatte das Aufkommen des Internets mit seinen neuen Möglichkeiten und Nöten auf die komplette Buchbranche – doch kaum ein Bereich dürfte so massiv davon betroffen und verändert worden sein, wie der Handel mit antiquarischen Büchern. Davon profitiert unter anderem vor allem der Kunde. Ein kurzer Überblick.

Das Einkaufen vom Wohnzimmer aus – ein Leitbild der Moderne – ist längst nicht mehr nur ein beliebtes Motiv der Werbebranche, sondern inzwischen gängige Praxis. Doch was beim Kauf von neuen, noch preisgebundenen Büchern hauptsächlich zum weiteren Kundenservice beiträgt, hat beim Kauf von antiquarischen Büchern dem Kunden eine Reihe wirklicher Vorteile beschert. Vorteile, die für die mit dem Web aufgewachsene Generation selbstverständlich sind und deswegen kaum geschätzt werden.

 

Ein Schritt in Richtung "Idealer Markt"

Denn gerade beim Handel mit nicht-preisgebundenen Büchern lässt das Web große Schritte in Richtung eines „idealen Marktes“ zu. Die den Handel typischerweise beschränkenden Einheiten von Zeit und Ort spielen nämlich im Netz kaum mehr eine Rolle. Die alte „Einkaufspraxis“ erscheint Unsereinem  wie aus einer anderen Zeit. Denn gerade beim Kauf von antiquarischen Werken kam es vor allem darauf an, vor Ort zu sein – und zwar am richtigen Ort. Denn was es im Laden von Antiquar Maier gab, musste noch lange nicht im Antiquarat Müller liegen. Natürlich gab, und gibt es auch heute noch, gedruckte Antiquariatskataloge, aus denen man von zu Hause aus bestellen kann. (Im ersten Quartal 2009 erzielte der deutsche Antiquariatsbuchhandel damit noch 28 % seines Umsatzes.) Sucht man aber nach einem ganz bestimmten Buch, von dem man nicht weiß, wer es zufällig gerade im Bestand hat, kommt man mit Hilfe der Onlinedatenbanken der großen Antiquariatsportale wie ZVAB, Booklooker, Antiquario, Antbo, Prolibri, usw. wesentlich weiter. Mit wenigen Mausklicks lassen sich hunderte von Buchbeständen nach den verschiedensten Kriterien durchforsten – ein Akt, für den es vor dem Siegeszug des Internets vor allem eines brauchte: Zeit, Zeit und nochmals Zeit. Ein richtiges Hobby eben.

Wer als Antiquar seine Daten heute nicht digitalisiert ins Netz stellt, will also entweder nichts verdienen (auch zu Jahresbeginn 2009 wurden 50 % des kompletten Umsatzes per Internet erwirtschaftet), oder richtet sich bewusst mit seinen Werken an einen ganz anderen Kundenkreis. Er fällt nämlich durchs Suchraster einer großen Anzahl potentieller Kunden, die es früher so nicht gab – Internet-affine junge Leute, die gewohnt sind, im Netz alles zu finden, weniger bibliophil interessiert als auf der Suche nach der preiswertesten Alternative.

Der Wechsel auf die andere Seite

Doch damit nicht genug. Durch die Loslösung von den Einschränkungen durch Ort und Zeit ist dem modernen Kunden vor allem auch die Möglichkeit eines problemlosen Preisvergleiches gegeben. Nichts einfacher heute, als sich auf einem der zuvor erwähnten Antiquariatsportale die Daten für das gleiche Buch von verschiedenen Antiquariaten gegenüberstellen zu lassen – wahlweise praktisch aufgelistet nach auf- oder absteigendem Preis. Die Vorteile im Handel scheinen sich also auf den ersten Blick klar auf die Seite des Kunden verschoben zu haben. So sehr sogar, dass der Kunde schier problemlos auf die andere Seite wechseln kann, zumindest bei E-Bay, Amazon oder Booklooker kann jeder selbst zum Verkäufer antiquarischer Bücher werden. Doch wird man deswegen gleich zum Antiquar? Bei anderen Portalen funktioniert der Wechsel nicht ganz so ungehindert. Nur gewerbliche Antiquare dürfen am Verkauf teilnehmen. Doch selbst dieser Hürde lässt sich durch das Beantragen eines Gewerbescheins überwinden, zumal wenn nicht nur 10 Bücher im Wohnzimmer auf den Verkauf warten. Ein solcher „Antiquar“ unterscheidet sich aber wohl kaum von der ersten Gruppe der privaten Verkäufer. Den klassischen Antiquaren dürften sie oftmals ein Dorn im Auge sein – müssen sie sich doch immer wieder für ihre als zu teuer empfundenen Bücher rechtfertigen, weil die neue Konkurrenz den Preis durch ihre Unkenntnis oft nach unten drückt. Fachmännische Auskünfte darf man also von dieser Anbietergruppe nicht erwarten. Will der Kunde einen erst vor wenigen Jahren erschienenen Roman möglichst billig erstehen, ist das weiter nicht problematisch. Um unter anderem aber gegen den Qualitätsverlust vorzugehen, hat sich 2001 die GIAQ, die Genossenschaft der Internet-Antiquare gegründet, die 2005 mit einer eigenen Plattform, nämlich prolibri.de, an den Start ging. Hier also das Versprechen an den Kunden, dass Fachleute dahinter stehen. Das Portal scheint aber für viele Käufer weniger attraktiv zu sein – einem großen Teil scheint es tatsächlich weniger um Qualität oder Beratung zu gehen.  

Dieser neue Kundenkreis scheint seine Händler in den bevorzugten Billiganbietern gefunden zu haben. Entsprechend ist Antiquar nicht gleich Antiquar – gerade im Internetbuchhandel wird diese Kluft innerhalb ein und desselben Begriffes besonders deutlich. Die Bezeichnung scheint jedenfalls aus allen Näten zu platzen. Es wird unter ihr versucht, eine Bandbreite kaum miteinander vereinbarer Ausrichtungen zusammenzufassen. Ein einfacher Grund für diese Vielfalt: So unterschiedlich die Bücher (sowie weitere Handelsgegenstände wie Karten, Autographen, etc.) und die Kunden, so unterschiedlich ist auch die Tätigkeit. Mit dem lateinischen Adjektiv antiquus (-a, -um) = alt, altertümlich haben die wenigsten zu tun, das Voranstellen des Wortes „modern“ beim Modernen Antiquariat ist außerdem ziemlich paradox – eine Notlösung vielleicht. Der Begriff des Antiquars hätte vor allem auch für den Handel im Internet eine faire Differenzierung nach Qualität verdient.