Meinung

Im lecken Ruderboot

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Literarischer Anspruch ist unkalkulierbar. Andreas J. Meyer erinnert Ammanns Aus an einen anderen Fall.
Der Ammann Verlag gibt auf.Die Umstände, insbesondere die medienwirksame Ankündigung einige Monate vor dem endgültigen Aus sind etwas ungewöhnlich, die erklärten Hintergründe nachvollziehbar, aber vielleicht nur zum Teil ausgesprochen. Mag darüber spekulieren, wer will.
Jedenfalls wurde der Verlag von den Feuilletons immer gut behandelt, aber offenbar nicht gut genug. Man hat die Aufnahmefähigkeit der Literaturinteressenten für den Durchschnitt des Überdurchschnittlichen wohl überschätzt. Das ist freilich nichts Neues. Ich erinnere, dass Siegfried Unseld lange bevor es den Ammann Verlag gab in einem Interview die Zahl der ernsthaft an Literatur Interessierten in Deutschland auf 800 bis 1000 schätzte. Daraus zog ich damals meine Rückschlüsse auf die Auflagenhöhe einiger Suhrkamp-Titel. Alles in allem fühle ich mich an ein abendliches, sich bis in die späte Nacht hinziehendes Gespräch mit Peter Schifferli in Zürich erinnert. Es war in der ersten Blütezeit des Merlin Verlags, und im Überschwang der unternehmerischen Lebenslust glaubte ich, dem Bertelsmann-Buchclub mit einem Lyrik-Buchclub auf bescheidene, aber anspruchsvolle Weise Konkurrenz machen zu sollen. Als Gefährten hatte ich den legendä­ren, Lyrik-engagierten Freund und Buchhändler Wendelin Niedlich in Stuttgart gewonnen, der seine Zusage auf einer Postkarte mitteilte: »Wenn du unbedingt mit einem lecken Ruderboot über den Ozean willst, komme ich mit.«
Es fehlte nur der Partner, der für das Vorhaben unentbehrliche Urheberrechte besaß: der Arche Verlag. Schifferli lud mich zu einem Gespräch ein. Es fand in seiner Wohnung an einer Art Tresen statt, an dem wir uns gegenübersaßen. Wir kamen uns rasch näher, was an den zum Ausschank kommenden Getränken gelegen haben mag. Er hatte Lust, mitzumachen, aber es war unvermeidlich, über etwas zu sprechen, das den Plan gefährdete: das, was dem Publikum »den Blick auf das Wesentliche« – wie Ammann es in einem Interview nennt – verstellte und literarischen Anspruch – den wir seit eh und je an unser Programm stellen – auch damals schon unkalkulierbar machte: Das gab es damals genauso, und es war ebenso deprimierend, wie es in dieser Hinsicht heute Handy und Internet sind. Kurzum, Schifferli wurde von Stunde zu Stunde pessimistischer. Er klagte über das Missverhältnis, dass »Reinhart nur eben ein Bild von der Wand nimmt«, wenn Unseld mal wieder am Ende war, und dass er selbst keine Lust mehr habe, »diese Leute, die sich selbst überschätzen, die aber niemand lesen will«, dauernd mit Geld zu versorgen.
Damit meinte er nicht Brecht und Benn und all die anderen Autoren, die den Arche Verlag ausmachten. Schifferlis Vater war, wie es hieß, Bankier, und das hatte diesen vorbildlichen, bewundernswerten Verlag möglich gemacht. Er hatte der Elite der deutschen Literatur über die Hitlerzeit ein Forum geboten. Das war nun nicht mehr nötig, und damit entfiel der verpflichtende Anspruch.
Wenige Monate nach diesem Gespräch gab Schifferli auf. Gibt es da eine Parallele zu Ammann? Wofür investiert man sein Geld? Und wofür – wenn man keines hat – sein Leben?