Buchhandel von morgen

Thalia: Weit, weiter – Weiterstadt?

9. Oktober 2009
von Börsenblatt
Thalia treibt die Branche an, stellt entscheidende Fragen, auch unbequeme, und gibt den Takt vor. Heute eröffnete das Unternehmen in Weiterstadt eine Filiale im neuen Einkaufscenter "Loop5". Nichts auf den ersten Blick Großes – und doch strategisch ein großer Wurf. Hier beginnt die Zukunft, sagt Thalia-Chef Michael Busch. Weit, weiter, Weiterstadt - der neue Superlativ im Sortiment?

Dass das stationäre Geschäft stagniert, ist keine neue Nachricht. Seit Monaten mühen sich viele damit ab, einen Ausweg zu finden, um weiter wachsen. Dabei auf Verdrängung zu setzen: Für Thalia wäre das allein viel zu kurz gedacht, meinte Michael Busch heute in Weiterstadt. Wichtiger sei es, auf die bevorstehenden Entwicklungen, den Wandel der technischen Möglichkeiten wie auch den Wandel der Kundenansprüche, jetzt schon vorbereitet zu sein. Busch zitierte Michael Gorbatschows berühmten Satz an Honecker: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben."


Der Druck kommt aus dem Internet, vor allem aus Richtung Amazon, so viel ist klar. "Die Vertriebskanäle verschieben sich", erklärt der Thalia-Manager, "auch wir haben das lange Zeit unterschätzt." Jetzt will er sich neuen Raum für Wachstum schaffen, die Filiale Weiterstadt diene da als eine Art Labor. Busch: "Mit manchen Sachen, die wir hier probieren, werden wir baden gehen, aber dazu ist ein Pilot da."

Thalia sucht nach Optionen, um den Kunden-Wunsch nach individualisierten Produkten sowie unterschiedlichen Bezugs- und Informationswegen zu erfüllen. Denkverbote kennt der Handelsriese aus Hagen dabei nicht – und erwägt auch schon mal Eigenproduktionen, digital und gedruckt. "Das ist nicht die von uns präferierte Lösung, aber wenn die Verlage nicht mitziehen, werden wir diesen Weg gehen" – möglicherweise bereits im nächsten Jahr. Der Filialist geht also auf Kurs: vom reinen Händler zum Inhalte-Manager.


Ein Rundgang durch die Weiterstädter Filiale:

Dreh- und Angelpunkt der Neuausrichtung ist das Multi-Channel-Konzept. Die Vertriebskanäle Internet und Laden sollen noch enger miteinander verzahnt werden. Die Botschaft an die Kunden: Bei uns bekommst Du alles aus einer Hand, online, offline – überall und jederzeit.

Thalia setzt dafür zwar viel Technik ein, im Grunde geht es dabei jedoch vor alles um eines: den Faktor Mensch. Wenn man Themen emotional rüberbringe, lasse sich ein Markt durchaus steuern – so Buschs Devise. "Auf diesem Weg lässt sich eine große Differenzierung erreichen."

Stichwort Interaktivität: Die Brücke, die Thalia zwischen den beiden Welten baut, besteht aus Worten: Der Filialist will in puncto Kommunikation alle Register ziehen. Phase 1 (aktuell): Die Rezensionen der Mitarbeiter (siehe thalia.de) können in jeder Abteilung der neuen Buchhandlung via Touchscreen abgerufen (und gelesen werden) – jeweils mit dem Hinweis, dass sie von der Website des Unternehmens stammen.

Interessanter wird, was für Phase 2 geplant ist: Thalia arbeitet an einer Community – einem Forum, in dem sich jeder über Bücher und Themen rund um das Lesen austauschen kann. In Weiterstadt werden dafür jetzt die ersten Pflöcke eingeschlagen (an mehreren Terminals, die in der Mitte des Ladens stehen, lassen sich Rezensionen direkt eintippen). Der Nukleus dieser Online-Lesergemeinschaft ist ja günstigerweise schon aktiv: die Mitarbeiter selbst. Unter ihnen, versichern sie alle in Weiterstadt sehr glaubwürdig, gebe es ein paar regelrechte "Rezensions-Heroes". Erlebnisbuchhandel für den Buchhändler quasi - motivational auch nicht verkehrt.

Interaktivität in der Kinderbuchabteilung (ca. 150 Quadratmeter) heißt: Die Kleinen können an drei Touchscreens (elektronisch) malen und sich ihr Bild anschließend direkt (per E-Mail) verschicken.

Eingerichtet ist der Laden im Shop-in-Shop-Stil. Das gilt unter anderen für die Bereich PBS, für die Kinderbuchabteilung und den Wellness-Bereich "Vitao" (nach dem bekannten Gondrom-Modell).

Das Sortiment wurde neu abgemischt, Bücher bleiben aber im Fokus. Auf der Fläche von knapp 2.000 Quadratmetern sind rund 30.000 Titel untergebracht. Zusatzsortimente: Non-Books (Geschenke), einige Spiele (aber nur eine Auswahl; direkt nebenan eröffnete Vedes), DVDs. Um den Sony-Reader zu präsententieren, wurde eigens ein neuer Tisch beim Ladenbauer in Auftrag gegeben; der hat was von einem modernen Altar, könnte aber bei der Evolutionsgeschwindigkeit elektronischer Geräte bald auch als Museumsvitrine durchgehen. 

Games rücken ins (bewusst energiesparende) Weiterstädter Rampenlicht – aber nur solche, die Saturn und andere großen Händler eher selten im Programm haben. Thalia konzentriert sich auf das große Gesellschaftsthema Lernen. Die Abteilung misst 85 Quadratmeter; Thalia hat alle großen Player an Bord geholt, konzentriert sich also nicht nur auf Nintendo. Auch  die XBox und die Playstation sind zu haben (und zu testen). Zwei wichtige Verabredungen prägen diese Themenwelt. Erstens: Nur familientaugliche Spiele kommen ins Sortiment. Zweitens: Die Buchhändlerinnen, die hier verkaufen, kennen die Produkte und können informiert beraten, wenn zum Beispiel eine überforderte Großmutter ein DS light-Spiel für ihren Enkel sucht.

Print-on-Demand-Dienste für Zeitungsleser sind ebenfalls neu: Rund 200 Medien aus aller Welt lassen sich direkt vor Ort ausdrucken (Format: ca. DIN A3; pro Ausdruck 4,95 Euro). 

 

Mehr über die Pläne von Thalia lesen Sie im Börsenblatt, das nächste Woche erscheint.