Presseschau zum Literaturnobelpreis für Herta Müller

So viel Aufmerksamkeit für einen Menschen, der nur "seine Arbeit macht"

9. Oktober 2009
von Börsenblatt
Die Presse feiert die Literaturnobelpreisträgerin 2009.
"Frankfurter Allgemeine Zeitung"

"Nach Günter Grass vor zehn Jahren und Elfriede Jelinek 2004 ist dies das dritte Mal in einer – nach weltliterarischer Zeitmessung – extrem kurzen Spanne, dass ein Autor deutscher Sprache mit dem wichtigsten Literaturpreis der Welt bedacht wird. Die Auszeichnung von Herta Müller ist, nicht nur, aber auch in der Reihe dieser drei, die einleuchtendste Entscheidung, die von der Stockholmer Akademie seit langem getroffen wurde."

 

"Frankfurter Rundschau"

"Als ich noch in Rumänien lebte", erinnert sich Herta Müller, "kamen oft Freunde, aber auch Fremde zu Besuch. Ich lebte in einem schiefen, grauen Wohnblock aus Betonfertigteilen, am Rand der Stadt. Sie aber wollten das Dorf sehen, aus dem ich kam." Herta Müller hatte sich darüber geärgert, denn sie wusste: Was die Freunde und die Fremden suchten, war nicht das Dorf, in dem sie aufgewachsen ist, sondern sie suchten die literarische Aura, die die Schriftstellerin aus dem Dorf geschaffen hat; sie suchten die zweite Wirklichkeit, die Dichtung hinter der Wahrheit. Die zweite Wirklichkeit ist aber nicht durch touristisches Schauen, sondern nur durch Spracherfahrung zu erfassen: Dichtung ist Wahrheit."

 

"Der Spiegel"

"Dass ihr Gesicht, das in seiner angespannten Blässe an Stummfilmdiven der Dreißiger erinnert, jetzt zum Zeichen literarischen Mehrwerts wird, das ist ihr womöglich noch gar nicht klar. Die Frage, wie sie die Ehrung aufgenommen habe, aber pariert sie mit jener Integrität, die alle großen Dichter ausweist: "Nicht ich bin es, es sind die Bücher.""

 

"Süddeutsche Zeitung"

"Es trifft zu, was der Dichter Mircea Dinescu über sie sagt: Sie sei eine "Aktivistin des Leidens". Aber solche reservelose Schwerarbeit leistet niemand ohne Not. Ein Schmerz muss ihm zugrundeliegen, so groß, dass Körper und Verstand sich konzentrieren: zuerst einen Bogen bilden um die schmerzende Stelle, so als könne man ihn mit einer schützenden Hülle umgeben, und dann - ihn einüben, durch ständige Wiederholung, die Erwartung des Schrecklichen dadurch bekämpfen, dass man es in der Fiktion vorausnimmt, verarbeitet, kanalisiert. Denn so, wie es eine Suche nach Schutz vor dem Schrecklichen gibt, so gibt es auch eine Suche nach Schutz im Schrecklichen."

 

"Die Zeit"

"Herta Müller macht es Ihren Preisrednern schwer. Denn ihr inzwischen stattliches Prosa-Werk kommt nicht ohne Eigen-Kommentar einher. Da gibt es kaum eine Lücke, in die ihre Interpreten eindringen können, ohne ihr Unrecht zu tun. Ich kenne keine Dichterin, die sich so intensiv der politischen Voraussetzung ihres eigenen Schreibens vergewissert hat. Ihre Poetik ist politisch wie ihr Impuls, zu schreiben. Sie entstammen unter anderem (natürlich nicht allein) dem Bedürfnis der Autorin, sich gegen einen westeuropäischen Zeitgeist verteidigen zu müssen, der ihr in manchen Kritiken mit Unverständnis und Vorwürfen begegnet, die zusammengefasst lauten: So schlimm kann es doch gar nicht gewesen sein. Und: Gib Ruhe, Ceausescu ist tot. Als ob damit seine tausenden Opfer ins Leben zurückgeführt werden könnten."