Existenzgründung

„Du weißt, wie’s geht – mach’s doch einfach selbst!“

28. Oktober 2009
von Börsenblatt
In Dürrröhrsdorf, zwischen Dresden und Sächsischer Schweiz, haben Petra und Lutz Dräger zu Jahresbeginn die "Welt des Buches" eröffnet. Restauflagen, Mängelexemplare, Sonderausgaben, Gebrauchtbücher und auch neue Titel sind ihr Kerngeschäft. Nach mehrfachen Anläufen und Rückschlägen in ihrer Sortimenterlaufbahn hat das Buchhändlerehepaar den Sprung in die Selbständigkeit geschafft.

Sanfte Hügel, dunkle Wälder. In Dürrröhrsdorf-Dittersbach, der 2300-Seelen-Gemeinde zwischen Dresden und der Sächsischen Schweiz, scheinen sich Fuchs und Hase gute Nacht zu sagen. Versprengte Touristen wandern zum Belvedere, Deutschlands erster Goethe-Gedenkstätte, die der Rittergutsbesitzer Johann Gottlob von Quandt einst auf der Schönen Höhe bauen ließ. Die hungrigen Handwerker der Gegend stoppen mittags am Imbiß der Dürrröhrsdorfer Fleisch- und Wurstwaren GmbH, im Volksmund „Fleischversorgung“ genannt; ein Vorzeigebetrieb, der in nationalen Wettbewerben regelmäßig Goldmedaillen für seine Wiener und Hausmacher Blutwürste erntet. „Steak Hawai“ für 4,50 Euro ist heute der Renner.

Seit einigen Monaten rollen auch Autos mit Bücherkisten durch den verträumten Ort mit dem Zungenbrecher-Namen. Ihr Ziel: Die „Welt des Buches“, eine unscheinbare Baracke gegenüber der Schule. Im Januar haben Petra Dräger und ihr Mann Lutz den seit drei Jahren leer stehenden Kindergarten bezogen und mit der Renovierung begonnen; bunte Wandzeichnungen und niedrig hängende Kleiderhakenleisten erinnern an die Vormieter. Jetzt beherbergen die ehemaligen Gruppenzimmer der Kita eine improvisierte „Bücherstube“; auf dem Boden und in den Regalen der angrenzenden Räume türmt sich Lesestoff.

Die Drägers gehören zu jenen, die sich in Zeiten, da das Sortiment unter Kaufzurückhaltung ächzt, auf das Geschäft mit Restauflagen, Mängelexemplaren, Sonderausgaben und Gebrauchtbüchern geworfen haben. Die Einstiegsschwelle ist niedrig; schon ein Blick ins ebay-Angebot oder auf die „Marketplace“-Seiten von Amazon zeigt, welche gigantischen Mengen umgeschlagen werden. Dürfen’s noch ein paar Kilo Buch mehr sein? Ein Dutzend Taschenbücher, das Stück zu einem Cent? Täglich kommen neue Kleinhändler hinzu, eben so viele gehen sang- und klanglos unter. Doch auch die Liste großer MA-Anbieter, die in den letzten Jahren von der Bildfläche verschwunden sind, ist lang: Zanolli, Cobu, Hitbuch, Vielbuch, Paperbackworld. Nicht zu vergessen Elbe Team aus Dresden, unter dem schillernden Peter Wölki vom ladengestützten Bücherflohmarkt zum zeitweilig größten Online-Versender für verlagsneue Restauflagen und Bücher aus zweiter Hand aufgestiegen.

„Wir machen Lesen bezahlbar“, so warb der Ramscher aus Dresden im Netz und in seinen zeitweilig an die 30 Filialen seiner Billig-Kette „Welt des Buches“. Dass Petra und Lutz Dräger nun unter eben diesem Label starten, ist kein Zufall. Die gelernte Diplomvolkswirtin Dräger, eine Berlinerin, die es Anfang der 90er der Liebe wegen in die Sächsische Schweiz verschlagen hatte, kam 2002 nach einer IT-Weiterbildung zu Elbe Team, baute in der rasanten Wachstumsphase den Online-Handel auf und saß 2005 sogar in der Geschäftsführung der Firma. Über deren abenteuerlichen Filialplänen indes will sie mit Wölki im Dauerclinch gelegen haben; noch vor der endgültigen Pleite ging sie.

Für die dreifache Mutter war die Situation auf dem Arbeitsmarkt hoffnungslos: „Sie bekommen da Angebote als Assistentin der Geschäftsführung – für 1400 Euro brutto!“ Nach dem Ende 2006 die Cobu GmbH die Bestände von Elbe Team übernommen und für rund 20 Mitarbeiter befristete Arbeitsplatzgarantien abgegeben hatte, begann Dräger in der Elbestadt, den Online-Handel für den kurz zuvor gegründeten MA-Anbieter aufzubauen. Als sich im Sommer 2008 abzeichnete, dass Cobu die Dresdner Niederlassung nach Ende der Garantiezeit dicht machen und den Online-Handel an den Hauptsitz nach Neustadt bei Coburg verlegen würde, warf Dräger erneut das Handtuch.

Manche der Geschichten, die sie eher dezent andeutet als erzählt, könnten ein veritables „Tatort“-Drehbuch ergeben. „Unheimlich viel gelernt“ habe sie in den letzten sechs Jahren. „Ob das nun positiv oder negativ war, sei dahingestellt.“ In der verschwiegenen, komplex verschachtelten, wundersamen Welt des MA-Buchs, in der jede Menge Glücksritter, in schöner Regelmäßigkeit aber auch Insolvenzverwalter oder Staatsanwälte ihrer Arbeit nachgehen, reicht ein solides Volkswirtschaftsstudium offensichtlich nicht aus. „Es gibt, wie überall, schwarze Schafe“, meint Dräger, „die überdrehen die Schraube und machen das Geschäft kaputt“. Einzelfälle? Verraten sie am Ende mehr über die Lage am Buchmarkt, als manchem lieb ist? Ihr letztes Arbeitsverhältnis mit einem Online-Anbieter hat sie nach kurzer Zeit selbst aufgelöst. „Das war wieder so eine Firma, da wäre binnen kurzem Schluss gewesen.“

Drägers Mann sprach dann die entscheidenden Worte: „Du weißt, wie’s geht – mach’s doch einfach selbst!“ Das Ehepaar gründete zwei Firmen: Petra Dräger kümmert sich um den Online-Verkauf (Weltdesbuches.de), Lutz Dräger um den stationären Verkauf (Welt-des-Buches). Warum der Name, der in Teilen der Branche noch immer als rotes Tuch wirkt? „Er mag branchenintern vorbelastet sein“, sagt Dräger, die die Domain von einem Rechtehändler zurückkaufte, „aber nicht beim Endkunden. Für uns ist der Wiedererkennungs-Effekt Gold wert.“ Mit Neubüchern und MA soll der Cash flow angekurbelt werden, konzentrieren wird man sich aber mittelfristig auf das „gelesene Buch“, also niedrigpreisige Titel zwischen MA und Antiquariat.

Aushänge und Annoncen in der Lokalpresse („Geben Sie Ihren Büchern ein zweites Leben“) stießen auf erstaunlich gute Resonanz, daneben sprudeln noch andere, überregionale Gebrauchtbuchquellen, die Dräger aber nicht preisgeben will. Die frischgebackene Selfmade-Frau begann fast ohne Startkapital am heimischen Computer und stellte zunächst, quasi als Testlauf, manuell die Bücher ihrer eigenen Bibliothek bei verschiedenen Plattformen ein. Mit Hilfe von Thomas Glass, dessen Firma Inooga Solutions (Einbeck) speziell auf den Online-Buchhandel zugeschnittene Warenwirtschaftssysteme anbietet, baute sie Schritt für Schritt den Internet-Shop auf. „Ohne Glass hätte ich den Start nicht geschafft; er hat mir vertraut und ein sehr gutes Angebot gemacht. Auch von den Barsortimenten kam Unterstützung.“

Neben Büchern kann man bei Dräger schon heute Reisen buchen, denkbar sind weitere Angebote aus der Region, die Traffic auf die Seite bringen: Stollen und Kunstgewerbe aus dem Erzgebirge, vielleicht sogar die berühmten Würste aus Dürrröhrsdorfer Produktion. Neben der „Bücherstube“ im ehemaligen Kindergarten hat das Ehepaar am 18. August einen zweiten Laden als „Post-Partner“-Shop im Dresdner Stadtteil Plauen gestartet, für den bereits zwei neue Mitarbeiter eingestellt sind. Die Aussicht auf das zweite Standbein stimmt Petra Dräger zuversichtlich: „Ich hatte eine Riesen-Angst vor dem Sprung in die Selbständigkeit. Aber wir sehen jetzt Land.“

Von einer rasanten Expansion á la Elbe Team wollen die Drägers nichts wissen. „Wir backen kleine Brötchen, bauen ganz langsam auf. Aber dafür solide. Irgendwann ist man zu alt dafür, alle zwei Jahre etwas Neues anzukurbeln.“ Petra Dräger weiß um die Fallstricke eines von Überangebot und hemmungslosem Preisdumping geprägten Markts. Die Dörfler aus Dobra, Elbersdorf, Porschendorf, Stürza, Wünschendorf und all den anderen vom Sortimentsbuchhandel kaum erreichten Flecken jedenfalls räumen ihre Speicher leer, bestellen neuen Lesestoff. Online-Bestellungen kommen inzwischen auch aus dem deutschsprachigen Ausland, den USA oder Kanada. Man muss diese Art Handel, in der Bücher schon mal nach Kilo abgewogen werden, nicht mögen. Verschweigen nutzt eben so wenig wie Spott und Häme. Es gibt ihn, und für die Drägers ist er immerhin ein Neuanfang. Vielleicht glückt er hier, wo sich Fuchs und Has’ gute Nacht sagen und der Weg zum nächsten Vollsortiment allemal ein langer ist.

 

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