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Solo für Frau Born

6. November 2009
von Börsenblatt
Wenn das Wort „Buchstadt“ fällt, denkt der Wahl-Leipziger und Jungverleger Thomas Siemon unwillkürlich an die „Autostadt“ Wolfsburg, in der sich, zumindest aus der Ferne betrachtet, alles um fahrbare Untersätze dreht. So viel Monokultur macht ihm Angst. „Das Buch“, so Siemon, „fühlt sich eher in einem breiteren Umfeld wohl“. Wie es in Leipzig um dieses Umfeld bestellt ist und welche Rolle gerade junge Verlage dabei spielen, wollte gestern Abend der vom Studiengang Buchhandel/Verlagswirtschaft der HTWK gemeinsam mit dem Arbeitskreis kleinerer unabhängiger Verlage im Börsenverein organisierte 16. Kleinverlegertag ausloten.

Unter dem griffigen Slogan „Update: Buchstadt“ diskutierten Thomas Siemon (Lubok Verlag, gegründet 2009) und Sebastian Wolter (Voland & Quist, gegründet 2004) mit Christoph Links (Ch. Links, gegründet 1989, allerdings in Berlin) und Rolf Nüthen vom Verlegerausschuss. Während der Veranstaltungsklassiker der HTWK in den vergangenen 15 Jahren Verlage quer durch die Republik vorstellte, versuchte die 16. Auflage mit einem Themenabend Neuland zu betreten. Damit lag man eigentlich goldrichtig: In Leipzig ist das Thema nach Hiobsbotschaften in Serie noch immer hochemotional besetzt, der HTWK-Vorlesungssaal platzte, zum ersten Mal bei dieser Reihe, aus allen Nähten. Wenn die moderierenden Studentinnen ebenso viel Sorgfalt in die Vorbereitung der Runde gesteckt hätten wie ihre mit Kameras und Fotoapparaten ausschwärmenden Kommilitonen in deren audiovisuelle Dokumentation, hätte es ein extrem spannender Abend werden können. So blieb es vor allem Christoph Links, der nicht erst seit seiner Untersuchung zum „Schicksal der DDR-Verlage“ als exzellenter Kenner der Materie gilt, überlassen, nicht nur die richtigen Antworten zu geben, sondern die richtigen Fragen gleich mit zu stellen.

Leipzig verfügt mit ausgezeichneten Ausbildungsstätten, grafischem Gewerbe, der Buchmesse, einem begeisterungsfähigen Lesepublikum noch immer über eine deutschlandweit ausstrahlende, ungeheuer reiche Buch-Kultur. Eine Strahlkraft, die den reichlich 60 Verlagen, die es nominell noch gibt, ganze drei von ihnen haben mehr als 20 Mitarbeiter, größtenteils abgeht; Nachwende-Gründungen und neue Start-ups können auf längere sicht wohl nicht ausgleichen, was durch verfehlte Privatisierungspolitik verloren gegangen ist. Auch beim Standortmarketing hat Leipzig, wie Links mit Blick auf Berlin konstatierte, Chancen vertan: Die Stadtoberen konzentrierten sich auf prestigeträchtige „Leuchtturmprojekte“ wie die Ansiedlung von BMW, Porsche oder DHL. Das historisch gewachsene Pfund, kleine Mittelständler der Buchwirtschaft, spielte auf ihrer Agenda kaum eine Rolle. Und ob die aktuellen, allzu verschwommenen Vorstellungen von einer blühenden „Kreativwirtschaft“ über Selbsterfahrungsgruppen fürs Laptop-Prekariat hinausgehen, weiß keiner zu sagen. Schließlich, darauf machte Sebastian Wolter aufmerksam, bräuchte eine Buchstadt, die den Namen verdient, auch eine vielgestaltige, überregional ausstrahlende Medienlandschaft. Mit der real herrschenden Springer-Madsack-MDR-„Monokultur“ sei kaum „Tiefgang im Medienkonzert“ zu erzeugen.

Ungeplanter Höhepunkt des Abends war jedoch der Auftritt einer Dame aus dem Publikum: „Mein Name ist Born, ich komme vom Amt für Wirtschaftsförderung der Stadt Leipzig. Ich bin hier, weil ich in der Zeitung von Ihrer Veranstaltung erfahren habe. Wir können Sie nur unterstützen, wenn wir Input erhalten, was Sie, die jungen Verlage, brauchen.“ Frau Born pries die „Clusterstrategie“ der Kommune für Medien- und Kreativwirtschaft und lud ihre potentiellen Klienten ein, sich über Investitionszuschüsse und öffentlich geförderte Darlehen kundig zu machen. Gemeinsam mit dem LV SaSaThü sei darüber hinaus die kostenlose Know-how-Vermittlung für Existenzgründer in einer Reihe von Seminaren geplant. Nun, vielleicht geben sich bald Leipziger Absolventen, statt europaweit auf Jobsuche zu gehen, bei Frau Born die Klinke in die Hand, sacken die Euro der Sächsischen Aufbaubank ein und ziehen mit ihrem neuen Verlag in eine von der Stadt gesponserte Immobile? Vorerst gilt für Verleger in der Buchstadt, alte wie junge: Durchhalten und Stacheln zeigen! Die Diskutanten auf dem Podium jedenfalls bekamen am Ende des Abends einen Kaktus in die Hand gedrückt.