Verlagsarchive

"Verlage brauchen ein Gedächtnis!" – ein Aufruf

13. November 2009
von Börsenblatt
Die Bedeutung von Verlagsarchiven für die Literatur- und Buchhandelsgeschichte ist außerordentlich, wie nicht nur das aktuelle Beispiel Suhrkamp / Insel oder der Einsturz des Kölner Stadtarchivs (März 2009), in dem auch Dokumente von Kiepenheuer & Witsch lagern, zeigen. Deshalb hat die Sicherung, Pflege und Erschließung der Bestände höchste Priorität. Anmerkungen von Hermann Staub, Leiter des Archivs und der Bibliothek des Börsenvereins in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt – verbunden mit einem Aufruf.

»Die Anlage und sorgfältige Führung eines Verlagsarchivs gehört zu jedem ordentlichen Verlag und macht sich immer bezahlt; sie liegt also im eigenen Interesse des Verlegers selbst.« Mit diesem Satz leitete Dr. Adolf Spemann, Inhaber des bekannten Stuttgarter Verlags J. Engelhorns Nachf., seine Antwort auf eine Umfrage ein, mit der das Börsenblatt im Jahre 1938 Einzelheiten über Anlage und Führung von Verlagsarchiven in Erfahrung zu bringen hoffte. Die Antworten weniger namhafter Verleger und Verlage werfen nicht mehr als Schlaglichter auf eine Institution, deren Wertschätzung wohl bereits vor 70 Jahren von dem überaus unterschiedlichen Grad des historischen Bewusstseins der handelnden Personen abhing. Verleger brachten Verlagsarchiven schon immer gespaltene Gefühle entgegen (weil mit Kosten verbunden), während sie auf Seiten der Forschung große Annerkennung genossen. Das Cotta-Archiv war dem Literaturwissenschaftler und Bibliothekar Paul Raabe »ein Eldorado für den Literaturhistoriker«, »das Mekka des Wissenschaftshistorikers« nannte der Buchwissenschaftler Horst Meyer das Archiv des Julius Springer Verlags.

Auf die vielfältige Bedeutung der Verlagsarchive und den richtigen Umgang mit ihnen hat im Börsenblatt (Ausgabe 33/2009) erneut Thekla Kluttig hingewiesen, die im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig über 1.000 laufende Meter wertvoller Verlagsarchivalien betreut. Angeregt worden war dieser Artikel durch ein Symposium, das unter dem Titel »Tag der Verlage. Fragen der Erwerbung und Erschließung von Verlagsarchiven« am 7. und 8. Mai 2009 im Deutschen Literaturarchiv Marbach stattfand. Anhand ausgewählter Beispiele standen Methoden der Erschließung und Kriterien der Erwerbung von Verlagsarchiven, der gesamte Komplex der damit verbundenen Rechteproblematik, aber auch Fragen der Einstellung und des Umgangs der Verlage zu ihren eigenen Archiven sowie buchwissenschaftliche Methoden und Fragestellungen auf dem Programm des Arbeitsgesprächs. Einzelaspekte wurden von den Teilnehmern aus Archiven und Bibliotheken, aus der buchwissenschaftlichen Forschung und der verlegerischen Praxis durchaus kontrovers diskutiert, in einem jedoch bestand uneingeschränkte Einigkeit: Es muss noch mehr dafür getan werden, Verlagen den Wert und die Bedeutung ihrer Archive ins Bewusstsein zu rufen, vor allem aber muss verhindert werden, dass Verlage ihre kulturhistorisch wertvollen Archivbestände, die für die verschiedensten universitären Disziplinen wichtiges Quellenmaterial darstellen, aus Mangel an Alternativen dem Altpapier überantworten.

Aus dieser Erkenntnis heraus formulierten Teilnehmer der Marbacher Tagung einen Aufruf zur Sicherung und Bewahrung von Verlagsarchiven, der auf den Buchtagen Berlin 2009 bereits der Fachgruppenversammlung Herstellender Buchhandel vorgestellt wurde, auf diesem Wege aber der Branchenöffentlichkeit publik gemacht werden soll.

Der Aufruf im Wortlaut:

Verlage brauchen ein Gedächtnis!
„Verlage bereiten geistigen Schöpfungen einen Markt, sie sind Kulturvermittler und Wirtschaftsunternehmen zugleich“ – so werden die Verlage auf der Website des Börsenvereins charakterisiert. Doch die Kulturvermittler brauchen auch ein eigenes Gedächtnis, sollen sie über den Tag hinaus fortwirken. Betrachtet man allerdings den Umgang vieler Verlage mit ihrem Schriftgut, ihrer Registratur, ihrem Verlagsarchiv, so entsteht der Eindruck, dass hier oft fahrlässig gehandelt wird. Wichtige Dokumente der eigenen Geschichte wurden und werden vernachlässigt, vergessen, vernichtet – sei es nach Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfristen, sei es bei Fusionen und Weiterverkäufen oder gar bei der Schließung von Unternehmen. Immer häufiger kommt es zum Untergang von Verlagsarchiven – und damit auch zu einem unwiederbringlichen Verlust für die kulturgeschichtliche Forschung.

Verlagsarchive sind Kulturgut. Sie gilt es zu bewahren. Wir möchten daher an alle Verlage appellieren, für die Sicherung der eigenen Geschichte rechtzeitig, spätestens aber vor einem Verkauf, Sorge zu tragen. Wenn Sie selbst oder ein zukünftiger Eigentümer nicht an einer dauerhaften Verwahrung Ihres Archivs interessiert sind oder nicht über die notwendigen Res-sourcen verfügen, bieten Sie das Archiv einer fachkompetenten Institution zur Übernahme an! Deutschland ist geprägt durch eine reiche Archivlandschaft. Die regionalen Wirtschaftsarchive, die Stadt-, Kreis- und Staatsarchive, das Deutsche Literaturarchiv Marbach und andere Einrichtungen wie Universitäten und große Bibliotheken könnten an einer Aufnahme Ihres Archivs interessiert sein. Als Ansprechpartner auf der Suche nach dem „passenden“ Archiv steht Ihnen Hermann Staub, Archiv und Bibliothek des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main, zur Verfügung (H.Staub@d-nb.de).

Welche Unterlagen umfasst ein Verlagsarchiv? Natürlich Titelakten und Autorenkorrespondenzen – aber nicht nur diese. Zur Geschichte eines Verlags, zur Erforschung seiner kulturhistorischen Bedeutung ist anderes Schriftgut genauso von Interesse: Unterlagen der Geschäftsführung, des Lektorats, zu Rechten und Lizenzen, Herstellung, Vertrieb und Werbung, Finanzen und Personal und natürlich die verlegten Publikationen selbst, das Produktionsarchiv. Für sensible Teile können in Schenkungs- oder Depositalverträgen Regelungen zu angemessenen Schutzfristen getroffen werden.

Gerade im Zeitalter der Digitalisierung und der Umstellung auf elektronische Korrespondenz sollte mit dem Papiererbe verantwortungsbewusst umgegangen werden. Was jetzt nicht erhalten wird, ist für die Geistesgeschichte auf ewig verloren. Daher appellieren wir an alle Entscheidungsträger in den Verlagen: Sichern Sie das Kulturgut unserer Branche!

Prof. Dr. Stephan Füssel, Buchwissenschaftler, Mainz

Dr. Thekla Kluttig, Archivarin, Leipzig

Dr. Christoph Links, Verleger, Berlin

Hermann Staub, Archiv und Bibliothek des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main"