Interview zum Urheberrechtsstreit zwischen Ulmer Verlag und ULB Darmstadt

"Übersichtlich, unbürokratisch, rechtssicher"

3. Dezember 2009
von Börsenblatt
Der Börsenverein hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt zum Antrag des Ulmer Verlags auf Einstweilige Verfügung gegen die Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt als Erfolg gewertet. Sie sei ein wichtiger Schritt zur Stärkung des geistigen Eigentums. Die Richter untersagten der Bibliothek, ihre Leseterminals auch als Downloadstationen für Lehrbuchinhalte zu nutzen, und bestätigten insofern die Vorinstanz. Das Recht, Bücher kostenlos am Bibliotheksbildschirm zu lesen, dürfe nicht mit der Berechtigung, Privatkopien für den eigenen Gebrauch anzufertigen, verknüpft werden, so das OLG. Boersenblatt.net hat mit Achim Bonte, Stellvertreter des Generaldirektors der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden, gesprochen und ihn um eine Einschätzung aus Bibliothekssicht gebeten.

Das OLG Frankfurt hat die Speicherung und Vervielfältigung von digitalisierten Lehrbüchern an Leseterminals für unzulässig erklärt. Geht diese Entscheidung an der Wirklichkeit in den Bibliotheken vorbei?

Bonte: Mit dem jüngsten Urteil ist nun selbst das verboten, was bei gedruckten Exemplaren seit Jahrzehnten unbürokratisch möglich ist: Das Herstellen einer Papierkopie aus Bibliotheksbeständen. Inwieweit das in unsere Zeit passt, mag jeder Leser beurteilen.

Ist heutzutage die Unterscheidung zwischen analoger und digitaler Kopie, die das Gericht ausdrücklich nicht vornimmt, überhaupt noch möglich?

In der generell schwierigen Materie des Urheberrechts hat die Justiz das zusätzliche Problem, mit anhaltenden, höchst dynamischen Veränderungen des Informationsmarkts konfrontiert zu sein. Produktbildung, Preispolitik und Distribution von Publikationen haben sich speziell im Bereich der wissenschaftlichen Fachinformation erheblich ausdifferenziert. Die früher quasi selbstverständliche Rollenverteilung zwischen Autoren, Verlegern und Bibliotheken gibt es nicht mehr, zugleich geht es weiterhin um viel Geld. Ergebnis ist bisher ein zunehmend bürokratisiertes Regelwerk mit beachtlichem Konfliktpotential und teilweise auch Anachronismen. So wurde die 1975 geschaffene Bibliothekstantieme seit 2003 inzwischen um bereits drei weitere urheberrechtliche Vergütungspflichten ergänzt. Tendenz aktuell eher steigend. Im Fall des Paragrafen 52b Urheberrechtsgesetz würde man nach der jüngsten Rechtsprechung allein schon für das Lesen eines digitalisierten Lehrbuchs aus dem Bibliotheksbestand bezahlen.

Wäre es nicht sinnvoll gewesen, wenn die ULB Darmstadt ein Lizenzangebot des Ulmer Verlags geprüft hätte?

Inwieweit das in Darmstadt nicht geschehen ist, kann ich nicht sagen. Einer Presseerklärung der TU Darmstadt zufolge hatten die Universität wie der Deutsche Bibliotheksverband dem Verlag nach dem erstinstanzlichen Urteil aber vergeblich ein Gespräch angeboten.

Wird den Verlagen nicht vorschnell - von der Öffentlichkeit wie von Bibliotheken – vorgeworfen, nur aus monetären Motiven heraus zu handeln?

Es ist nicht zu verkennen, dass es in beiden Lagern Extrempositionen gibt, die einen Interessenausgleich erschweren. Indes muss man kein Anhänger der Piratenpartei sein, um auf dem Feld der wissenschaftlichen Fachinformation mehr Open Access zu verlangen. Die Sächsische Staats- und Universitätsbibliothek zahlt nur für den Zugang zu ihren zehn teuersten Fachzeitschriften 192.000 Euro pro Jahr; für wissenschaftliche Forschungsergebnisse, die überwiegend ebenfalls schon aus öffentlichen Mitteln hervorgebracht wurden. Das ist längerfristig nicht tragbar.

Werden Sie in Ihrer Bibliothek Lehrbuchinhalte ohne Rücksprache bei Verlagen digitalisieren und an Leseterminals bereitstellen – oder könnte die Entscheidung der Frankfurter Richter auch als Wink verstanden werden, nun in einen Dialog mit den Verlagen einzutreten?

Wir haben das schon bisher nicht getan, unter anderem, um nicht den Interessenausgleich im Rahmen der anstehenden Beratungen zum Dritten Korb der Urheberrechtsnovelle zusätzlich zu belasten. An Dialogbereitschaft fehlt es bei den Bibliotheken gewiss nicht. In anderen Feldern, zum Beispiel beim Kopienversand, hat der Dialog auch konkrete Ergebnisse gebracht.

Wie sollte Ihrer Meinung nach das Urheberrecht um- oder ausgestaltet werden, um die Wissensvermittlung im digitalen Zeitalter zu verbessern?

Als Nichtjurist kann ich vor allem die Ziele, weniger die Wege beschreiben: Übersichtlich, unbürokratisch, rechtssicher. Dazu zählt zum Beispiel, dass man wo immer möglich Ansprüche mit Pauschalen ablöst und nicht etwa auf einer Einzeltitelerfassung besteht. Wie nahezu alle wissenschaftlichen Bibliotheken plädiert unser Haus für eine Strategie, die einerseits die Publikationsfreiheit jedes Einzelnen und die rechtlichen Rahmenbedingungen sorgfältig achtet, andererseits auf die Sozialpflichtigkeit von öffentlich finanzierter Wissenschaft hinweist und für eine kostenfrei zugängliche, gegebenenfalls zusätzliche Publikation auf Dokumenten- und Publikationsservern wirbt.

Interview: Michael Roesler-Graichen

Zur Person
Dr. Achim Bonte ist Leitender Bibliotheksdirektor, Stellvertreter des Generaldirektors der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, und unter anderem zuständig für den Geschäftsbereich Digitale Bibliothek, Vorsitzender des Landesverbands Sachsen im Deutschen Bibliotheksverband.