Best-of Graphic Novels

Hier sprechen die Bilder

21. Januar 2010
von Börsenblatt
"'Das Schwere leicht zu sagen', so wie Peter Rühmkorff über Erich Kästners Texte befand: Genau das kann die Graphic Novel", meint Atrium-Verleger Nikolaus Hansen, der im Februar den wundervollen Band "Immy and the city" herausgibt. Mehr zur aktuellen Entwicklung finden Sie im Kommentar Neue Zielgruppen, Lesetipps zu den besten Graphic Novels (Ergänzungen sind willkommen) gleich hier:

 

 

Ein liebenswerter „Hänger" als HeldDer arbeitslose Scott spielt in einer Band und hängt viel rum, sonst tut er eigentlich nicht viel. Doch dann trifft er auf ein, nein, auf sein Traumgirl: Ramona! Um sie zu erobern, tritt der liebenswerte Looser gegen deren sieben Exfreunde an, die es ihm mit ihren Super-Martial-Arts-Kräften nicht gerade leicht machen. Klingt schräg? Ist es auch. Trifft aber genau den Nerv einer Generation. Ein Überraschungshit aus Kanada in leichter Manga-Anmutung – und ausgesprochen witzig.

Bryan O'Malley: Scott Pilgrim. Bd 1.: Das Leben rockt! Panini, Februar, 176 S., 12,90 Euro

 

Bedingungsloser Glaube an die TechnikAls der kleine Buddy und sein Vater 1939 die Weltausstellung in New York besuchen, kommen sie aus dem Staunen nicht mehr heraus: Die Visionen einer hoch technisierten Umwelt, eng verknüpft mit einem Alles-ist-machbar-Gefühl, begeistern sie. Aber schon hier wird dem Vater klar: "Die Dinge müssen sich verändern, weil es so, wie ich aufgewachsen bin, nicht mehr funktioniert." In stark flächig angelegten Bildern arbeitet Fies die euphorische Technikgläubigkeit heraus, die in der Mondlandung gipfelt. Mit zunehmendem Alter löst sich Buddy von den Visionen, erkennt in den alten Idealen gefährliche Verstrickungen. (Langfassung s.u.)

Brian Fies: Und wir träumten von der Zukunft. Eine Geschichte von Hoffnung und Wandel. Knesebeck, Februar 2010, 208 S., 24,95 Euro

 

MenschlichEmotional zutiefst berührend: So sind die acht Kurzgeschichten, in denen Taniguchi entscheidende und schwierige Momente in den Lebensläufen ganz unter-schiedlicher Menschen skizziert. Die Bildkompositionen sind klar und schnörkellos, das Ende der Geschichten bleibt in der Schwebe – meisterlich.

Ryuichiro Utsumi, Jiro Taniguchi: Von der Natur des Menschen. Carlsen, 2009,
24 S., 14,90 Euro
 


Subtile RacheÜberraschende Wendungen auf jeder Seite: Mit nervösem, sperrigem Strich zeichnet Crécy das Dasein eines Killers, bei dem das Blut des Opfers eines Morgens als fröhliches Monster am Frühstückstisch sitzt. Dabei ist längst nicht ausgemacht, dass der Mörder der Bösewicht ist.

Nicolas de Crécy: Prosopopus. Reprodukt, 2009, 104 S., 18 Euro

Sich im anderen findenZeichner Craig Thompson erzählt die Geschichte eines verunsicherten Außenseiters, der sein Abgeschottetsein und seine Flucht in Träume erst durchbricht, als er in einem Feriencamp Raina kennenlernt. Wünsche, Gefühle, Hoffnungen, alles wirbelt in in ungemein poetischen Schwarz-Weiß- Zeichnungen durcheinander, ein Strudel der Geborgenheit, aus dem sich Persönlichkeiten heraus konturieren können. Wort und Bild spielen gekonnt miteinander, Bilder drücken Emotionen aus, die Worte nur schwer darzustellen vermögen. (Langfassung s.u.)

Craig Thompson: Blankets. Carlsen, Dezember 2009, 592 S., 38 Euro

Da fliegen die FetzenDrei Frauen und drei Männer um die 30 wollen auf dem Land die angekündigte Sonnenfinsternis erleben. Hinter einer Fassade von Heiterkeit und Ferienstimmung brodelt es, was allzu lange aufgestaut ist, muss heraus, ein Balanceakt der Freundschaft. Grafisch ist der Tanz auf dem Vulkan in glänzenden Zeichnungen, teils als Schattenriss, teils holzschnittartig, teils filigran, aber stes ausdrucksstark eingefangen. Und auf keiner Seite langweilig.(Langfassung s.u.)

Jim & Fane: Sonnenfinsternis. Splitter-Verlag, Juli 2009, 288 S., 24,80 Euro

Vom Wahnsinn des KriegesUnwillkürlich muss man bei diesem Comic an Erich Maria Remarques »Im Westen nichts Neues« denken, denn hier wird ebenso ernüchternd von den Anfangsjahren des Ersten Weltkriegs berichtet, und ebenfalls aus der Sicht eines einfachen Feldsoldaten. Der sehr umfangreiche geschichtliche Anhang rundet das beeindruckende Antikriegsbuch ab. Nach „Grabenkrieg" und „Soldat Varlot" nimmt sich Tardi – diesmal zusammen mit dem Historiker Jean-Pierre Verney – wieder dem Thema Krieg an. Der abschließende zweite Band, der sich mit den Jahren 1917 – 1918 – 1919 befasst, folgt im Frühjahr.

Jacques Tardi/Jean-Pierre Verney: Elender Krieg. 1914 – 1915 – 1916. Bd. 1. Edition Moderne, 2009, 72 S., 19,80 Euro

Störrischer NoahSchön schräg gezeichnet und witzig gereimt: Mit diesem widerborstigen Noah hat Gott so seine liebe Not. Er hält sich für den Gerchtetsten unter den Menschen und fordert für die anderen eine Sintflut. Genervt stimmt Gott schließlich zu - und überlistet mit Hilfe der Verwandtschaft schließlich Noah. Doch, so könnte es gewesen sein.

Ralf König: Archetyp. Rowohlt, 2009, 144 S., 16,90 Euro

Betuliches Landleben und ein TodesfallEin Anwesen im Süden Englands: Schriftsteller suchen hier Erholung und Ruhe, um zu schreiben. Als die attraktive Tamara Drewe hier an den Ort ihrer Jugend zurückkehrt, um ihr Erbe anzutreten, wirbelt sie das betuliche Landleben gehörig durcheinander. Es kommt zu offenen Konflikten – und einem Todesfall. Ganz ruhig erzählt, mit feinem Strich und zarter Kolorierung berichtet die Autorin vom Leben der Künstler und der englischen Mittelklasse. Und das mit leichtem Humor und ungemein fesselnd. Die Zeichnungen sind ungewohnt arrangiert und wechseln sich mit – für einen Comic – langen Textpassagen ab, was den Lesegenuss aber keineswegs schmälert.

Posy Simmonds: Tamara Drewe, Reprodukt, 136 S., 20 Euro

LebenshungrigKein Geld, kein Pass, kein Plan – die 17-jährige Punkerin Ulli hat genug vom drögen Leben der 80er Jahre in Wien und trampt mit Zufallsfreundin Edi nach Italien zu trampen. Auf der Suche nach dem Dolce Vita treffen sie auf gleichgesinnte Aussteiger. Män- ner überhäufen die Mädchen mit Komplimenten, Essenseinla- dungen, Übernachtungsmöglichkeiten, nur: Sie erwarten Gegen- leistungen, was im Gegensatz zur nymphomanisch veranlagten Edi zum immer größer werdenden Problem für Ulli wird. (Langfassung s.u.)

Ulli Lust: Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens. Avant-Verlag, Oktober 2009, 29,95 Euro

Packender Hardboiled-KrimiDie Krimi-Experten schlagen wieder zu: Ed Brubacker und Sean Phillips schildern in „Incognito", was aus einem Superschurken wird, der im Zeugenschutzprogramm landet und sich endlos langweilt. Zack Anderson sehnt sich nach seinem alten, gesetzlosen Leben zurück. Und sein inhaftierter Boss sinnt derweil auf Rache. Wie auch in „Sleeper" gelingt die Verschmelzung von Krimi in bester Pulp- bzw. Hardboiled-Tradition mit dem Superhelden-Genre perfekt, obwohl der Superheld in diesem Fall ein Schwerverbrecher ist. Passend zur Atmosphäre auch die eher dunkle Farbgebung der Zeichnungen. Lesenswert!

Ed Brubacker und Sean Phillips: Incognito, Band 1, Panini, 164 S., 19,95 Euro

Krimispaß aus deutschen LandenDer brummige Kommissar Fröhlich bekommt es mit einer Serie von Brandanschlägen in der Nähe von Stade zu tun. Als es dann auch noch einen Toten gibt und sein Assistent entführt wird, vergeht dem grimmigen Fröhlich gänzlich die eigentlich nie vorhandene gute Laune. Eine kurzweilige Krimigeschichte mit einer Prise Humor und schönen, klar abgegrenzten Schwarzweiß-Flächen.

Stephan Hagenow: Kommissar Fröhlich – Feuerteufel, Gringo-Comics, 60 S., 7,90 Euro

 

HochästhetischMit großem Aufwand hat Jon Mut fotorealistische Sequenzen geschaffen, die sich an Fritz Langs gleichnamigen Filmklassiker anlehnen, aber mit vielfältigen Kunstformen spielen. Deutlich arbeitet er die Hysterie der Menschen heraus, die nicht aufklären, sondern richten wollen. Jon Muth: M – Eine Stadt sucht einen Mörder. Cross Cult, 2009, 192 S., 25 Euro

 

Stiller GeistArbeit, Haus, Familie – alles ist weg, sogar seinen Stolz hat der obdachlose Benjamin verloren. Bei einem Autounfall kommt er ums Leben und muss als farbloser, stummer Geist eine verlorene Seele suchen, um sie dann zu retten. Chaboutés plakative Panels sind einfühlsam melancholisch – und so aufregend wie ein Thriller. Christophe Chabouté: Fegefeuer. Ehapa Comic Collection, April, 192 S., 39,95 Euro

 

Fantasievoller HorrorEin erfolgloser Schriftsteller hat eine Erscheinung: Die Romanfigur aus einer Groschenheftreihe wird lebendig und bittet ihn um Hilfe. Er soll ihren Schöpfer zu einer Charakteränderung bewegen. Kein leichtes Unterfangen ... (Langfassung s.u.)

Fabrice Lebeault: Mit fremder Feder. Finix Comics, 2009, 80 S., 17,80 Euro

WiderstandIn einem totalitären Staat lernen Feuerwehrmann Guy Montag und das Mädchen Clarisse heimlich Bücher auswendig – um sie zu bewahren. Hamilton inszeniert Bradburys spannenden Klassiker eindringlich im Stil des Film Noir. Ray Bradbury, Tim Hamilton: Fahrenheit 451. Eichborn, Februar, 192 S., 22,95 Euro

So traurigVon wegen Sex in the City – Immy ist 30, Single und ziemlich einsam unter Millionen von Menschen. In bizarren, surrealen Bildern fängt die Kölner Zeichnerin Mimi Welldirty ein Lebensgefühl ein, das den Leser fasziniert. Welldirty bloggt fleißig und gibt am 20. Februar in Köln die traurigste Party der Welt (immyandthecity.tumblr.com).

Mimi Welldirty: Immy and the City. Depresso to go. Die traurigste Geschichte der Welt. Atrium, Februar, 124 S., 14,90 Euro

Spannung à la „Blade Runner"
Die Kinoverfilmung der spannenden Graphic Novel "The Surrogates" startet am 21. Januar mit Bruce Willis in der Hauptrolle - Rezension s.u.

Robert Vendetti / Brett Weldle: The Surrogates, Cross Cult, 208 S., 26 Euro

Verstörender MedizinthrillerDer junge Arzt Kirihito bekommt es mit einer mysteriösen Krankheit zu tun, die Menschen zu hundeähnlichen, blutgierigen Wesen mutieren lässt. Auf der Suche nach einem Heilmittel wird Kirihito mit allerlei menschlichen Abgründen konfrontiert: Ausgrenzung, Gier, Gewalt und fragwürdige medizinische Forschung. Der in Japan als „Gott des Mangas" verehrte Tezuka lässt uns hier eintauchen in einen verstörenden Psychotripp, doch nicht zum Selbstzweck. Er will aufrütteln, anklagen, Fragen stellen zum Leben in modernen Gesellschaften. Das 1970 erstmals veröffentlichte Werk hat erschreckender Weise nichts an Aktualität eingebüsst.

Osamu Tezuka: Kirihito 1, Carlsen, 280 S., 16,90 Euro

 

Albtraumhafter HorrorWunderschöne, oftmals albtraumhafte Zeichnungen findet man in „Codex Angélique – Kompendium der Engel". Das eigentlich vierbändige Werk liegt jetzt als abgeschlossener Einzelband vor und beschreibt zunächst das absinthgetränkte, extravagante Leben des jungen Studenten Thomas zur Belle Epoque. Dieser wird jedoch von der Pariser Polizei wegen mehrerer, grausamer Morde gesucht. Als ihm das Buch „Codex Angelique" in die Hände fällt, versucht er mit seinem Onkel dessen Geheimnis zu enträtseln. Sollte es ihm daraufhin gelingen, seine verstorbene Mutter wieder zum Leben zu erwecken? Eine spannende, dunkle Geschichte, mit wunderbarer Zeichenkunst dargeboten.

Thierry Gloris / Mika ël Bourgouin: Codex Angélique – Kompendium der Engel. Ehapa, 144 Seiten, 39,95 Euro

Ausnahme-Thriller vom FeinstenMit „Sleeper" hat das Gespann Ed Brubacker und Sean Phillips einen echten Krimi-Knaller gelandet und wurden dafür zu Recht mit Lob nur so überhäuft. Die Hauptfigur Holden Carver arbeitet für Tao, den Chef der mächtigsten Terrororganisation der Welt, und er ist ein Doppelagent. Sein Problem: Der einzige Mensch, der von seiner verdeckten Ermittlung weiß, liegt im Koma. So verliert Carver nach und nach den Boden unter den Füßen und weiß nicht mehr, für welche Seite er eigentlich arbeitet und wem er die Treue halten soll. Zumal er Freunde und auch eine Geliebte in Taos Gefolgschaft findet. Man darf sich von den Superkräften der Akteure nicht täuschen lassen: Sie sind nur Beiwerk, nicht tragendes Element dieses ungemein packenden und fast schon klassisch anmutenden Crime Noir-Werkes mit beachtlicher erzählerischer Tiefe. Auf die Verfilmung mit Tom Cruise als Carver darf man gespannt sein. sie kommt noch dieses Jahr ins Kino.

Ed Brubacker / Sean Phillips: Sleeper, Cross Cult, 4 Bände, je ca. 144 S., abgeschlossen, je 19,80 Euro

 

Realistische Schilderung von VerlierernDas Augenmerk des Künstlers Baru („Wut im Bauch") liegt oftmals auf den Verlierern der Gesellschaft. So auch in „Elende Helden", der Umsetzung eines Szenarios von Pierre Pelot („Der Pakt der Wölfe"). Wieder schafft er es meisterlich, die Außenseiter in Szene zu setzen, die durch zufällige Momente an Abgründe gedrängt werden. Unvermittelt empfindet man eine gewisse Sympathie, selbst für die oftmals gar nicht so menschlich aber doch verständlich agierenden Akteure, die als Spielball des Zufalls versuchen, ihren Weg zu gehen. Bis zum überraschenden Ende ist man gefesselt von der Geschichte, nicht zuletzt auch durch die strichbetonten Farbzeichnungen, die die „Helden" – trotz ihrer zerfurchten Gesichter – harmlos und verspielt wie Kinder wirken lassen.

Baru: Elende Helden, Edition 52, 80 S., 18 Euro

 

 

Langfassungen:

Bedingungsloser Glaube an die TechnikPer aspera ad astra (Über raue Pfade gelangt man zu den Sternen) - das Motto der United States Air Force Academy zieht sich als Leitmotiv durch Brian Fies' Comic. Als der kleine Buddy und sein Vater 1939 die Weltausstellung in New York besuchen, kommen sie aus dem Staunen nicht mehr heraus: Die Visionen einer hoch technisierten Umwelt, eng verknüpft mit einem Alles-ist-machbar-Gefühl, begeistern sie. Aber schon hier wird dem auf dem Land groß gewordenen Vater klar: "Die Dinge müssen sich verändern, weil es so, wie ich aufgewachsen bin, nicht mehr funktioniert."
In stark flächig angelegten Bildern arbeitet Fies die euphorische Stimmung heraus, die eine Generation mit dem Einsatz von Transistorradio und Fernsehen erlebt hat. Sie gipfelt in der Vision, den Weltraum zu erobern; jeder Schritt zur Mondlandung ist ein Triumph auch für den american way of life. Fies verknüpft die stets durchschimmernde Superman-Mentalität des amerikanischen Staates in einer Parallelebene mit zwei Comicfiguren (Buddy und Vater, die in alten Comics die Welt vor dem Bösen retten müssen: Die Rolle der USA als Weltpolizist ist den Bürgern in Fleisch und Blut übergegangen. Mit zunehmendem Alter löst sich Buddy von den Visionen, erkennt als Motivation für die Landung auf dem Mond nur noch das Wettrüsten mit der Sowjetunion, sieht die Verstrickungen im Vietnamkrieg. Letztlich, so Buddys Erkenntnis, war die bedingungslose Technikgläubigkeit gefährlich.

Brian Fies: Und wir träumten von der Zukunft. Eine Geschichte von Hoffnung und Wandel. Knesebeck, Februar 2010, 208 S., 24,95 Euro

 

Sich im anderen findenDie mehrmals auftauchende Patchworkdecke ist ein Symbol für Wärme und Geborgenheit, die die Protagonisten in "Blanket" so dringend brauchen, und so, wie die einzelnen Flicken ordnen sich auch die einzelnen Panels an. Zeichner Craig Thompson erzählt seine Autobiografie: Aufgewachsen in einem christlich-fundamentalistischen Elternhaus in einem weitab gelegenen amerikanischen Farmland, erlebt Craig eine meist freudlose Kindheit. Zutiefst verunsichert, ein typischer Außenseiter, durchbricht er sein Abgeschottetsein und seine Flucht in Träume erst, als er in einem Feriencamp Raina kennenlernt. Wünsche, Gefühle, Hoffnungen, alles wirbelt in in ungemein poetischen Schwarz-Weiß-Zeichnungen durcheinander, ein Strudel der Geborgenheit, aus dem sich Persönlichkeiten heraus konturieren können. Wort und Bild spielen gekonnt miteinander, Bilder drücken Emotionen aus, die Worte nur schwer darzustellen vermögen. Auf 600 Seiten (Carlsen hat das vergriffene Werk jetzt neu als Prachtausgabe ediert) zeichnet Thompson in verschiedensten Bildgrößen das Erwachsenwerden, die erste Liebe, die Ablösung vom sittenstrengen Elternhaus, das Entdecken der Kunst.

Craig Thompson: Blankets. Carlsen, Dezember 2009, 592 S., 38 Euro

 

Da fliegen die FetzenDrei Frauen und drei Männer, alle so um die 30, machen sich von der Großstadt Pais auf, um in einem gemieteten Haus auf dem Land die angekündigte Sonnenfinsternis zu erleben. Die Clique könnte unterschiedlicher nicht sein: Ein Künstlerpaar, das unterschiedlichen Lebensentwürfen nachhängt, ein Mann, der mit schlechtem Gewissen seine Frau mit den Kindern in Paris gelassen hat, um mit einer 18-Jährigen vielleicht eine Amour fou zu erleben, ein Schwuler, der sich in einer Pechsträhne wähnt und ständig seine Freunde aufzuheitern bemüht ist, sowie ein scheinbar hartgesottener und doch verletzlicher Vamp, die mit dem Künstler eine Affäre hatte, die möglicherweise doch nicht ganz vorbei ist – was dessen Frau weiß.
Alles in allem also eine hochexplosive Mischung: Hinter einer Fassade von Heiterkeit und Ferienstimmung brodelt es, immer wieder fliegen die Fetzen in unterschiedlichsten Konstellationen. Was allzu lange aufgestaut ist, muss heraus, quälende Erkenntnisse müsen gesagt werden, wobei die Protagonisten stets bemüht sind, ihre Freundschaft nicht in Gefahr zu bringen. Grafisch ist der Tanz auf dem Vulkan in glänzenden Zeichnungen, teils als Schattenriss, teils holzschnittartig, teils filigran, aber stes ausdrucksstark eingefangen. Und auf keiner Seite langweilig.

Jim & Fane: Sonnenfinsternis. Splitter-Verlag, Juli 2009, 288 S., 24,80 Euro

 

LebenshungrigKein Geld, kein Pass, kein Plan – die 17-jährige Punkerin Ulli hat genug vom drögen Leben der 80er Jahre in Wien und will was erleben. Mit Zufallsfreundin Edi setzt sie sich in den Kopf, nach Italien zu trampen. Auf abenteuerlichen Pfaden (kein Pass) schlagen sie sich durch die Wälder über die Grenze, treffen auf der Suche nach dem Dolce Vita auf gleichgesinnte Aussteiger. Italienische Männer überhäufen die Mädchen mit Komplimenten, Essenseinladungen, Übernachtungsmöglichkeiten, nur: Sie erwarten Gegenleistungen, was im Gegensatz zur nymphomanisch veranlagten Edi zum immer größer werdenden Problem für Ulli wird. In ihrem autobiographischen Comic zeigt Ulli Lust mit raschem, skizzenhaftem, lebendigen Strich, wie sich Ulli gegen die Annäherungsversuche zur Wehr setzt, wie sie sich von Typen herabgewürdigt fühlt, die ein Nein nicht akzeptieren und ihr ungehindert an die Wäsche gehen wollen. Sie stellt mafiöse Verflechtungen und Abhängigkeiten auch der Männer in Sizilien eindringlich dar, sowie ihre eigene Abhängigkeit - allein, so wird ihr immer klarer, kann sie nicht überleben.

Ulli Lust: Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens. Avant-Verlag, Oktober 2009, 29,95 Euro

 

Spannung à la „Blade Runner"Dank neuester Entwicklungen verfügen die Menschen im Jahr 2054 über Surrogates, menschenähnliche Roboter, über die sie virtuell mit der Außenwelt interagieren. Als zwei solcher Stellvertreter sterben bzw. funktionsunfähig gemacht werden, beginnen die Ermittlungen der Polizei, um den Technoterroristen zu stellen. Die skizzenhaften, digital nachbearbeiteten und nachkolorierten, leicht unscharfen Zeichnungen spiegeln sehr schön das Grundmotiv des Comics wider: Die Vermischung zwischen Realität und Virtualität, zwischen analoger und digitaler Welt. Die Kinoverfilmung dieser spannenden Graphic Novel startet am 21. Januar mit Bruce Willis in der Hauptrolle. Im Anhang – typisch für Cross Cult-Comics und immer wieder lobenswert – findet man neben einer Galerie, gelöschten Szenen, Interviews mit den Künstlern auch eine interessante Schilderung des Herstellungsprozesses der Zeichnungen. Man bekommt fast Lust, selbst anzufangen zu zeichnen, wenn man denn zeichnen könnte ...

Robert Vendetti / Brett Weldle: The Surrogates, Cross Cult, 208 S., 26 Euro

Fantasievoller Horror
Ein erfolgloser Schriftsteller hat eine Erscheinung: Die Romanfigur aus einer Groschenheftreihe wird lebendig und bittet ihn um Hilfe. Er soll ihren Schöpfer zu einer Charakteränderung bewegen. Kein leichtes Unterfangen, ist doch die Identität des Autors unbekannt. Eine Spur führt dann aber doch zu einem geheimnisvollen Schloß. Gleichzeitig treibt aber auch ein Mörder sein Unwesen in der Gegend. Das wunderschön gezeichnete Grusel-Comic-Verwirrspiel entführt den Leser ins Paris des 19. Jahrhunderts. Auch das Cover dieses Comics ist bemerkenswert: mit Glanzprägung und einfach eine Augenweide. Im Anhang findet sich die Kurzgeschichte, auf der die Graphic Novel basiert.

Fabrice Lebeault: Mit fremder Feder. Finix Comics, 2009, 80 S., 17,80 Euro