Lesung

Martin Walser stellt neue Novelle "Mein Jenseits" vor

10. Februar 2010
von Börsenblatt
"Je älter man wird, desto mehr empfiehlt es sich, darauf zu achten, wie man auf andere wirkt." So beginnt Martin Walsers neue Novelle "Mein Jenseits". Walser selbst wird im März 83. Im voll besetzten Lesesaal des Frankfurter Literaturhauses hat er gestern Abend aus seinem Buch gelesen – und wirkte dabei so präsent wie immer.

 

 

230 Gäste sind gekommen, um Walser zu hören – und mehr hätten auch beim besten Willen nicht in den Saal gepasst. Dicht gedrängt stehen die Stühle auf dem Fischgrätenparkett, nur in der Mitte bleibt ein schmaler Gang, wie in der Kirche. In der ersten Reihe sitzt Joachim Unseld als Literaturhausvorsitzender, zwei Plätze daneben FAZ-Feuilletonistin und "Literatur im Foyer"-Moderatorin Felicitas von Lovenberg.

 

Pünktlich um 20 Uhr tritt Gastgeberin Maria Gazzetti ans Mikrofon. Die Noch-Programmleiterin des Literaturhauses begrüßt das Publikum und dankt dem Autor für sein Kommen. Zur Einführung liest sie selbst einige Zeilen aus "Mein Jenseits" und ordnet das Buch in Walsers Gesamtwerk ein: Es handle sich um die dritte Novelle nach "Ein fliehendes Pferd" (1978) und "Dorle und Wolf" (1987).

 

Während diese beiden Bände noch bei Suhrkamp erschienen sind, gehört "Mein Jenseits" zum ersten literarischen Programm der Berlin University Press, mit dem der Verlag von Börsenvereinsvorsteher Gottfried Honnefelder in diesem Frühjahr an den Start geht.

 

Honnefelder übernimmt das Wort, fasst sich aber bewusst kurz: "Ich weiß genau, dass Martin Walser es nicht leiden kann, wenn vor seinen Lesungen auch noch viel gesprochen wird." Den Hinweis auf die Startauflage von "Mein Jenseits" lässt sich der Verleger jedoch nicht nehmen: 25.000 Exemplare seien gedruckt worden – genau wie damals bei "Ein fliehendes Pferd", das sich später als Millionenseller entpuppte.

 

Dann tritt Walser selbst ans Pult. Aus dem Foyer hat er sich ein Glas Weißwein mitgebracht – die Wasserkaraffe auf dem Tisch bleibt unberührt. Eine knappe Stunde lang trägt der Grandseigneur im Stehen vor, mit beinahe überraschend klarer Stimme, lebendiger Mimik und Gestik. Das Licht der Kron- und Wandleuchter ist gedämpft, die Stimmung andachtsvoll. Es geht um den alternden Arzt Augustin Feinlein, der das Dämmerlicht im Gotteshaus liebt – und ein bißchen riecht es jetzt auch hier im Saal nach Weihrauch.

 

Um punkt neun liest Walser mit dem ewigen Abschiedsgruß von Eva Maria, Feinleins lebenslang Angebeteter, den letzten Satz des Abends: "In Liebe, bis bald." – Und das begeistert applaudierende Publikum hofft auf Einlösung dieses Versprechens.