Kultur

Matthias Matusseks "Clownereien im Internet"

11. Februar 2010
von Börsenblatt
Er ist Kulturblogger auf Spiegel online – und hat im SWR-Fernsehen gerade eine neue Kulturreihe gestartet: Matthias Matussek über das zerstreute Publikum von heute und seine aktuellen Lieblingsbücher.

Sie kommen vom Magazinjournalismus, also vom gedruckten Wort, werden heute aber als Deutschlands Kulturblogger Nr. 1 gefeiert – was ist für Sie so spannend am Videobloggen?

Matussek: Auch mit komplizierten Themen wie der deutschen Romantik oder Bayreuth kann ich hier ein Publikum erreichen, das ich sonst nicht erreichen würde. Heute werde ich nicht auf meine Artikel im „Spiegel“ angesprochen, sondern auf die Clownereien, die ich im Internet betreibe, vor allem von jungen Leuten.

Ist es ein Vergnügen oder eine Strafarbeit, wöchentlich über die deutsche Kulturszene bloggen zu müssen?

Matussek: Natürlich ein Vergnügen. Deutschland hat eine wunderbare Kulturlandschaft, verglichen mit anderen Ländern wie England oder den USA, in denen ich als Korrespondent gearbeitet habe. Die deutsche Malerei hat internationalen Ruf, auch die Symphonie-Orchester sind Weltspitze.  Für polemische Ausfälle sorgt bei mir manchmal das deutsche Regietheater. Es läuft Gefahr, sich zu Tode zu experimentieren.

Im SWR-Fernsehen ist gerade Ihre neue Kulturreihe „Matussek trifft…“ an den Start gegangen – Werkstattgespräche mit Künstlern, Musikern, Autoren. Welche Begegnung hat Sie bislang besonders bewegt?

Matussek: Mein Treffen mit Klaus Maria Brandauer, den ich für einen der ganz Großen halte, aber auch das Interview mit dem russischen Regisseur Aleksandr Sokurov. Mit ihm habe ich über Goethes „Faust“ gesprochen, wie es wohl nur mit einem Russen möglich ist. Zwei Stunden lang ging es um den Tod, die Seele, um die letzten Dinge des Lebens.

Apropos „Faust“: Theaterstücke, die sich über Stunden hinziehen, 700-Seiten-Romane – hält der tempoverwöhnte Kulturfreund von heute das eigentlich noch aus?

Matussek: Natürlich haben wir es inzwischen mit einem anderen, einem zerstreuteren Publikum zu tun. Aber ich habe schon einige Marathon-Theateraufführungen hinter mir – etwa Peter Steins „Faust“-Inszenierung bei der Expo in Hannover – und dabei einen wohltuenden Prozess der Entschleunigung erlebt. Das ist genau die Chance, die das Theater heute hat. Es kann nicht mit Youtube konkurrieren, sondern nur in der Widerständigkeit überleben. Genau wie die Literatur: Vor kurzem habe ich für den »Spiegel« ein Interview mit den beiden US-Autoren Jonathan Franzen und Adam Haslett geführt. Franzen vergleicht Romane dabei mit einem Hafen, in dem wir uns aufhalten – ein freundlicher, fesselnder Hafen, der E-Mails, Internet und Einkaufslisten vergessen lässt.

Haben Sie noch einen Kulturtipp für boersenblatt.net-Leser?

Matussek: Ja, drei Bücher. Ein ganz großer Roman ist „Waltenberg“ von Hédi Kaddour. Überwältigt war ich auch von Stephen Kings neuem Thriller „Die Arena“, der von der Entstehung faschistischer Strukturen in einer Kleinstadt erzählt. Und ebenso lesenswert ist Richard Schröders Sachbuch „Abschaffung der Religion?«.

Mehr rund ums Thema Kulturgenuss in der aktuellen Print-Ausgabe des Börsenblatts. In unserem Extra Kultur stellen wir Buchtitel vor, die zu Ruhr 2010 erscheinen. Außerdem: Warum sich Kulturplattformen dem Communitygedanken öffnen müssen – und ein Blick nach Leipzig, in den neuen Kulturgenussladen des Kurt-Wolff-Archivs.