AWS-Jahrestagung

Strategien für den Handel 2.0

6. Mai 2010
von Börsenblatt
Fachbuchhandlungen gehörten zu den ersten, die sich auf das veränderte Kaufverhalten eingestellt haben. Sie eröffneten schon früh Dependancen im Internet, investierten in ihre Webshops, ins E-Procurement und in das Geschäft mit E-Content – und erkennen nun, dass Kundenbindung weit mehr erfordert als ein gutes Angebot und guten Service. Ein Bericht von der AWS-Jahrestagung.

„Wir haben uns lange auf die elektronischen Beschaffungsprozesse von Firmenkunden konzentriert“, meint etwa Barbara Mahlke von Boysen + Mauke (Schweitzer Fachinformationen). Die Strategie sei zwar aufgegangen, habe aber Schwachstellen. Mahlke: „Wir müssen neue Wege zu unseren Kunden finden, im Internet wie im Laden – und das gelingt nur durch Kommunikation.“ Sprich: durch Kontakte über soziale Netzwerke.

Dass dieses Thema derzeit allen gleichermaßen unter den Nägeln brennt, zeigte sich zu Wochenbeginn (3. bis 5. Mai) bei der diesjährigen Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Sortiments- und Fachbuchhandlungen (AWS) in Friedrichroda. 144 Mitarbeiter aus Verlagen und Buchhandlungen waren dabei – fast so viel wie im Rekordjahr 2009. Das Fachprogramm unter dem Motto „Online denken, lokal handeln“ hatte zwei Schwerpunkte. Der erste: virales Marketing im Web 2.0 – Social Media.

Fußgängerzonen des 21. Jahrhunderts

Multi-Channel-Effekte zwischen Online und Offline zu erreichen, wird für den Handel immer schwieriger. Eine Website mit Shopanbindung - das Non plus ultra der vergangenen Jahre - genügt nicht mehr: Das machte den Tagungsteilnehmern schon der erste Redner zum Thema klar. Wer künftig Bücher verkaufen wolle, komme kaum noch an den sozialen Netzwerken vorbei, sagte Jan Manz (wbpr Public Relations, München).

„Gehen Sie dahin, wo ihre Käufer sind“, riet er – und schwärmte von den „Fußgängerzonen“ des 21. Jahrhunderts. Auch mit wenig Geld ließe sich viel erreichen, meinte er. „Allerdings nur, wenn Sie ein paar Grundregeln beachten.“  Welche das sind, laut Manz: Keiner sollte Facebook, Twitter & Co. für reine Marketingzwecke nutzen. Plumpe Werbung sei tabu. „Menschen haben großes Interesse daran, sich auszutauschen und Wissen miteinander zu teilen“, betonte er. Nur Rezensionen zu posten und für den eigenen Laden zu trommeln, sei abwegig. Manz: „Verinnerlichen Sie das Konzept von Geben und Nehmen, suchen sie sich eigene Themen, schaffen Sie Mehrwerte, setzen Sie auf Interaktion – und bleiben Sie bei allem authentisch.“  

Manz sieht ein Meer von Chancen - aber durchaus auch Untiefen. Social Media zur Kundenkommunikation zu nutzen, sei kein Allheilmittel, mahnte er. Erfolg könnten Aktivitäten im Web 2.0 erst dann haben, wenn sie mit anderen Maßnahmen verzahnt würden.

Kunden finden? Kunden halten!

Wie solche Maßnahmen in der Praxis aussehen, beleuchteten Susanne Martin von der Schiller-Buchhandlung in Stuttgart-Vaihingen und Nathalie Pelz von O´Reilly in Köln. Beide sind längst dabei – sie twittern, bloggen, diskutieren bei Facebook. Die eine als Buchhändlerin, die andere als Mitarbeiterin eines IT-Verlags. Ihr gemeinsames Fazit: Social Media-Aktivitäten mögen aufwendig sein und sich nicht unmittelbar in mehr Umsatz niederschlagen, sind heute aber Pflicht. Martin, zum Beispiel: „Mir geht es gar nicht darum, neue Zielgruppen zu gewinnen - ich will meine Kunden halten.“  

Ein Tool, das in der Branche immer häufiger zum Einsatz kommt, ist book2look – mit der Software, die sich an Social-Network-Plattformen andocken lässt, können Bücher in allen Facetten und multimedial vorgestellt werden. book2look soll informieren – und verkaufen helfen. Gelingt das? „Ja“, meint  Rainer Rossipaul, Geschäftsführer von Rossipaul Kommunikation. Er ist Dienstleister in Sachen book2look und stellte das Tool in Friedrichroda vor. „Beim viralen Marketing ist es gar nicht so wichtig, wie hoch Ihr Etat ist“, so Rossipaul. „Die Idee entscheidet.“  

Reizthema E-Content

Zweiter Schwerpunkt der AWS-Tagung war ein Reizthema, das die Branche schon seit Monaten beschäftigt: das Geschäft mit digitalen Inhalten. Nach wie vor fragen sich viele Fachbuchhändler, wie sie sich daran beteiligen können. Die Tagung in Friedrichroda lieferte ihnen reichlich Impulse dafür, zeigte aber auch, dass es für letzte Antworten noch zu früh ist – weil der Markt noch am Anfang steht. Allerorten Bewegung herrscht, und das in unterschiedlichste Richtungen.

Vier Referenten aus vier verschiedenen Bereichen stellten ihre Strategien vor: Hans Huck vom Stuttgarter Barsortiment KNV, das wie berichtet gerade dabei ist, seine Aktivitäten unter dem neuen Dach KN digital zu bündeln; Tobias Schmid von der Osianderschen Buchhandlung, die nichts unversucht lässt, um ihr Angebot an E-Books Schritt für Schritt auszubauen („Künftig gibt es bei uns 50.000 E-Books aus einer Hand!“) - und Dagmar Laging, die als Vice President Sales bei Springer Science+Business Media aus eigener Erfahrung sehr genau weiß, wie rasant sich der Markt derzeit entwickelt; über Springer Link seien im vergangenen Jahr rund 6,4 Millionen E-Books heruntergeladen worden, zum Start im Jahr 2007 waren es etwa 2,5 Millionen.

Google macht mobil    

Dass Annabella Weisl von Google die Rolle zukam, den Schlusspunkt der Veranstaltung zu setzen, mag ein Zufall gewesen sein – und ließ doch keinen Zweifel daran: Wenn Google Editions startet, werden die Karten am Markt noch einmal völlig neu gemischt.

Manche Zuhörer verschränkten demonstrativ ihre Arme, als Weisl die Grundzüge der Google-Strategie nachzeichnete, andere schüttelten mit dem Kopf – gerade so, als wollten sie sich keinen Sand in die Augen streuen lassen. Einer, der hernach seinem Unmut darüber Luft machte, dass Google entgegen erster Ankündigungen jetzt doch auch selbst mit Inhalten handeln will, war DeGruyter-Chef Sven Fund. Der Verlag kooperiert seit Jahren mit Google bei der Buchsuche, zufrieden mit der Zusammenarbeit scheint Fund indessen nicht: „Ein Partner muss verlässlich sein - und Google ist das nicht.“