Meinung: Medienvielfalt

Friedliche Koexistenz

15. Juli 2010
von Börsenblatt
Das E-Book wird das gedruckte Buch nicht ablösen. Beide werden gebraucht – und genutzt. Sagt Markus Klose, Marketinggeschäftsführer bei Hoffmann und Campe.
Das Buch ist ein perfektes Produkt. Jahrhundertelang hatte der Mensch Zeit und Muße, um aus gemeißelten Steinplatten Bücher werden zu lassen. Und der Mensch hat das gut gemacht. Das Buch ist schnell und preiswert herstellbar, günstig zu verpacken und zu verschicken. Es sieht attraktiv aus und ist auch ohne große Anleitungen leicht benutzbar. Bücher lassen sich sammeln und schmücken das Heim, man kann sie aber auch bestens recyceln oder weiterverschenken.

 

Vor allem aber hat das Buch  einen großen Vorteil: Es ist Content und Ausgabegerät in einem. Wer Musik hört, einen Film sieht, Kartoffeln isst: Immer bedarf es eines weiteren Gegenstands, um zum Genuss zu kommen (Grammofon, Kinoleinwand, Topf). Das Buch aber wird aufgeschlagen und funktioniert unmittelbar.
Wie anders ist das in der digitalen Welt, in der neuen Umständlichkeit. Zuerst einen Account anlegen, bei wem auch immer, im Zweifel gleich bei mehreren Anbietern. Dann stöbert man per Suchmaschine durch eine Unmenge von Titeln, lädt per UMTS oder WLAN seinen Text auf seine Maschine. Anschließend wird der E-Book-Reader via USB-Kabel mit dem neu gekauften Buch befüllt. Und »schon« kann man beginnen zu lesen. Das Display spiegelt, die Seiten wechseln zu langsam, es liegt sperrig in den Händen, Strandsand gerät in die Scharniere, einmal liegen lassen in der S-Bahn und ein paar Hundert Euro sind weg …

Einerseits. Andererseits: Bücher sind echt »old school«. Bei der Herstellung werden klimarettende Bäume gefällt. Beim Transport wird Rohöl verbraucht, die Luft verpestet. Schließlich stehen sie in den Regalen der Buchhändler, Tausende, unüberschaubar. Kunden irren hilflos durch die Läden, am Info-Point finden sie keine Beratung. Die vielen farbigen Cover verwirren sie eher, statt Orientierung zu geben. Schließlich entscheiden sie sich für die gestapelten Titel aus einer der diversen Bestsellerlisten. Oder für »Das Buch des Monats«. Oder für »Die TV-Empfehlung«. Oder für ...

Wie anders in der digitalen Welt: ein Klick beim Internethändler des Vertrauens, 20 Sekunden später ist der Text mit vielen anderen im coolen Pad oder Pod, egal, ob auf dem Sofa, im Zug, auf der Bergwiese oder am Gate: Die Bücher sind immer dabei und stehen gewichtsarm zur Verfügung. Sie merken sich selbst, wo man beim letzten Mal aufgehört hat. Man kann die Schriftgröße verändern; schwächelt also die Augenkraft, gibt es Großdruck ohne Seniorenzuschlag. Statt dröger Schwarz-Weiß-Bilder gibt es passend zum Inhalt Videos, man hört einem Vorleser zu, wenn man selbst nicht lesen will, und Links verweisen auf andere interessante Inhalte im www.

Die Wahrheit liegt, wie so oft, in der Mitte. Es wird eine friedliche Koexistenz geben, von Büchern und Readern, von Schutzumschlägen und Apps, von .com und Büchereck am Rathaus, von KNV und Textu­nes, von Ikea-»Billy« und iBook-Store, von lovelybooks.de und buchhändlerischer Empfehlung. In Zukunft verfügen wir einfach über mehr Möglichkeiten, Texte zu den Lesern zu transportieren. Alles wird flexibler. Je nach Situation wird sich mal das Buch, dann das Hörbuch, schließlich das E-Book als beste Form anbieten. Bücher verlieren in der virtuellen Welt keine Relevanz. Im Gegenteil. Unsere Branche kann sich freuen. Wir werden noch vielfältiger. Das ist spannend, aber nicht beängstigend. Wichtig, aber nicht alles überstrahlend. Anstrengend, aber nicht aufreibend. Es ist eine Chance.