Nachruf

Zum Tod von Christine Dombrowsky

21. Juli 2010
von Börsenblatt
Christine Dombrowsky, gelernte Buchhändlerin und ihr Leben lang für das Medium tätg, ist am 20. Juli im Alter von 59 Jahren in München gestorben. Ein Nachruf ihres Bruders, Ulrich Dombrowsky, Buchhändler in Regensburg:

Hatte sie das Erdgeschosszimmer im Münchner Hospiz in der Effnerstraße absichtlich einem Zimmer mit Ausblick zum schönen Garten vorgezogen, weil sie bis zuletzt vom Verkehrslärm ihrer Wahlheimatstadt begleitet sein wollte?

Sie, die in den 60er Jahren erbost, entsetzt, ja wütend erstmals die Bilder der ausgemergelten Überlebenden der Lager gesehen und jahrelang ihre Eltern mit quälenden Fragen nach deren Mitschuld gelöchert hatte, war nun durch ihre Krankheit und die damit zusammenhängende Unfähigkeit, ihrem Körper ausreichend Nahrung zuzuführen zum Schluss selbst auf 35 Kilo abgemagert. Christine Dombrowsky ist am Dienstagmorgen, dem 20. Juli gestorben.

Wie eine Besessene arbeitete sie, solange sie konnte, zuhause am "Archiv 451", in dem sie in ihren privaten Räumen Dokumente, Originaltexte, Schriftwechsel, Flugblätter und Plakate der 68er Studenten- und Lehrlingsbewegung sammelte und archivierte. Kernstücke des Archivs sind Produktion, Autorenverträge und -korrespondenz, sowie das Pressematerial des Trikont- (später Dianus-Trikont)-Verlages, München. Die gelernte Buchhändlerin (Seitz, Augsburg) wechselte nach ihrer Lehre genau zu der Zeit zu dem kleinen Münchner Verlag, als der in eine extrem politische Phase eintrat: Straßenkampf, Guerilla, Dritte-Welt-Thematik, Bommi Baumann, Che Guevara und Ton-Steine Scherben. Eine aufregende und zunehmend riskante Arbeit, denn nicht nur der Verlag sondern auch die Mitarbeiter mussten jederzeit mit Polizei-Razzien rechnen. Diese Jahre haben sie so geprägt, dass sie mit der Zeit und über die Jahre, in denen sie anderen Tätigkeiten nachging (Basis-Buchhandlung, Nymphenburger-Verlagsanstalt, Deutsches Bucharchiv u.a.) die Bedeutung, die das Trikont-Archiv für sie hatte, in konkrete Archivarbeit umsetzte. Und obwohl es eine Archivgruppe gab und gibt, war es überwiegend ihre Arbeit und ihr "Kind". Glücklicherweise konnte sie noch rechtzeitig mit dem "Archiv der Münchner Arbeiterbewegung" eine Übernahme des Archivs, das u.a. auch die gesamten Jahrgänge einer der wichtigsten deutschen Stadtzeitungen der damaligen Zeit, dem Münchner "Blatt" enthält, vereinbaren.

Ob die eigentliche Arbeit am Archiv 451 (siehe "Fahrenheit 451" von Ray Bradbury) weitergeführt werden kann, vermag Günther Gerstenberg derzeit noch nicht sagen. Wie so oft hängt das von der finanziellen Ausstattung "seines" Archivs ab. Wer Christine Dombrowsky kannte, und ihre Arbeit an einem der wichtigsten Archive, die die Bewegung der 60er und 70er Jahre dokumentiert, schätzte, weiß jetzt, wie er das Fortbestehen des Archivs und eine Weiterführung ihrer Arbeit unterstützen kann.