Debatte

Liebe Buchhändler

6. Oktober 2010
von Börsenblatt
"Der liebevolle Enthusiasmus von Buchhändlern für ein Bilderbuch wirkt in der trockenen Messeluft wie RedBull und verleiht Flügel." Elisabeth Ruge, Berlin Verlag.
Die Frankfurter Buchmesse ist ein Härtetest. Kaum jemand besteht ihn ohne den Beistand von Augentropfen und Emser Salz, viel Vitamin C sowie ab und zu Alka-Seltzer. Eine Woche lang leben wir in einem zwischen Überklimatisierung und Scheinwerferhitze schwankenden Parallelkosmos, in dem viel gestanden, gelaufen und unglaublich viel gesprochen wird. Jeder entwickelt seine eigene Überlebensstrategie – ich habe mich für die Hingabe an den Ausnahmezustand entschieden. Ich lege am Stand einfach meine Brille beiseite und überlasse mich dem Terminkalender und den Gesetzen der freien Diffusion.
Alles auf der Messe steht den Bedingungen für das, was man »ein gutes Gespräch« nennt, ostentativ entgegen – der Zeitdruck, der Lärmpegel, die wenig intime Atmosphäre. Und doch gibt es gerade hier immer wieder intensive, interessante, ja beglückende Gespräche. Besonders auch im Austausch mit Ihnen, den Buchhändlern, ohne deren Neugier und Begeisterungs­fähigkeit, Idealismus und praktischen Verstand kein Verlag existieren könnte. Der liebevolle Enthusiasmus, den Sie einem gelungenen Bilderbuch entgegenbringen, wirkt in der trockenen Messeluft wie RedBull und verleiht Flügel …
Und nicht selten erhalten wir beim Plaudern von Ihnen entscheidende operative Impulse, zu Gestaltung und Auslieferung, auch mal zum Ladenpreis (vor allem immer wieder den Hinweis, die Bücher teurer zu machen – da sollten wir Verleger mal mutiger sein), manchmal die Bitte, einen vergriffenen Lieblingstitel wiederzubeleben, eingeworfene Leseentdeckungen bei der Konkurrenz (da kann man sich dann gut was abgucken …).
So haben Gabriele Hoffmann (Leanders Leseladen) oder Katrin Maschke (Waldmann) sich oft schon im Messetrubel einen Rohumbruch an die Nase gepresst (Platzmangel) und dann die entscheidende Marketingidee geliefert. Anton Neugirg (Pustet) hat uns dringend ans Herz gelegt, William Boyds »Ruhelos« nicht erst im März auszuliefern, sondern gleich Anfang Januar – das Buch stieg schon nach zwei Wochen in der Bestsellerliste hoch ein. Die Idee zur Leinenflexausgabe von Khaled Hosseinis »Tausend strahlende Sonnen« entstand während eines anregenden Messegesprächs über Geschenkausgaben mit Viola Taube (Taube) – bereits drei Wochen später war sie erschienen, bis Weihnachten hatten wir 60 000 Exemplare verkauft. Die originellsten Autorenveranstaltungen sind gleichsam zufällig in chaotisch-heiteren Gesprächen mit dem Ehepaar Riethmüller (Ravensbuch) entstanden, inmitten der tosenden Menge, Sitzgelegenheiten sind an unserem Stand oftmals rar. Und Franziska Bickel (Vogel) ist immer gut für die spontane konstruktive Umschlagskritik.
Ganz besonders sind allerdings die letzten zwei, drei Messestunden. Kurz bevor der Abschlussgong ertönt und alle erschöpften, fröhlichen Aussteller sich zum Abschied applaudieren, finden die womöglich schönsten Gespräche ganz spontan statt, beginnen manchmal schüchtern, entwickeln sich oft zum kleinen, lebhaften Disput – und zwar mit jenen Menschen, die uns Verlegern und Buchhändlern am wichtigsten sein müssen: mit dem »gewöhnlichen Leser«, wie Virginia Woolf diese robuste Spezies lakonisch und doch respektvoll genannt hat.

Elisabeth Ruge, Berlin Verlag