Kinder- und Jugendbuchstudie 2010

Renate Reichstein: "Wir dürfen das Kinderbuch nicht vernachlässigen"

11. November 2010
von Börsenblatt
Was treibt Käufer und Leser – und was erwarten sie heute vom gedruckten Buch? Die Neuauflage der Kinder- und Jugendbuchstudie der 
Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen (avj) und des Börsenvereins zeigt es. boersenblatt.net sprach mit Renate Reichstein, stellvertretende avj-Vorsitzende und Lizenzchefin der Verlagsgruppe Oetinger, über die Ergebnisse.

Aus welchen Erkenntnissen der Studie können die Jugendbuchverlage den meisten Nutzen ziehen?
Reichstein: Aus den Einblicken in die Lebenswelten der Käufer und jugendlichen Selbstkäufer. Wir werden uns künftig vielleicht noch mehr Gedanken über die Gestaltung der Bücher machen müssen.

Schielen Verlage aus Ihrer Sicht zu sehr auf All Age-Titel?

Reichstein: Das ist der Umsatzbringer schlechthin, die weibliche Käuferzielgruppe ist vergleichsweise riesig und das Kundenbindungspotential enorm. Die Fokussierung auf diese Titel verstellt aber auch den Blick. Wir dürfen als Verlage jetzt vor allen Dingen nicht das Kinderbuch vernachlässigen, sonst verlieren wir möglicherweise unsere künftigen Zielgruppen an andere Medien.

Die erzählende Literatur hat Aufwind, das Sachbuch geht zurück. Warum?
Reichstein: Nach der Pisa-Studie haben sich alle auf Wissensvermittlung gestürzt. Nun kommt möglicherweise die Gegenbewegung – in relativ kleinen Schritten. Zwei bis drei Prozent weniger Umsatz in diesem Segment sind aus meiner Sicht nicht viel.

Hat das Kindersachbuch noch Chancen?
Reichstein: Bei der jüngeren Zielgruppe – also bei Papp- und Bilderbüchern bis zum Anfang der Grundschule – denke ich schon: Das Segment hat seit 2006 um fünf Prozent zugelegt. Sobald aber das Internet zum Alltag eines Kindes gehört, wird das Wissen von dort geholt.

Und wann werden E-Books eine Rolle spielen?
Reichstein: Schwer zu sagen, aber hier tut sich was. Drei Prozent der Zehn- bis Zwölfjährigen und zwei Prozent der 13- bis 14-Jährigen kaufen per Download, während die 15- bis 19-Jährigen noch keine Bücher herunterladen. Da wächst den E-Books eine Käuferschicht zu. Wenn das so bleibt, dann wird der E-Book-Markt in der nächsten Zeit spürbar wachsen. Verlage sollten sich schon jetzt sehr aktiv dieser Angebotsform zuwenden.

Wie werden die Verlage auf den Hinweis "Mehr Themen für Jungs" reagieren?
Reichstein: Es gibt sie ja, wie "Gregs Tagebuch" oder "Coolman" zeigen. Aber es gibt ein strukturelles Problem: die fast ausschließlich weiblichen Vermittler; oftmals fehlen die männlichen, lesenden Vorbilder zu Hause. Verlage werden sich auch weiterhin um "Bücher für Jungs" kümmern, selbst wenn die Verkäufe nur selten sensationell sind – leider. Was noch fehlt, ist der "Bis(s)"-Titel für die männliche Zielgruppe.