Titel-Verteidiger: Kolumne auf boersenblatt.net

Zwei Buchtitel. Ein Vergleich

10. Dezember 2010
von Börsenblatt
Auch wenn manche Texte für das Medium selbst zu groß erscheinen, für die Verlage gilt es, das Werk von Literaturnobelpreisträgern ebenso zu verpacken, wie andere Texte auch. Nun, wie gelingt dies in Deutschland?
Bis zum vorigen Jahr galt, dass der hiesige zuletzt prämierte und gefühlte deutsche Haupt-Autor, die Umschläge seiner Bücher überwiegend selbst gestaltet. Dabei schien es so, als bedürften Grass’ moralisierende Worte – draussen in der rauen Welt – des Schutzes ihrer visuellen Geschwister. Mit Erfolg! Die derart sicher transportierten Gedanken Grass’ beherrschten jahrzehntelang – in Grass’ Augen oft genug als einziges Zeichen intellektueller Diversität – deutsche Buchregale, allemannische Feuilletons und germanische Gehirne. Für diese Leistung konnte es zweifellos nichts größeres geben als diesen Preis.

Dank geht nun an das Nobelpreiskomitee, das mit der letztjährigen Vergabe des Preises an Herta Müller, die Unterscheidungsnotwendigkeit zwischen literarischer Einfalt und echter Mannigfaltigkeit befeuert hat – mit Auswirkungen endlich auch auf die gestalterische Vielfalt.

Diese findet sich ohne Frage auf den verschiedenen Umschlägen des umfassenden Müllerschen Werkes. Ein Grund mehr, zum Jahrestag der Preisverleihung, statt der ausgezeichneten Qualität der Texte, einmal die gestalterische Qualität ausgewählter Titel zu reflektieren.

"Heute wär ich mir lieber nicht begegnet" erscheint erstmals 1997 bei Rowohlt. Unmittelbar nach Bekanntgabe der Preisträgerschaft der Autorin, wird das Buch 2009 bei Hanser, mittlerweile Mülllers Hausverlag, wiederaufgelegt.

Es ist die beklemmende Geschichte einer zum wiederholten Verhör geladenen jungen Frau im Rumänien Ceauçescus. Während der einstündigen Straßenbahnfahrt zum Ort des Verhörs, erzählt sie uns ihre Geschichte. Der Leser ahnt schließlich, dass sie den Weg diesmal nicht zurückfahren wird.

Wie alle Romane Herta Müllers ist auch "Heute wär ich mir lieber nicht begegnet" in der ihr eigenen nüchternen Sprache verfasst, einer Sprache wie ein Gerüst für die Poesie unfassbarer Bilder.

Müllers Poesie hat in München eine ihr angemessene Heimat gefunden. Der Carl Hanser Verlag ist einer der ernstzunehmenden Publikationsorte Deutschlands. Das verlegerische Niveau des Traditionshauses spiegelt sich auch in der Qualität  seiner Umschlaggestaltung, die in einer der selten gewordenen verlagseigenen Grafikabteilungen entsteht. Die visuelle Konsistenz in der Buchgestaltung wird bei Hanser hauptsächlich durch die bewusste Verknappung der typografischen Mittel erreicht: lediglich zwei Schriftarten kommen zum Einsatz – bei den Büchern Herta Müllers wie "Heute wär ich mir lieber nicht begegnet" sogar jeweils nur eine davon. Die serifenlose Antiqua "Corporate", von Kurt Weidemann einst für Mercedes Benz entwickelt, wird hier großzügig über das Motiv gesetzt. Das klare Wort bildet das Gegengewicht zum Gefühl, ausgelöst allein vom Motiv: eine junge Frau, in sich gekehrt, schaut versunken aus einem Bahnfenster. Das Abteil, der Fenstervorhang, sogar der verblichene Stoff ihrer Bluse zeugen von Vergangenem – ein Look der heute gern mit allem "Osteuropäischem" assoziiert wird.

Um die textliche Schwere schon mal anzudeuten und somit auch die Verwechselungsgefahr mit der üblicherweise ähnlich illustrierten "leichten" Unterhaltungsliteratur zu minimieren, wurde das stimmungsvolle Motiv noch ergänzt – um eine unscharfe Andeutung sozialistisch geprägter Strassentristesse.

Die Gestaltung dieses Titels ist vor allem eines, gedanklich nachvollziehbar. Die Motivaussage ist sauber gelenkt, adrett angeordnet, die Typografie akkurat gesetzt. Anders: Diese Umschlaggestaltung ist brav, verkopft und gänzlich undramatisch. Nicht notwendig? Denn der Verweis auf den Nobelpreis gilt in Deutschland bereits als Verkaufsgarantie?

Ganz anders in der Heimat von Alfred Nobel. Die schwedische Lizenzausgabe "Idag hade jag helst inte velat träffa mig själv" ist gänzlich unübersehbar. Visuelle Drastik erschafft hier beklemmende Dramatik: Die mit polizeilicher Gewalt assoziierten Fingerabdrücke entwickeln ein Eigenleben, sie sind bald hier, bald dort, nebeneinander, übereinander, überall und schließlich – unkenntlich. Das Ganze erscheint als ebenso sachlich formale, gleichzeitig drastische Übersetzung der in Müllers Werk zentralen Gewaltthematik, genauer: eine Interpretation des gezielt herbeigeführten Verlusts von Identität als Machtmittel im Vorwende-Rumänien.

Die sperrige Typografie, durchaus leseunfreundlich gesetzt, befriedet die aufwühlende Ordnung der visuellen Elemente keineswegs. Diese Ausgabe ist gestalterisch deutlich fordernder als ihre deutsche Entsprechung, sie will unbedingt wahrgenommen, gekauft und gelesen werden.

Wer nun annimmt, dass es für Literaturnobelpreisträger eine gewisse Publikationspflicht gibt, dass dies im Land der Preisvergabe ohnehin der Fall ist, wer glaubt, dass damit schließlich auch eine, dem Anlass geschuldete, besondere gestalterische Freiheit gestattet ist, irrt hier: "Idag hade jag helst inte velat träffa mig själv" erschien in dieser Ausstattung erstmals 2007, zwei Jahre später erneut, lediglich um einen Störer ergänzt.

Betrachtet man die gesamte Reihe von Wahlström & Widstrand, wird erkennbar, sämtliche Cover der Romane Herta Müllers besitzen jene mutige gestalterische Kraft, die ihren Texten so sehr gerecht wird. Eine Feststellung, die auch deshalb hervorzuheben ist, weil der schwedische Buchmarkt, verglichen mit dem deutschen, zehnmal kleiner ist – ergo die Erfolgsaussichten einer Veröffentlichung eines nicht-schwedischen Autors, rein rechnerisch noch wesentlich geringer sind als hierzulande.

In Schweden erfuhr das Werk Herta Müllers gleich zweifache Auszeichnung, 2009 durch das Komitee mit seiner Preisentscheidung, bereits zwei Jahre zuvor durch die gestalterische Wertschätzung inhaltlicher Größe von Seiten eines kleinen skandinavischen Verlags, der damit eine verlegerische Überzeugung demonstriert, die der große Hanser Verlag zwar ebenso für sich in Anspruch nimmt, aber so zaghaft visualisiert, dass sie an Bedeutungslosigkeit grenzt. Die Bücher einer Literaturnobelpreisträgerin haben Angemesseneres verdient.

 

Robert Schumann, Susanne Jung, Buchgestalter in Berlin