Handbibliothek

Verleger, Buchhändler & Antiquare in der Emigration

10. Februar 2011
von Börsenblatt
Eine für den deutschsprachigen Buchhandel und die internationale Exilforschung herausragend wichtige Publikation: ein von dem Mainzer Buchwissenschaftler Ernst Fischer bearbeitetes biografisches Handbuch verzeichnet über 800 Verleger, Buchhändler & Antiquare aus Deutschland und Österreich in der Emigration nach 1933.

Die nationalsozialistische "Machtergreifung" 1933 bedeutete für das Verlagswesen, den Buchhandel und die gesamte deutsche Buchkultur einen tiefen, zerstörerischen Einschnitt. Die vom totalitären Regime betriebene "Ausschaltung" aller oppositionellen und als "undeutsch" gebrandmarkten "jüdischen Elemente" aus den Kulturberufen führte zur Schließung oder "Arisierung" zahlreicher Unternehmen und zur Vertreibung ihrer Inhaber und Mitarbeiter – ein Vorgang, der sich nach der Annexion Österreichs 1938 wiederholte. Es waren viele hundert, die ihren Beruf als Verleger, Buchhändler und Antiquare nicht mehr ausüben konnten und zur Flucht ins Ausland gezwungen waren. In England oder Palästina, in den Niederlanden oder in Skandinavien, in den USA oder Südamerika versuchten sie, Asyl zu finden und eine neue berufliche Existenz aufzubauen. Manche sind daran gescheitert, viele von ihnen aber haben sich neu etablieren können und nachfolgend in ihrer neuen Heimat oder sogar im internationalen Buchwesen eine bemerkenswerte Rolle gespielt.

Rekonstruktion der Flucht- und Lebenswege

Obwohl dieser Vorgang wohl das weltweit einschneidendste und folgenschwerste Ereignis in der Buchhandelsgeschichte des 20. Jahrhunderts darstellt, hat es lange Zeit keinen Versuch gegeben, den Schicksalen der vertriebenen Verleger, Buchhändler und Antiquare systematisch nachzugehen.

Ernst Fischer hat, nach seiner Berufung zum Mitherausgeber von Band 3 "Drittes Reich und Exil" der von der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels initiierten "Geschichte des deutsche Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert", die Notwendigkeit einer solchen personenbezogenen Forschung erkannt und bereits in den 1990er Jahren die ersten Initiativen gesetzt. Dazu gehörten Interviewreisen nach Israel, USA, Großbritannien und die Niederlande – die Auskünfte der letzten Zeitzeugen, unter ihnen Walter Zadek, Bernd H. Breslauer oder Albi Rosenthal, hatten oberste Priorität. Daran schlossen sich viele Jahre des konsequenten Sammelns von Daten und Fakten an, denn die vorhandenen Exilhandbücher und biografischen Nachschlagewerke erfassten nur einen kleinen Ausschnitt der betroffenen Gruppe. Die Rekonstruktion der Flucht- und Lebenswege konnte nun aber, nach Auswertung des akkumulierten Materials, zum Abschluss gebracht werden.

Entstanden ist eine biografische Dokumentation, die über 800 Artikel umfasst und, ausgestattet mit einem Nachwort und Registern, in sorgfältiger typografischer Gestaltung den aus Deutschland und Österreich vertriebenen Verlegern, Buchhändlern und Antiquaren ein Denkmal setzt. Die Lebensläufe vermitteln in ihrer Vielfalt und Dramatik ein lebendiges Bild der Verwerfungen in der Buchhandelsgeschichte des 20. Jahrhunderts, aber auch davon, was diese Emigrantengruppe nach 1945, bis in die Gegenwart nachwirkend, für den Kulturtransfer und die internationalen Verflechtungen in der Welt des Buches geleistet hat.

Ernst Fischer lehrt als Professor Buchwissenschaft an der Universität Mainz. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt neben der Geschichte des Antiquariatsbuchhandels und der Bibliophilie insbesondere der Buchhandel in der Weimarer Republik und im deutschsprachigen Exil 1933 bis 1945.

Ernst Fischer: Verleger, Buchhändler & Antiquare aus Deutschland und Österreich in der Emigration nach 1933. Ein biographisches Handbuch. Elbingen: Verband Deutscher Antiquare e. V., 2011. 431 S., ISBN 978-3-9812223-2-6, 68 Euro (Bestelladresse: Verband Deutscher Antiquare e. V., Norbert Munsch, Seeblick 1, 56459 Elbingen, Tel. / Fax 06435/909147, buch@antiquare.de)

Eine ausführliche Besprechung in der Zeitschrift "Aus dem Antiquariat" folgt.