Die Sonntagsfrage

Was muss ein Lesekünstler können, Herr Gemmel?

27. Februar 2011
von Börsenblatt
Stefan Gemmel ist Lesekünstler des Jahres 2011. Der Kinderbuchautor liest auch schon mal in einer Turnhalle vor 200 Kindern, 250 Termine im Jahr absolviert er spielend. Wie er mit kleinen Störern umgeht, was die Kids von ihm wissen wollen und wie seine Entertainer-Qualitäten mit der eher stillen Schriftstellerei zusammenpassen, erklärt Stefan Gemmel in der Sonntagsfrage.

Vom Umgang mit kleinen Störern

Wenn es gelingt, den Funken überspringen zu lassen, wenn ich meine Begeisterung an der Literatur regelrecht ausstrahle, dann überträgt sich das schnell auf die Kinder und man wird während der Veranstaltung eins. Klar, Kinder, die partout nicht stillsitzen können, gibt es immer. Manchmal reicht schon ein kleines Nicken in die Ecke, in der solche Kinder sitzen oder ein kurzer Pfiff. Ansonsten spreche ich die Kinder direkt an und schlage ihnen ein Abkommen vor: Ich werde dafür sorgen, dass sie nicht die ganze Zeit sitzen müssen, wenn sie dafür sorgen, dass ich mein Lesen nicht mehr unterbrechen muss. Wir besiegeln das dann mit Handschlag (oder manchmal auch mit Handschlägen) und meistens reicht das auch aus. Zwischen den Lesungen sorge ich ohnehin für Bewegungspausen. Bei älteren Kids reicht es, sich auszustrecken, bei jüngeren machen wir Phantasiewanderungen an die Handlungsorte oder steigen in ein imaginäres Flugzeug, um die Szenerie von oben zu betrachten. In Rollenspielen zeige ich gerne den Entstehungs-Weg eines Buches auf und suche mir als Protagonisten die Kids heraus, die vorher in den Lesungen Probleme hatten, still zu sitzen.

Der schnöde Mammon

Die häufigste Frage von Kindern, die nicht so gern lesen, ist exakt die Frage, die mir auch die meisten Erwachsenen stellen: „Was verdienst du in deinem Beruf?“ Kinder, die selbst gern lesen – vielleicht sogar selbst schreiben – kommen hingegen mit ganz anderen Fragen: „Wie schaffst du es, eine Geschichte so zu schreiben, dass du nicht nach einigen Seiten schon die Lust verlierst?“ Oder: „Was kann ich mit meiner geschriebenen Geschichte anfangen?“ Oder: „Woher kommen deine Ideen und wie erstellst du Geschichten daraus?“ Und ganz häufig bekomme ich folgende Frage gestellt – wiederum von Groß und Klein gleichermaßen: „Warum hast eigentlich nicht DU den Harry Potter geschrieben?“

Zwei Seelen, ach, in meiner Brust

Den Entertainer gebe ich ausschließlich auf der Bühne. Ich liebe es, aufzutreten und all meine Energie auf Bühne und Publikum zu übertragen. Doch beim Schreibprozess bin ich ein ganz anderer Mensch. Mit sehr viel Ruhe (die mir die meisten meiner Leser, die mich auf der Bühne haben herumspringen sehen, niemals zutrauen würden) erarbeite ich mir meine Stoffe, entwerfe die Figuren und feile unerbittlich an einzelnen Sätzen. Handlungsstränge werden wieder und wieder durchdacht, umgestellt, neu durchdacht, wieder neu formuliert. Und so wohnen zwei Seelen, ach, in meiner Brust. Doch da die beiden sich prima ergänzen und keiner dem anderen was neidet, klappt diese „Autoren-WG“ in meinem Inneren ganz hervorragend.

 

Der Autor: 

Stefan Gemmel wurde 1970 geboren und leitet neben seiner Tätigkeit als Autor Literaturprojekte und Schreibwerkstätten. Er hat bislang 26 Bücher veröffentlicht und war viele Jahre aktives Vorstandsmitglied im Verband Deutscher Schriftsteller. 2007 wurde Gemmel für seine lesefördernden Veranstaltungen mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

 

Der Preis: 

Mit der Auszeichnung Lesekünstler, die in diesem Jahr zum dritten Mal verliehen wird, kürt die Arbeitsgemeinschaft Leseförderung des Sortimenter-Ausschusses im Börsenverein den besten Vorleser unter den Kinder- und Jugendbuch-Autoren.