Die Sonntagsfrage, live aus Leipzig

Sind Schulbibliotheken von gestern?

20. März 2011
von Börsenblatt
Langweilige Regale der Marke 08/15, ein paar Stühle, das wars: Die Bibliotheken in deutschen Schulen machen alles, aber kaum Lust aufs Lesen und Lernen. Zwei Professoren von der HTWK Leipzig, Andrea Nikolaizig (Bibliotheks- und Informationswissenschaft) und Ronald Scherzer-Heidenberger (Architektur), wollen jetzt dagegen angehen. Für die Leipziger Buchmesse entwickelten sie einen eigenen Stand – eine Art Prototyp der Schulbibliothek von morgen. Was sich aus ihrer Sicht ändern muss?

Nikolaizig: Eine ganze Menge.Es gibt an zu wenigen Schulen Bibliotheken als selbstverständliche Orte, die den Schulalltag vielfältig unterstützen. Noch zu oft fristen sie als Bücherkammern ihr Dasein.

Dabei kann Schulbibliothek viel mehr: Sie ist der multimediale Lernort zur Unterstützung von Fachunterricht, sie ist der Ort für selbstständiges Lernen in der Gruppe oder allein. Sie kann Rückzugsort in den Pausen sein oder Veranstaltungs- und Kommunikationsort, sie ist der Chilloutbereich und das Internetcafè.

Und was Atmosphäre und Gestalt betrifft: Da gleichen sie leider in aller Regel der allgegenwärtigen Vorstellung von Bibliothek, die Einrichter und Ämter haben - Regale und Stühle. Damit ähneln sie Klassenzimmern, motivieren wenig, Freude am Arbeiten in der Bibliothek zu haben.

Scherzer-Heidenberger: Eine Schulbibliothek sollte so gestaltet sein, dass Kinder und Jugendliche sie ohne Schwellenangst als ihren Raum annehmen können. Mit unserem Stand auf der Leipziger Buchmesse wollen wir dies mit einem Beispiel demonstrieren.

Zunächst zeigen wir, was der Ort Schulbibliothek kann: Das Programm am Stand präsentiert alle eben genannten vielfältigen Funktionen. Die Standfigur und alle Funktionselemente sind aus der Erlebniswelt Jugendlicher entlehnt, der BMX- und Skaterkultur. Und wie wir sehen konnten, geht unser Konzept auf.

Kinder und Jugendliche haben "Die Schulbibliothek" ohne Vorbehalte in Besitz genommen: Sie nehmen freiwillig und staunend an den Schauunterrichtsstunden teil, sie liegen lesend auf den Tables oder finden sich zum Schwatzen in der Gruppe, sitzen im Sessel und hören Musik, stöbern am Computer und in den Bücherregalen.

Nikolaizig: Das alles mit absoluter Selbstverständlichkeit. Sie stellen nicht die Fragen der erwachsenen Besucher: Geht das denn, eine Mini-Pipe und eine Bibliothek?

Scherzer-Heidenberger: Natürlich hat sich in diesem Punkt längst vieles bewegt. Es gibt eine Reihe von Kinder- und Jugendbibliotheken, die mit ihrer Einrichtung den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen folgen - nur in den Schulen noch zu wenige. Unser Messeprojekt verfolgt zwei Ziele. Zum einen wollen wir für die Notwendigkeit von Schulbibliotheken sensibilisieren - und zum anderen mit den traditionellen Sehschablonen brechen. Wir werfen hier einen Stein ins Wasser und werden sehen, wie weit die Wellen reichen.

Nikolaizig: Wir wünschen uns, dass Schulbibliotheken ganz selbstverständlich wie die Mensa oder die Turnhalle zum Lernalltag werden. Dass Lehrer und Eltern verstehen, welches Potential die Schulbibliothek im Lernprozess bietet. Dass Schulbibliothekare Dienstleiter sind, die Schülern und Lehrern zeigen können, wie man gesicherte Informationen bekommt, wofür man sie braucht und wie man sie zitiert.

Das sind alles Kompetenzen, die man in der Wissensgesellschaft benötigt, für den Beruf, die Weiterbildung und die gesellschaftliche Teilhabe. Das Projekt  "Schulbibliothek" werden wir nach der Buchmesse auf jeden Fall fortsetzen. Ideen und Details besprechen wir im nächsten Semester - mit unseren Studenten.


"Die Schulbibliothek" ist ein Gemeinschaftsprojekt von Studierenden der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig - und bündelt das Know-how zweier sehr unterschiedlicher Fächer: der  Bibliotheks- und Informationswissenschaft und der Architektur. Initiiert und begleitet haben das Projekt die Professoren Andrea Nikolaizig (Bibliotheks- und Informationswissenschaft) und Ronald Scherzer-Heidenberger (Architektur).