Backlist

Vergriffen!

31. März 2011
von Börsenblatt
Abgelehnte Manuskripte, sadistische Kritiken – das ist nichts gegen die Schmach, wenn ein Buch nicht mehr lieferbar ist. Von Joseph von Westphalen.

Die empfindsamen Gemütszustände unserer Poeten sind allgemein bekannt. Denn über nichts schreiben die Literatenseelchen lieber als über ihre Schreib­krisen, ihre Blockaden, über das Ringen mit dem Stoff oder der Kritik, über ihr eigenes Verkanntsein. Das Thema liegt auf der Hand, man muss nicht groß recherchieren.
Nicht selten handeln daher Romane von nichts anderem als vom schweren Los, ein Stück Literatur zu schreiben. Erlauchte Autoren wie Hofmannsthal (»Brief des Lord Chandos«) und Handke (»Die Hornissen«) haben uns mit ihren pubertären schöpferischen Skrupeln und ihren Zweifeln an der Sprache behelligt.
Ein großer Stilist wie Kafka hatte bekanntlich einige Zweifel, was die Existenzberechtigung seiner literarischen Arbeiten betrifft, aber er wäre nie auf die geschmacklose Idee gekommen, diese Zweifel mit in seine Geschichten hineinzuschreiben und damit die Mär vom gequälten Schöpfer weiter zu verbreiten.

Trotz der vielen Zeugnisse schriftstellerischen Haderns gibt es keinen Roman, der »Die Backlist« heißt. Dabei klingt der Titel angenehm unsentimental. Ich melde ihn hiermit an. Muss vorher noch rasch zwei andere Romane schreiben, dann mache ich mich daran, das Elend der Vergriffenheit möglichst ergreifend darzustellen. Dies literarische Leiden nämlich ist keine hysterische Einbildung, sondern grausame Wirklichkeit. Jeder Autor hat damit seine Erfahrungen. Die peinliche Botschaft kommt oft nicht vom Verlag, sondern von Freunden. Sie bitten um das Exemplar eines älteren Romans. Sie hätten ihn gern gekauft – aber er ist nicht mehr lieferbar.

Nicht mehr lieferbar! Wie das schmerzt! Obwohl man die Existenz dieses eigenen Buchs schon fast vergessen hatte, empfindet man sein lautloses Verschwinden vom Markt als demütigenden Verlust. Es lebt nicht mehr. Ein routinierter Autor fragt jetzt nicht vorwurfsvoll beim Verlag nach. Man würde nur die deprimierenden Verkaufszahlen der letzten Jahre zu hören bekommen. Besser nicht jammern, sondern kühl um die Rückgabe der Rechte bitten. Obwohl diese Rechte wertlos geworden sind und nicht über die Tatsache hinwegtrösten können, dass das Interesse an diesem Buch erloschen ist. Manche Kollegen hoffen, dass der Verlag ihnen zum 90. Geburtstag eine Werkausgabe spendiert, in deren Schmuckschuber die literarischen Leichen hübsch balsamiert wieder eingefügt werden.

Was ist schon ein Manuskript, das sich nicht zu einem vernünftigen Roman formen will oder von keinem Verlag angenommen wird. Widerspenstige Stoffe, ungehorsame Sprache, sadistische Kritiker, geizige Verleger – das ist alles nichts gegen die Schmach, wenn ein Buch von der Backlist gestrichen wird. Eine Weile ist es noch für ein paar Cent im Internet zu haben oder als Billigdatei für elektronische Bücher. Dann verlieren sich auch seine virtuellen Spuren. Was vor wenigen Jahren noch hoffnungsvoll beworben, vielleicht sogar von der Kritik bejubelt und mit Preisen bedacht wurde, ist ausgelöscht.
Die Schlacht um die Unsterblichkeit ist wieder einmal verloren. Die Klassiker triumphieren. Ohne Ende lieferbar sind die langweiligen Gedichte und Erzählungen eines Sturkopfs wie Theodor Storm oder einer Trulla wie der Droste-Hülshoff. Der Autor von heute kann sich nur die Kugel geben – oder es ein weiteres Mal versuchen, ein Buch für die Ewigkeit zu schreiben.